treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

MARC RIBOT

Marc Ribot ist ein Tausendsassa, der Jahr für Jahr mit neuen Projekten und neuen Musikern an seiner Seite aufwartet. Das Spiel dieses Enfant terrible des Jazz wirkt unprätentiös, ist aber immer und überall leicht wieder erkennbar, weil er aus vordergründig schnoddrig hingeworfenen Klangzirkeln neue Formen kreiert, die nicht immer auf Anhieb durchschaubar sind. Ribot gehört  zum innovativen Tross von John Zorn, begleitete immer wieder namhafte Singer-Songwriter (Tom Waits, Vinicio Capossela, Mimmo Locasciulli) dies- und jenseits des Atlantiks und machte unter anderen Projekten auch mit den „Cubanos postizos“ für Furore...
Der äußerst experimentierfreudige und umtriebige, in New York lebende Gitarrist Marc Ribot bewegt sich höchst erfolgreich im Spannungsfeld zwischen Avantgarde und Populärmusik. Bekannt wurde er als Mitglied der Lounge Lizards und durch seine Zusammenarbeit mit Tom Waits, Elvis Costello, Bill Frisell oder John Zorn, aber auch durch eine Menge eigener Projekte, etwa seiner lateinamerikanisch inspirierten Band „Los Cubanos Postizos“. Marc Ribot kennt keinerlei musikalische Berührungsängste, sprengt permanent alle Genregrenzen und ist stets für Überraschungen gut.
Der musikalische Querdenker umgeht alle gängigen Klischees und macht sich ohne jeglichen Respekt über traditionelles Musikmaterial her, unberechenbar und ziemlich durchgeknallt, fallweise durchaus mit einer gewissen Punk-Attitüde. Sein geniales Trio „Ceramic Dog“ versteht Marc Ribot als Rockband, mit dem Quartett „Spiritual Unity“ spürt er hingegen durchaus jazzorientiert der Musik des legendären Albert Ayler nach. Mit der Rhythm-Section der „Spiritual Unity“ spielt Marc Ribot nun im Trio. Der lange völlig in Vergessenheit geratene Bassist Henry Grimes, ein unglaublicher Techniker, begann seine Karriere in den 50er Jahren bei Sonny Rollins, Monk und Mingus und zählt in den 60er Jahren zu den zentralen Figuren des Free-Jazz. Ende der 60er Jahre zog er sich völlig aus dem Musikbusiness zurück und galt drei Jahrzehnte lang als verschollen bzw. gestorben. Umso überraschender kam das Comeback des charismatischen Musikers im Jahr 2003. Drummer Chad Taylor ist im Avantgarde-Jazz ebenso zuhause wie in der Post Rock-Szene Chicagoes, wo er unter anderem das „Chicago Underground Orchestra“ mitbegründete und mit „Tortoise“, Jim O’Rourke oder den „Mouse on Mars“ kollaboriert.

