Farewell United Jazz + Rock Ensemble
„Wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo `ne Fusion her. “
So witzelten wir damals, als wir Blood Sweat and Tears hörten. Die Zeiten waren hart für den Jazz Ende der 60iger Jahre. Ian Carr, Trompeter und United – Mitglied, schreibt, „Je mehr die konventionellen Konzepte – Bebop, Hard-Bop – leergespielt wurden, desto mehr wandte sich das Publikum ab. Jazz schien seine soziale Relevanz verloren zu haben. “ In dieser Phase der Erschöpfung tauchte der Frischzellen-Therapeut „Dr. Rock“ auf. Der Jazz legte sich zu ihm ins Bett und genas. Naja: nicht alle. Einige lehnten diese Kur ab. Aber zu den Vorzeige-Patienten in der Abteilung „jetzt fetzen wir los!“ gehört das United Jazz + Rock Ensemble.
1975 erstmals ins Rampenlicht getreten, hat diese herzhaft zupackende Band immer dem Rhythmus die Treue gehalten. Das war sehr wohltuend in Zeiten der Schein-Ehen des Klangs aus abgelegenster Folklore, durchgeknallter Improvisation und wackeligen Metren.
Groove ist die Erotik des Jazz. Damit ist das United Jazz + Rock Ensemble gesegnet.
In besonders furiosen Konzerten soll das Orchester fluoreszieren.
Auch Ohnmachten im Publikum soll es schon gegeben haben. Und wenn Pierre Boulez in seiner Betrachtung über J.S. Bach von dessen „Kraftmoment“ spricht, dann ist es genau das, worüber das United Jazz + Rock Ensemble auf so eindrucksvolle Weise verfügt.
Doch nichts bleibt. Dieses dunkel-philosophische Gesetz gilt für uns alle. Auch für das „United“. Und doch: diese Band wird noch lange in unserem kollektiven Gedächtnis weiterleben. Wie eine in Granit gemeißelte Zeile aus einem amerikanischen Pop Song: „ the song is ended, but the melody lingers on...“
Der Dichter Rilke hat das allerdings viel besser formuliert: „Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes hersagend und Gebärden dann und wann aufhebend; aber dein von uns entferntes, aus unserem Stück entrücktes Dasein kann uns manchmal überkommen, wie ein Wissen von jener Wirklichkeit sich niedersenkend, so daß wir eine Weile hingerissen das Leben spielen, nicht an Beifall denkend. “
Sei gegrüßt, United Jazz + Rock Ensemble!
„Wir haben uns immer gefragt, warum unser Publikum so jung ist. Eine ganz interessante Analyse hat jetzt der Albert Mangelsdorff gemacht. Und zwar hat er gesagt, daß wir uns nicht etwa einbilden sollten, Idole zu sein für das Publikum, wie die Popstars das sind. Vielmehr würden die jungen Leute sich wünschen, daß so ihre Väter aussehen, wir also die Idealbilder ihrer alten Herren sind! Und ich hab darauf geantwortet, dann wären wir eigentlich total aus dem Schneider im Gegensatz zu den Popstars, deren Zeit abgelaufen ist, wenn sie einen dicken Bauch kriegen, während wir erst jetzt richtig loslegen.“
Wolfgang Dauner
Kann man dem Phänomen auf die Schliche kommen? Ist es möglich, sich zehn international, ja weltweit renommierten Jazz-Individualisten so dicht an die Fersen zu heften, bis man herausgefunden hat, was die Aura ihrer Platten und Live-Konzerte ausmacht?
Was ist das besondere an dieser Band, die als lockere Studioformation begonnen hat und heute, nach rund einem Vierteljahrhundert, ein souveränes Musik-Ereignis ist, wo immer sie auftaucht?
Erste Nachfrage und überraschendes Resultat: Das Ensemble ist kein kühl kalkuliertes Musik-Produkt, wie es den Anschein haben mag, wenn man sich die Besetzung in ihrer All-Star-Qualität anschaut. Es war mehr als die Verknüpfung von Ideenreichtum, instinktsicherer Personalpolitik und der notwendigen Portion Glück, daß kam, was nicht kommen mußte.
