treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

DER TREIBHAUS*KONZERT*PASS WiNTER 2024/25 - der frühe vogel fängt den wurm:

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VIRGINIA JETZT

wahre Liebe - das ganz normale leben

"Wir sind von guten Eltern / wir haben alles schon gesehen / wir haben keine Sorgen / wir haben nicht mal ein Problem".
Die Deutsch-Pop-Bands, Markenzeichen hintergründige Texte und eingängige Melodien á la "Sportfreunde Stiller", "Mia" oder "Wir sind Helden", schießen wie die sprichwörtlichen Schwammerln aus dem Boden, beziehungsweise: gegeben hat es sie schon immer, aber jetzt bemerken wir schön langsam, dass es eigentlich ganz toll ist, etwas zu hören, was wir auch so richtig verstehen können. Und zu dieser Kategorie gehört "Virginia Jetzt!".

Nachdem Hamburg in Sachen Gitarren nach und nach sich selbst immer weiter austritt, kommen diejenigen an die Oberfläche, die mit der Hamburger Musik Anfang der Neunziger aufgewachsen sind. Und sie sind wie inzwischen so ziemlich jeder: aus Berlin. Die erfolgreichsten Vertreter sind vier Jungs aus dem brandenburgischen Provinz-Nest Elsterwerda und dessen Umgebung.

Also genau die Klientel von ländlichen Gymnasiasten, die sich Tocotronic-Trainingsjacken kaufen und deren Songs am Lagerfeuer des Jungschar-Zeltlagers nachspielen. Übliche Mittelstands-Kids, die Punkrock immer schon cool fanden, aber trotzdem auf keine Demos gegen den Staat gehen. Lieber macht man Musik und deutschlandweit hoch angesehen Fanzines, wie das Knaartz, das bis 2001 auf die Kappe von zwei Virginien ging. Alles streng im Indie-Kontext um Schrammel-Gitarren und Texte über die Liebe, Sehnsucht und dem ganzen Zeug das Mädchen wichtig ist.

Im April 1999 gründen sich Virginia Jetzt!, bestehend aus Thomas Dörschel an der Gitarre und Piano, Mathias Hielscher am Bass, Nino Skrotzki am Gesang bzw. Gitarre und Angelo Gräbs am Schlagzeug. Den Namen entleiht man sich aus einer Balz-Aktion von Thomas, der ein Auge auf eine gewisse Virginia gesetzt hatte und sie zu einem Konzert seiner damaligen Kapelle einlädt. Damit seine Angebetete den Gig in der brandenburgischen Einöde auch findet, bastelte er höllisch verliebt Schilder mit der Aufschrift "Virginia Jetzt!" und Richtungspfeilen. Ein guter kreativer Trick, mit dem man natürlich Jede rumkriegt und nebenbei noch einen Namen für seine nächste Band findet.

Die Combo zieht des Studiums und Zivildienstes wegen nach Berlin und landet dort in dem Stadtteil in dem alle Zugezogenen wohnen, die nichts mehr in Mitte bekommen haben: Friedrichshain. Eine erste EP mit einem Hahn auf dem Cover und vier Stücken wird selbstgebrannt verteilt und findet mit dem stärksten Song "Deine Welt" (die weiblichen Vocals singt übrigens Mieze von Mia) selbst im Tagesprogramm von Radio Fritz seine festen Fans. Mit dem dilletantischen Nichtskönner-Gehabe von Tocotronic hat man aber nichts mehr zu tun. Virginia Jetzt haben den Pop im Blut und schmuggeln ihn streng ausgedacht unter ihre Gitarren-Front. Selbst vor Piano-Only-Stücken, die in Sachen Romantik heftig punkten, machen sie keinen Halt. Müssen sie auch gar nicht, denn es funktioniert trotzdem ganz wunderbar. Nicht ohne Grund hängen Ben Folds und Echt Plakate an der Wand.

Die EP "Pophymnen" - immer noch ohne Plattenvertrag - macht sie 2000 schon über die Hauptstadt-Grenzen bekannt. Nach etlichen Touren durch ganz Deutschland zieht man für die "Mein Sein"-EP einen kleinen Deal mit dem Blickpunkt Pop-Label des vierten Sportfreunds Marc Liebscher an Land. Dick produziert, rückt das Ziel des perfektionierten Gitarren-Pop-Songs näher. Ein Jahr später wagen die lieben Nachbarsbuben von nebenan mit einer (wiederum selbstgebrannten und streng limitierten) "Mein Sein"-Remix-CD erstmals einen Besuch in der elektronischen Zone. Geremixt haben u.a. Miles, Mia.