DIE ZEIT:
MARC RIBOT: Hunde im Porzellanladen
Der amerikanische Gitarrist Marc Ribot sorgt immer wieder für Überraschungen. Mit dem neuen Trio Ceramic Dog hat er nun sein bisher bestes Album aufgenommen: »Party Intellectuals«.
Marc Ribot (sprich: Ree-bow) hasst Klischees. Er möchte nicht als zorniger Gitarrist gelten, der seinen Protest in verzerrten Tönen ausdrückt. Im vergangenen Jahr trat er auf beim Konzert gegen die Schließung der letzten größeren Bühne für experimentelle Musik in Manhattan – und wurde anschließend verhaftet. Er hatte den Standard The Nearness of You gespielt. Solch subtile Kritik wirke oft stark, sagt Ribot. Seine deutlichen Worte gegen den Krieg verpackt er in ein Westernstück, Bury Me Not On The Lone Prairie.
Er kann auch anders. Ribots neue CD Party Intellectuals beginnt mit einer punkigen Version eines Klassikers der Doors, Break On Through, das stiftet Verwirrung. Es hieß, seine neue Band Ceramic Dog klinge nach dem Disco-Soul der späten Siebziger, damit hat das wenig zu tun. Auch Never Better und Digital Handshake kommen geräuschvoll und wild entschlossen daher, das Titelstück der CD ist Punk mit Moog-Synthesizer.
Es gibt auch Zugänglicheres: Das bezaubernde Todo El Mundo Es Kitch lebt von absurden Reimen wie »In Barcelona we view for Gaudí, in Frankfurt we drove in an Audi«. In When We Were Young And We Were Freaks ist der Titel auch die Botschaft, Girlfriend thematisiert die Gentrifizierung der Lower East Side und das Verschwinden der New Yorker Avantgarde aus dem Stadtteil.
Vor 20 Jahren erfand Ribot den Klang von Rain Dogs und führte Tom Waits an den Pop heran. Durch die Arbeit mit ihm habe er gelernt, wie man Platten mache, sagt Ribot heute. Tatsächlich hörten sich die besten Stücke seiner vergangenen Platten immer ein bisschen so an, als fehle Tom Waits’ Stimme. Auf Party Intellectuals gibt Ribot den Waits, in den Trichter singt er jetzt selbst. Und erschiene die CD bei einer großen Firma, würde For Malena zum Sommerhit.
Die Ästhetik der Massenware interessierte Ribot nie, seine Musik spielt an den Rändern der Gesellschaft. Die Aufnahmen seines mit Moog, Gitarre, Bass, Elektronik und Perkussion ausgestatteten Trios sind in Avant-Rock verpackte Sozialkritik mit manch kontemplativem Moment. Ceramic Dog ist Ribots beste Band seit Jahren, Party Intellectuals eines seiner besten Alben.
 

 

Laut.de:
Ob Jazz, Punk, Hip Hop, Latin, Soul, No-Wave, Avantgarde, Hardrock, Reggae, Ambient, Pop oder Noise. Marc Ribot ist der Gott für Geschnetzeltes.
Die New York Times bescheinigt ihm ein "vielgestaltiges, ominöses, krudes, dorniges und durchtriebenes" Rock'n'Roll-Verständnis. Ralf Dombrowski, der renommierte Jazzthing-Autor, spricht von ihm als "respektlosem Gitarristen, der sich ohne Rücksicht auf ästhetische Verluste über das Tonmaterial der improvisierenden Musiktraditionen hermacht."
Doch Marc Ribot kann auch normal. Also nicht völlig durchgeknallt, skurril, abstrus und bizarr. Seine Liebe zur Latin-Musik lebt er beispielsweise mit seiner Band Los Cubanos Postizos aus. Sein Kooperations-Katalog reicht von Tom Waits, Cassandra Wilson, John Zorn, Bill Frisell und Chuck Berry bis zu Elvis Costello, Caetano Veloso und Madeleine Peyroux. 2007 profitiert das Gespann Robert Plant / Alison Krauss von seiner Kunst. Der Erfolg des Grammy-geehrten Albums "Raising Sand" ist auch der Kreativität Ribots zu verdanken.

Als einen "Trip ins Unerforschte" beschreibt Dombrowski 2008 das Erlebnis, Marc Ribot's Ceramic Dog live erleben zu dürfen, denn "Ceramic Dog ist eine Droge, ein Energiepaket, das die Menschen mitnimmt auf einen Trip, der in unerforschte Stilgefilde vorstößt. Mit dem Trio geht Ribot noch einen Schritt weiter als bisher".
Geht das? Das geht!
Mit "Party Intellectuals" stellt Ribot die zur Musik gewordene Chaostheorie in die Plattenläden. Die CD ist anstrengend und unberechenbar. "Mehrmals wird man sich wünschen, sie auszumachen und etwas weniger Aufwühlendes zu hören. Sie ist voll von kreativer Dreistigkeit und man muss schon bereit sein, sich auf diese durchgeknallte Reizüberflutung einzulassen", fasst Tristan Osterfeld (alternativmusik.de) zusammen: "Live kommt dieses musikalische Desaster wahrscheinlich einem gigantischen Orgasmus des universalen Zentralsexualorgans gleich. Auf Konserve "muss man schon bereit sein, sich auf diese durchgeknallte Reizüberflutung einzulassen"