Ein wenig Biographisches. 1975 plant der Fernsehregisseur Werner Schretzmeier, eine ARD-Jugendsendung mit musikalischem Pfiff abzurunden. Nichts liegt näher, als sich an Wolfgang Dauner zu wenden, dessen Avantgardegruppe „et cetera“ Schretzmeier bis 1972 gemanagt hat. Mit dem experimentierfreudigem Stuttgarter, der schon zu dieser Zeit so etwas wie ein Koordinatenpunkt der deutschen Jazz-Szene ist, überlegt er, wie man eine Studiogruppe in die Sendung einbauen könne und was für eine Musik das sein müsse. „Als Zielgruppe waren hauptsächlich Jugendliche angepeilt, und da war klar, daß wir uns nicht auf alle möglichen Musikabenteuer einlassen konnten“ erzählt Dauner. „Klar fiel auch das Wort Rock, und da habe ich mich sofort an den Jon Hiseman erinnert, mit dem ich schon eine Platte gemacht hatte und seitdem befreundet war. Und über diese persönlichen und musikalischen Begegnungen kamen auch andere Namen ins Spiel: Albert – Volker – Ack...“
Was dabei herauskommt, wenn man einer politisch grundierten TV-Serie mit Posaunenton und Schlagstockmusikalische Rückendeckung gibt, ist noch keineswegs eine Studiokapelle in fester Besetzung. Zunächst hieß das Unternehmen Elfeinhalb Ensemble (benannt nach der Fernsehsendung sonntäglicher Sendezeit) und spielt von Mal zu Mal mit wechselnder Mannschaft, weil es bei den Vollbeschäftigten im internationalen Musikbetrieb natürlich Terminprobleme gibt und überdies an eine einheitliche Formation damals noch gar nicht gedacht ist. Dennoch greifen Dauner und Volker Kriegel, die in der Anfangszeit auch die Stücke schreiben und arrangieren, wenn möglich auf dieselben Musiker zurück, weil sich ein Repertoire herauszubilden beginnt und zusehends ein Feeling bestimmter Musiker füreinander aufkommt.
Anfragen an die Fernsehredaktion beginnen sich zu häufen: Wo denn die Platten dieser Kapelle erhältlich seien, ob es auch öffentliche Auftritte gäbe. Und da, erzählt Wolfgang Dauner, war es nur konsequent, die Chance aufkeimender Popularität zu nutzen und es mit einer Platte zu versuchen. Doch es gibt unvermutete Probleme, keine Firma will so recht mitmachen. Ein angereister Produzent findet, daß sich das ja alles ganz gut und schön anhören würde, man diese Musik aber doch auch mit nur sechs Leuten machen könne. Eine durchschlagende Diagnose, wie Wolfgang Dauner findet, der sich schon in seiner sinfonischen Komposition "Der Urschrei des Musikers", einer Reflexion sozialer und ökonomischer Bedingungen des Musikbetriebes, intensiv mit den Produktionsbedingungen auseinandergesetzt hatte. Nun hat er endgültig genug davon, sich mit den eingefahrenen Vorstellungen der Plattenfirmen herumzuschlagen, will jetzt auf eigene Faust produzieren. Und als Zweitausendeins sich bereit erklärt, den Vertrieb zu übernehmen, sorgen die Musiker selbst für das notwendige Startkapital und wagen den Einsatz.
Das Ergebnis ist mittlerweile bekannt: Live im Schützenhaus wird zur erfolgreichsten deutschen Jazz-LP seit Jahrzehnten. Die Plattenfirma mood records bekommt eine solide Grundfinanzierung und damit Spielraum für ein differenziertes Musikprogramm. Und: Das United Jazz And Rock Ensemble ist entstanden – eine “Big” Band in Größe und Besetzung, wie sie schon in den ersten Bigbands der 20er und 30er Jahre bei Jelly Roll Morton und Fletcher Henderson üblich war, dann für die Jazzrock-Formationen der 70er Jahre typisch geworden ist.
Fast schon folgerichtig war der Deutsche Schallplattenpreis 1978 in der Kategorie "Künstler des Jahres".
Wenn sich Werner Schretzmeier heute zurückerinnert an die Zeit, in der das Ensemble zusammenfand und sich zunehmend stabilisierte, ist er gar nicht so unglücklich darüber, daß es diese Startschwierigkeiten gegeben hat: „Das Ganze ist ohne größere finanzielle Abenteuer entstanden. Wir haben damals nicht die Köpfe nicht zusammengesteckt und gesagt ‚Das Ding setzen wir in den Markt’ – womöglich noch mit gehörigem Werbeetat. Das Ensemble, die Plattenfirma, die Selbstorganisation sind vielmehr ein Unternehmen nach dem Motto: ‚Alles Gute kommt von unten’ und wird überlebensfähig sein, weil es zum einen ein wohlüberlegtes, von allen Beteiligten getragenes inhaltliches Kulturverständnis gibt, genauso aber diese Mischung aus gewachsenen Strukturen und Musikerfreundschaften. Im anderen Falle wäre United womöglich ein Szene-Ereignis für eine Saison gewesen – und dann Feierabend.“