Im Juni 2003 erscheint endlich ihr erstes Album "Wer Hat Angst Vor Virginia Jetzt!". Mit gutem Gewissen kann man sagen, dass die Indie-Welt darauf gewartet hat. Ein Jahr und unzählige Konzerte später sind Virginia Jetzt längst nicht mehr die kleine Band aus Elsterwerda. Mit einer dicken Fanbasis und dem feinen zweiten Album "Anfänger" im Gepäck starten sie das Projekt Popstar. Weiser und älter sind sie geworden, und das hört man auf dem neuen Album auch deutlich. Vom Power-Pop der frühen Tag hat man sich nahezu komplett verabschiedet. Schön bleibt es trotzdem.
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Wie lang dauert ein Jahr? Zwölf Monate, ganz klar, und jeder von uns zieht nach diesem Zeitraum Bilanz, meistens an Silvester. Immer noch der selbe Job, die selben Freunde, die selbe Wohnung in der selben Stadt? Man wird ein bisschen langsamer mit der Zeit und die geistige Grundhaltung springt nicht mehr teenagergleich von einer Überzeugung zur anderen. Umso erstaunlicher ist "Anfänger", das neue Album von Virginia Jetzt!.
Dass eine 1999 gegründete Band ihr Album "Anfänger" nennt, zu allem Überfluss ist es auch noch das zweite, mutet merkwürdig an. In fünf Jahren hat sich einiges an Bandgeschichte angesammelt: Ein Demo, das die ganze Sache ins Rollen brachte, eine EP mit dem feinen Indie-Hit "Mein Sein", ein Umzug vom heimischen Elsterwerda in die Bundeshauptstadt, Touren in kleinen Clubs und großen Hallen, ein paar Experimente mit Frisuren, viel Erfahrung und wenig Routine. Im Frühjahr 2003 noch waren Angelo, Mathias, Nino und Thomas mit ihrem Debütalbum "Wer hat Angst vor…" jugendliche Hoffnungsträger, Arme hoch, Gitarre laut, mit vielen kleinen Wahrheiten über die Liebe und das Leben im allgemeinen im Gepäck. Zwischen Fans und Feuilleton hatte die Band eine angenehm eigene Position bezogen, auf der man es sich erst einmal hätte gemütlich machen können. Anfänger zu sein ist ja nur eine Frage des Standpunktes und wenn Virginia Jetzt! sich so bezeichnen, dann bedeutet das erst einmal: Wir haben noch eine ganze Menge vor uns.
Im Mai 2004 klingt die Band also anders, weil sich die Erde wieder ein Stückchen weitergedreht hat und weil ein Schritt nach vorne immer auch ein Schritt aus dem gemütlichen Zuhause der alten Songs und der alten Inhalte ist. Die rotierenden Videos, die vollen Säle, der mediale Applaus hat völlig andere Spuren hinterlassen, als zu erwarten war. Natürlich hätten die Vier noch mehr "Hey Hey Heys" und von guten Eltern sein können, aber das wäre ihnen zu einfach. Die persönliche Bilanz, die die Band auf "Anfänger" zieht, zeugt von einer Einkehr ins Private, ohne dabei eigenbrötlerisch zu klingen.
"Wir haben Fehler gemacht, das ist nicht zu übersehen, wir haben immer geglaubt, dass wir alles verstehen, ja verstehen was wir sind, dass wir Anfänger sind." Schon mit den ersten Zeilen des Titelsongs öffnet sich diese entwaffnende Ehrlichkeit, die sich als der eine, persönliche Faden durch das gesamte Album zieht. Die große, mythische Traumstadt wird in "Himmel über Berlin" zerlegt, denn was bleibt eigentlich, wenn "die Moviestars, die Rockstars und all der andere Dreck" weg sind? Vielleicht noch das große lyrische Du, diese Projektionsfläche aller menschlichen Sehnsüchte. "Ich will Liebeslieder schreiben, die so nah sind am Gefühl (...), dass sie keiner hören will" singt Nino Skrotzki, der immer noch so klar und fein klingt, dass man durch seine Stimme hindurch bis in sein Herz hinein zu sehen glaubt. Doch auch diese vage Hoffnung auf Partnerschaft hält nur wenig länger, vielleicht noch bis "Wahre Liebe", dann ist auch der letzte Vertrag mit der Gesellschaft aufgekündigt. Im Kernstück des Albums, "In der Finsternis", ist außer der eigenen Existenz nichts mehr geblieben, auf das man sich berufen könnte. Und nicht aus Zufall ist der Titel Teil eines Zitats von Thomas Bernhard. "Um mich ausleben zu können, wie ich will, bleibt mir nichts anderes als das Alleinsein. Aber ich bin deshalb nicht zu bedauern. Jeder ist an allem selber schuld." sagte Bernhard einmal und steht damit Pate für vieles, was Songschreiber Thomas Dörschel auf "Anfänger" zu erzählen hat. In dem Song "Liebeslieder" werden die Schwierigkeiten und Grenzen der Sprache beschrieben. Wie schwer es doch ist, Schmerz oder Liebe auszudrücken und wie wertvoll die Fähigkeit sagen zu können, was einem am nächsten steht, ohne dabei in einem Heimatliedcharakter zu verfallen?
Dass bei dieser inhaltlichen Neugewichtung auch die Musik von Virginia Jetzt! einen anderen Tenor gefunden hat, ist nahezu zwingend. Die sauber strukturierten Songs des ersten Albums sind weitaus komplexeren Arrangements gewichen. Mit dem verstärkten Einsatz von Klavier und Streichern werden langsame, wachsende Strukturen eröffnet, die bei aller Ernsthaftigkeit immer noch mit funkelnden Melodien durchzogen sind. Ein ätherisch gleitendes "Hier Zu Sein" findet dabei völlig selbstverständlich neben "Ein ganzer Sommer" Platz, der ersten Single, die sich glücklich und beschwingt nach vorne schiebt. Virginia Jetzt! finden gute Songs nämlich immer noch super und nichts läge Ihnen ferner, als ein thematisch anspruchsvolles Album dem Spaß an einem guten Riff, einer guten Hook unterzuordnen.
Thomas Bernhard begreift in seinem Werk die realistische und dementsprechend düster ausfallende Weltsicht immer auch als Chance, um für sich selbst etwas Positives zu erschaffen. Und eigentlich geht es bei Virginia Jetzt! genau darum: Aus allem etwas Gutes zu machen. Und deswegen fühlt sich "Anfänger" ein bisschen wie Knutschen im Regen an: Das kleine Glück im großen Chaos.