JAZZ:THETIK

Marc Ribot - Zum lebendigen Jazz
Von Wolf Kampmann

(Fake) Rock

Zuerst konnte man ihn bei den Lounge Lizards, Tom Waits, Elvis Costello und den Jazz Passengers wahrnehmen. Dann gründete er seine erste eigene Band, die Rootless Cosmopolitans, in denen er all diese Erfahrungen zusammenfasste. Nach zwei Alben schloss er sich mit seiner nächsten Band Shrek der Radical Jewish Culture an, und zwischendurch spielte er hin und wieder eine Soloplatte auf der akustischen Gitarre ein. Als er sich den Ruf des Avantgardisten per sé eingefangen hatte, überraschte er plötzlich mit der Latin-Party-Band Los Cubanos Postizos, die mit großem Erfolg kubanischen Fake-Rock schmetterte. Die Sideman-Jobs mehrten sich von Jazz über Rock bis zu Americana, zuletzt glänzte er bei den Black Keys. Dann folgte er mit der Spiritual Unity der Fährte Albert Aylers – und jetzt wieder eine neue Band. Mit Schlagzeuger Ches Smith und Bassist Shahzad Ismaili stellt er das Trio Ceramic Dog auf, von dem nun das erste Album Party Intellectuals erscheint.

Eine stilistisch hakenschlagende Karriere sondergleichen. Hat Marc Ribot Angst vor zu viel Erfolg? »Ich bin eine ungeduldige Person«, kontert der Gitarrist. »Ich habe eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Die letzte Platte mit einer regulären Band war die zweite CD der Cubanos Postizos von 1999. Das ist jetzt neun Jahre her. Ich gehöre nicht zu den Musikern, die jedes Jahr ein Album machen müssen. Ceramic Dog unterscheidet sich von meinen vorherigen Gruppen dadurch, dass es eine gemeinsame Band aller Beteiligten ist.« Die Postizos seien eher ein Projekt als eine Band gewesen, daran, dass sie überhaupt so lange lebten, wäre hauptsächlich ein Deal mit Atlantic Schuld gewesen, erläutert Ribot: »Ich war an der Musik von Arsenio Rodriguez interessiert, wir spielten ein paar Mal, und bei unserem zweiten Gig erhielten wir einen Plattenvertrag. Aber nach zwei Alben und fünf Jahren auf Tour erreichten wir einen Punkt, an dem es sich wirklich wie auf Krücken anfühlte - ›Postizos‹ heißt Krücken. Ich stand vor der Entscheidung, für eine Weile nach Kuba zu ziehen und mich auf einem ganz anderen Niveau mit dieser Musik zu beschäftigen, oder ich musste mir sagen, dass sich das Ziel des Projekts nun erfüllt hatte. Zwei Musiker der Band zogen aus New York weg. Es gab also verschiedene Gründe, die Arbeit mit den Postizos einzustellen. Wenn ich auf die letzten 20 Jahre zurückblicke, finde ich drei Bands in dieser Zeit nicht allzu exzessiv.«

Dafür spricht einiges, zumal Ceramic Dog nun eine gewisse Logik in die häufigen stilistischen Wechsel bringt. Denn in dieser neuen Band kann man Aspekte aller vorgenannten Gruppen Ribots hören; Shrek, die Rootless Cosmopolitans und die Cubanos Postizos laufen zu einer Quintessenz zusammen, die - zumindest vorläufig - den ultimativen Sound Marc Ribots definieren soll: »Ceramic Dog ist eine Rockband. In allen Gruppen, die ich davor hatte, versuchte ich indirekt wie in einer Rockband zu arbeiten. Irgendwann fragte ich mich: Warum nicht eine richtige Rockband gründen, statt sich dem Rock immer nur durch die Hintertür zu nähern?! Es ist also kaum überraschend, wenn sich bei Ceramic Dog viele Elemente meiner früheren Bands wiederfinden, bei denen ich ja immer nach diesem Sound gesucht habe.«

Brüche und Brechung

Interessant ist Ribots grundsätzlicher Umgang mit der Gitarre. Rein spielerisch hat sich im Vergleich zu früheren Projekten und Bands gar nicht so viel geändert. Ribot bleibt sperrig und liebt Strukturen, die das Offensichtliche konterkarieren. Dafür hat er aber ein paar neue Klänge gefunden, mit denen er sein Spiel garniert. »Für mich selbst sind das ganz alte Sounds«, lacht Ribot. »Ich kehre zu meiner musikalischen Kindheit zurück. Als Teenager spielte ich in Rockbands und versuchte ständig, neue Klänge zu finden. So suchte ich zum Beispiel nach einer Art von Retro-Gitarre, auf der ich einen guten Metal-Sound erzeugen kann.«

Ribot ist ein Mann der Brüche. Spielerisch wie konzeptionell. So verwundert es kaum, dass der Plattentitel Party Intellectuals in die Irre führt, denn abgesehen von wenigen Songs ist die Musik nicht sonderlich Party-kompatibel. Doch Marc Ribot ist auch ein Mann der ironischen Brechungen. »Ob ich es will oder nicht«, meint er, »meine Projekte haben stets einen gewissen Sinn von Ironie und Distanz. Der Bandname ist sicher ironisch gemeint, aber nicht im Sinne von ›Hahaha, das ist ein Witz!‹. Die Musik mag vielleicht nicht für Partys taugen, aber mich interessiert viel mehr, ob sie intellektuell ist. Eigentlich bezieht sich der Name Party Intellectuals auf bestimmte Mitglieder der alten kommunistischen Partei, die als Intellektuelle abgestempelt wurden. Speziell in Hollywood bezeichnete man damit Drehbuchautoren, die heimlich Mitglieder der KP waren.«

Im Kontext von New York könnte der Titel noch eine ganz andere Bedeutung haben. Nach 9/11 ist ganz New York zu einer Art Party-Stadt mutiert, und man findet jene aufdringlichen Party-Intellektuellen überall auf Straßen und in Cafés. Wenn Ribot sein Album mit einer Highspeed-Version des Doors-Klassikers »Break on Through« eröffnet, klingt das wie eine Ansage an eben diesen Menschenschlag, der New York um seinen Charme gebracht hat. Laut Doors-Organist Ray Manzarek war dieses Stück für die Doors ein wichtiges Statement, weil man mit der Aufforderung, zur anderen Seite durchzubrechen, Mitte der Sechziger ein völlig neues intellektuelles Credo formulierte. Ribot entschied sich erst am Ende der Aufnahmen dazu, den Song aufs Album zu nehmen, doch subliminal hatte diese Entscheidung viel mit dem Zustand von New York zu tun. »Der Ursprung der Platte korrespondiert tatsächlich ein wenig mit dem Post-9/11-New York und meiner eigenen Persönlichkeit nach jenem Ereignis«, so Ribot. »Ich hatte eine dieser Offenbarungen, die man erleben kann, wenn man stinksauer ist und später feststellt, was für ein Bullshit das war. Direkt nach 9/11 spielte ich auf ein paar Benefiz-Konzerten mit. Alle versuchten, sich mit Musik zu artikulieren, aber all diese Musik schien ins Leere zu laufen. Doch dieses Scheitern führte auf die Frage hinaus, welche Musik überhaupt in dieser Umgebung Sinn machen würde - und das war genau der Moment, in dem ich mich entschied, eine Rockband zu gründen. Es kostete mich noch einmal fünf Jahre, bis die Band funktionierte, aber die Idee war eine direkte Reaktion auf 9/11 - aber keine direkte politische Reaktion auf die politischen Entwicklungen in diesem Land.«