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VIRGINIA JETZT
"ANFÄNGER"

Virginia Jetzt bleiben ein zweischneidiges Schwert. Ihre Gegner werden wieder genügend Angriffsfläche finden und ihnen naive Texte und endlose Kitschigkeit vorwerfen, während ihre weiblichen Fans sich genau dazu ihre Tränen aus den Augen weinen.

Neues Öl also ins Feuer beider Seiten, die sich gerne weiter streiten sollen. Alle anderen bleiben bitte einfach mitten drin und freuen sich über eine neue Ladung Virginia Jetzt. Denn was den Kitsch der jungen Berliner immer wieder erträglich macht, ist die Qualität der Songs. Und die ist auf ihrem zweiten Album besser als je.

Die jugendlich-naive Power-Pop-Schublade, in die man das Berliner Quartett früher noch gerne hinein steckte, bleibt auf ihrem neuen Werk weitgehend geschlossen. Die herrlich leichten Schwimmbad-Hits, mit denen früher die Herzen der Mädels aus der Mittelstufe geschmolzen wurden, sind bis auf "Wahre Liebe" nahezu untergegangen.

Auf "Anfänger" zeigt sich die Band von einer neuen nachdenklicheren und erwachseneren Seite. Schon im großartig rhythmischen Opener "Das Ganz Normale Leben" - sicher einer der besten Songs den die Band je geschrieben hat – singen sie "Manchmal frag ich mich, wer bin ich hier? Was mach ich hier? Und Wofür?" und geben damit den etwas düsteren Ton für die restliche Platte an.

Nörgler werden jetzt kontern, dass sie sich das schon immer fragen, vergessen dabei aber mal auf den Song zu hören. Egal wie man zu den Texten oder zu ihrem Teenie-Image stehen mag: auf dieser Platte sind zehn ausgereifte und top-produzierte Pop(!)-Songs zu finden, an denen man auch als Schweine-Rocker seine Freude haben kann. Das ist fein komponierte Freude, die keinem weh tut und das auch gar nicht möchte. Freude an Klasse-Arrangements, an einem Batzen Ohrwurm-Melodien, und, ganz wichtig: Freude an Eigenständigkeit. Denn "Anfänger" klingt nicht nach Tocotronic und nicht nach anderen großen Vorbildern. Es klingt einfach nach Virginia Jetzt. Wie viele Bands können heutzutage schon behaupten nur nach sich selbst zu klingen?

Klar ist das wie in "Der Himmel Über Berlin" immer noch hier und da etwas schmierig. Ja mei, aber jeder weiß doch, dass bei diesen Songs die Mädels weich werden. Dafür ist er doch gemacht. Diese Platte ist ein gehöriger Schritt nach vorne für die Band, ein guter Schritt nach vorne in ihre neue Stellung als deutsche Pop-Darlinge. So lange Virginia Jetzt die Idee mit dem schrecklichen Söhne Mannheims-Background-Gesang in "Hier Zu Sein" nicht weiter ausbauen, habe ich damit kein Problem. Denn diese Rolle steht ihnen verdammt gut.