Vorauseilende Entfremdung

Es ging zunächst einmal darum, diese andere Seite zu finden, herauszufinden, wie man dahin gelangen konnte. Eine Navigation im Nebel. Doch damit nahm Ribot eine Entwicklung vorweg, der etwas später die gesamte Jazzszene unterworfen war und immer noch ist. Sein Ergebnis ist das richtige Statement zur richtigen Zeit, um den Jazz wieder den Retro-Klauen zu entreißen. Ribot selbst fühlt sich an die frühen Tage der New Yorker Downtown-Avantgarde erinnert: »Als John Zorn Anfang der Achtziger Locus Solus spielte, die Lounge Lizards und DNA aktiv waren, dachten diese Musiker, dass sie Popmusik spielten. John Zorn war ehrlich davon überzeugt, mit Locus Solus eine Hit-Platte zu landen. Davon kann man heute halten, was man will. Ich habe auch nichts gegen die Jazztradition. Aber was ich nicht mag, ist die Idee der vorauseilenden Entfremdung. Sicher hat Jazz bestimmte Momente, die sich nicht jedermann erschließen. Der Zugang des Jazz zum Massenmarkt ist limitiert. Aber man erkennt seine Grenzen, indem man versucht, sie zu durchbrechen. Und man erkennt seine Möglichkeiten, indem man das Unmögliche versucht. Der Jazz war interessanter, als Musiker versuchten, ihn für jeden Menschen in der Welt zugänglich zu machen, nicht nur für Jazzhörer, und nicht zu akzeptieren, dass sie nur einen winzigen, isolierten Submarkt bedienen.« Marc Ribot billigt der New Yorker Jazzszene immer noch jene Stärke zu, mit der sie aus der Authentizität die Kraft zur Erneuerung bezieht. Sein eigenes Albert-Ayler-Projekt Spiritual Unity steht in unmittelbarer Nähe zu jenen Musikern, »die einer Tradition angehören und immer noch in dem Viertel wohnen, aus dem diese Tradition einst kam. Der Mainstream-Jazz hat nicht allzu viele Verbindungen zum lebendigen Jazz, der in New York immer noch gepflegt wird.«

Neben der Spiritual Unity und Ceramic Dog veröffentlicht Ribot dieser Tage unter dem Titel Exercises In Fucility noch eine Sammlung von Kompositionen für Solo-Akustik-Gitarre, die an die Zorn-Komposition »Book of Heads« anschließen, die er in den Neunzigern aufgenommen hatte. »An diesem Projekt arbeite ich schon sehr lange. Dass es nun gleichzeitig mit der Ceramic-Dog-Platte erscheint, fand ich nicht sonderlich günstig, denn ich musste beide im selben Monat fertigstellen. Ich war total erschöpft. Exercises In Fucility ist eine Platte auf der klassischen Gitarre. In dieser Hinsicht ähneln sich beide CDs, denn ich kehre jeweils zu meinen Ursprüngen zurück. Ich habe ja mit klassischer Gitarre angefangen. Ich wurde nie ein echter klassischer Gitarrist, denn meine rechte Hand gibt nicht allzu viel her. Aber zu Hause sitze ich nicht mit einem riesigen Verstärker herum, sondern spiele für gewöhnlich auf der akustischen Gitarre. Über die Jahre dachte ich, einiges davon sollte ich aufnehmen. Aber ich war nie mit dem Klang zufrieden. Die Gitarre mit Nylon-Seiten hat die natürliche Tendenz, lieblich und süß zu klingen. Man muss schon hart daran arbeiten, diesen Sound zu überwinden. Ich wollte so hart und schroff sein wie auf der elektrischen Gitarre. Eine Art Punkrock-Platte auf der akustischen Gitarre. Ich musste mir die Lieblichkeit regelrecht abgewöhnen. So versuchte ich, die klassische Gitarre ohne ihre Geschichte zu spielen.«

Marc Ribot bleibt ein musikalischer Querdenker, der Ideen vorwegnimmt, die Jahre später oft zum Allgemeingut werden, ohne dass man sie auf ihn zurückführen würde. Doch in dieser Rolle fühlt er sich wohl. Würde er einer Partei angehören, wäre er wahrscheinlich selbst einer jener misstrauisch beäugten party intellectuals.

 

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MARC RIBOT: CERAMIC DOG

Todo el Mundo es Kitsch: Der umtriebige New Yorker Gitarrist Marc Ribot hat mit seiner neuen Band und dem aktuellen Album eine seiner besten Arbeiten veröffentlicht Den knochentrockenen, vor sich hinstolpernden Tonkaskaden, mit denen Marc Ribot mehrere Alben von Tom Waits, beginnend mit "Rain Dogs" (1985), geprägt hat, verdankt der New Yorker Gitarrist einen großen Teil seiner Bekanntheit. Seine Arbeit als gefragter Sideman für Größen wie Elvis Costello, Marianne Faithful, T Bone Burnett und zuletzt Robert Plant & Alison Krauss macht indessen nur eine Facette im musikalischen Universums des keine Genregrenzen respektierenden Eklektikers aus. "Womit ich vor allem assoziiert werde, ist eine Art Anti-Rock, der statt auf Power Chords auf Dünnheit und Zerbrechlichkeit setzt", gab Ribot in Anais Prosacis schöner Filmdokumentation über ihn, "The Lost String", zu Protokoll. Seinen ironisch gebrochenen, zitierfreudigen Gitarrenstil entwickelte Ribot im Umfeld der New Yorker Avantgarde-Szene der 80er Jahre, unter anderem als Mitglied von John Luries Lounge Lizards. Bis heute arbeitet Ribot regelmäßig mit dem Saxofonisten und Komponisten John Zorn zusammen. Filth, Beauty, Airline Food, Horse Racing "Ich versuche mir eine Rock-Geschichte vorzustellen, die Ornette Coleman und Albert Ayler inkludiert", so Ribot, der gleichzeitig an Chuck Berry und Keith Richards als musikalischen Vorbildern festhält. Dass er seine jüngste Formation Ceramic Dog als "erste Rock-Band seit High-School-Tagen" bezeichnet, ist vor diesem Hintergrund mit Vorsicht zu genießen. Auf der MySpace-Seite von Ceramic Dog werden als Einflüsse genannt: "Filth, Beauty, Airline Food, Horse Racing". Zum Bandnamen finden sich ebendort noch folgende Hinweise: "chien du faience: expression: frozen with emotion, as in the perfectly still moment before a fight breaks out. 2. Ultimate kitsch object. 3. A free/punk/funk/experimental/psychedelic/post electronica collective". Ironische Bandnamen haben bei Ribot schon Tradition, so benannte er eine seiner Formationen mit dem jiddischen Namen für Horror, "Shrek". Als er sich der kubanischen Musik von Arsenio Rodriguez widmete, tat er dies unter dem Namen "Los Cubanos Postizos (The Prothetic Cubans)". Seine erste eigene Gruppe wiederum lief unter dem Titel "Rootless Cosmopolitains", einem Euphemismus, der mit Stalins antisemitischer Kampagne gegen Intellektuelle assoziiert ist. Als Titel für das Album-Debüt hat Ribot, der sich selbst immer wieder auch politisch zu Wort meldet und an der Gründung der Radical Jewish Culture Anfang der 90er Jahre beteiligt war, "Party Intellectuals" gewählt. Break On Through "One, two, one, two three" - mit Fuzz-verzerrter Gitarre im Lärmrausch, Prügelschlagzeug und wummerndem Bass nehmen sich Ribot, Shazad Ismaily und Ches Smith als Opener tatsächlich einen Rock-Klassiker vor. Allerdings kommt der Doors-Klassiker "Break On Throuhg" hier als Post-Punk-Nummer daher. Ribot hat nie ein Hehl aus seiner Bewunderung für Robert Quine gemacht, den Gitarristen von Richard Hell & The Voidoids und Lou Reed, der sich nicht auf seine Punk-Wurzeln einengen lassen sollte, und hier ist die Seelenenverwandtschaft der beiden Musikabenteurer deutlich zu spüren. Auf dem gleich anschließenden Titelstück "Party Intellectuals" laden Ribot und sein vermeintliches Power-Trio zur in einer Noise-Orgie kulminierenden Funk-Party. "In Barcelona we viewed the Gaudi, in Frankfurt we drove in an Audi, in Monaco we struck it rich." Allerspätestens beim dritten Stück "Todo el Mundo es Kitsch", das mit Gastvokalistinnen und Ribots lakonischem Sprechgesang, begleitet von Pseudo-Lounge-Grooves aufwartet, muss klar sein, dass hier Ironie groß geschrieben wird. Wie man aus wenigen Sound-Elementen und wieder mit Sprechgesang eine berührende, ungemein atmosphärische Elegie bauen kann, dafür darf "When We Were Young And We Were Freaks", inspiriert von einem an Aids verstorbenen Freund, als Lehrbeispiel gelten. Auf die Gentrifizierung Manhattans - Ribot, einst wie Elliott Sharp oder John Zorn ein Aushängeschild der Künstlerszene der Lower East Side, wohnt aus Kostengründen heute in Brooklyn - spielt der Song "Girlfriend" an. Mit "For Malena" hat der Gitarrist eine beschwingte, kleine Pop-Perle geschaffen, der in anderem Kontext wohl so etwas wie Hit-Potenzial zukommen würde. Unter den Instrumentalstücken finden sich minimalistische Stücke wie das mit Tremologitarre, Banjo und Gerümpelperkussion eingespielte "Bateau", das stark an Ribots auf den Alben "Shoe String Symphonettes" (1997) und "Soundtracks Vol. 2" (2003) versammelte Filmmusikarbeiten erinnert. Am anderen Ende des musikalsichen Spektrums angesiedelt sind das Noise-Epos "Midost" oder der an verrückst spielende Videogames und Faxgeräte gemahnende Krautrocker "Digital Handshake", einer von vielen Titel, bei denen Moog Synthesizer eine tragende Rolle spielt. Soul Man Mit dem letzten Stück "Never Better" liefert Ribot eine Tour de force durch Stile von klassischer Surf-Gitarre bis zu Hendrix-Anklängen. Man hört hier, was Ribot auch in Interviews stets betont, dass seine Einflüsse von seinem klassischen haitanischen Gitarrenlehrer Frantz Casseus über die Jazz-Ikonen Django Reinhardt und Grant Green bis zu Howlin‘ Wolfs Gitarristen Hubert Sumlin, dem exzentrischsten und unberechenbarsten unter den Vertretern der elektrischen Blues-Gitarre, reichen. Am nähesten an erkennbaren Vorbildern dran ist Ribot mit der Funk-Nummer "Pinch", die sich wie ein Duett aus den Soul-Licks von Steve Cropper und den Funk-Rhythmen von Cornell Dupree anhört. Eine kleine Verbeugung, die mit Ribots Anflängen in der Profi-Musikszene zu tun haben mag: Noch vor seiner Zusammenarbeit mit John Zorn oder Tom Waits begleitete Ribot als Mitglied der New Yorker Pickup-Band The Realtones, einer Begleitband für durchreisende Musiker, Soul-Größen wie Carla und Rufus Thomas oder Wilson Pickett. Das erste Album, an dem Ribot mitwirkte, "Soul Alive" von Solomon Burke, darf zu dessen besten Veröffentlichungen gezählt werden und besticht noch heute mit eleganten, perlenden Gitarren-Licks. Auf die Frage, was für eine Art Musiker er sei, gibt Ribot noch heute vorzugsweise die Antwort "a soul musician". Das wird, bei aller Ironie, auch auf "Party Intellectuals", einem der zugänglichsten und humorvollsten Solo-Alben des New Yorkers, nicht in Frage gestellt. - derstandard.at/1218534032198/Marc-Ribots-Ceramic-Dog-Party-Intellectuals