Robert Misik, Journalist, Schriftsteller, Blogger (standard, falter, taz) ist ein kluger Kopf. Monatlich kommt er ins Treibhaus - zu Wort am Montag, des politisch-kulturellen Diskurses wegen & auch, um uns die Leviten zu lesen.
1. Jede Religion, die Obskurantismus verbreitet, die das Alltagsleben ihrer Anhänger autoritär strukturiert und die den Menschen als verworfenen Wurm imaginiert, der sich nur auf Knien seinem Schöpfer nähern darf, muss kritisiert werden.
2. Wenn aber die Kritik an der Religion nichts anderes als eine zusätzliche Diskriminierung ohnehin schon vielfältig diskriminierter Bevölkerungsgruppen als unverholene Absicht hat, dann müssen die Diskriminierten verteidigt werden.
3. In der wirklichen Welt muss man ersteres und zweiteres gelegentlich gleichzeitig machen.
4. Was sich als "Islamkritik" tarnt ist in der Realität nur der Versuch, auf etwas geschönte Weise "Ausländer Raus" zu sagen.
5. Ganz generell tut auch der Religionskritiker gut daran, religiösen Menschen mit Respekt zu begegnen.
6. Es kommt bei allen diese Fragen auf einen realistischen Blick auf die Vielfältigkeit des religiösen Lebens an, auf Grautöne, auch auf die richtigen Zungenschläge.
(Robert Misik, 13.12.2015)
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zur Einstimmung ein ältere Text von Robert Misik
profil 29.1.2008 !!!
„Religionskritik“ hat große Tradition in Philosophie und Kunst. Aber nicht jede Verhöhnung ist aufklärerisch – und heikel wird es, wenn sie sich gegen die Religion der Anderen richtet. Über die feinen Unterschiede zwischen Aufklärung und Verhetzung. profil, 28. 1. 2008
Der Durchschnitts-Christ, das ist „eine erbärmliche Figur, ein Mensch, der nicht bis drei zählen kann“ und Jesus ein „Idiot“ – so schrieb der große Philosoph Friedrich Nietzsche. Das ist jetzt schon ziemlich lange her. Ein paar Jahre dagegen sind erst vergangen, da hat die Berliner „tageszeitung“ den Gekreuzigten despektierlich „Balkensepp“ genannt hat. Das brachte ihr eine Rüge vom Presserat ein.
Mohammed ist ein „Kinderschänder“, der Islam „totalitär“ und solle dorthin zurückgeworfen werden, wo er hergekommen ist, „hinter das Mittelmeer“ – so formulierte die FPÖ-Politikerin Susanne Winter vor zwei Wochen und trat eine heftige Diskussion los. In den einschlägigen Internetforen geht es seither hoch her. Die „Hinternhochbeter“ – wie die Muslime hier abschätzig genannt werden – sollen sich nicht so aufführen. Sind die Schrammen in der religiösen Gefühlswelt nicht ziemlich gerecht verteilt?
Religionskritik muss erlaubt sein, Invektive und Spott inklusive. Mehr noch: Religionskritik ist ein hehres Erbe der Aufklärung. Hätte es die Verve nicht gegeben, mit der religionskritische Philosophen, Essayisten, Literaten, aber auch Filmemacher und bildende Künstler gegen das Heilige angegangen sind – unsere Gesellschaften wären mit Sicherheit weniger lebenswerte Orte. Der Philosoph Ludwig Feuerbach schrieb gegen die „Christentümelei“ an, der Aufklärer Voltaire gegen die „niederträchtige“ Kirche, die die Menschen „verdorben“ habe. Der britische Denker Bertrand Russell machte sich über die Vorstellung lustig, es gäbe einen Gott, der uns wie „ein Big Brother im Auge behält“. Gore Vidal, der große Spötter der amerikanischen Literatur, nennt das Christentum „so eine dumme Religion“. Und von Woody Allen ist der Satz verbürgt: „Es gibt nicht nur keinen Gott, schlimmer noch, es ist auch unmöglich am Wochenende einen Klempner zu bekommen.“
Das westliche Christentum hat sich daran gewöhnt, dass es gelegentlich durch den Kakao gezogen wird, auch wenn die Kirchen hin und wieder die Gerichte anrufen. In Deutschland wird alle paar Jahre ein kirchenkritisches Theaterstück verboten, in Österreich wurde 1984 beispielsweise Herbert Achternbuschs Film „Das Gespenst“ beschlagnahmt. In Polen untersagten Gerichte der Künstlerin Dorota Nieznalska, ein Kruzifix zu zeigen, in das ein Penis eingearbeitet war. In Frankreich gab es Bombendrohungen gegen Kinobetreiber, die „die letzte Versuchung Christi“ von Martin Scorsese zeigen wollten und in New York heftige Angriffe gegen das Bild „Yo mama’s last supper“ der Künstlerin Renée Cox, auf dem eine nackte Frau mit zwölf Männern posiert – eindeutig Leonardo da Vincis Letztem Abendmahl nachempfunden. Zuletzt wurden in Deutschland T-Shirts aus dem Verkehr gezogen, die ein gekreuzigtes Schwein zeigten.
Freilich, die Christen müssen sich das grosso modo gefallen lassen, während die Muslime schon bei der kleinsten Karikatur hysterisch reagieren. Nur, ist die Sache so einfach? Ist Religionskritik gleich Religionskritik?
Nicht jeder Spott ist Aufklärung. Wenn die Nazis die jüdische Religion verächtlich machten, dann war das keine Religionskritik, sondern ein Aspekt der mörderischen Judenhetze. Wenn in Indien ein Hindu den Islam oder ein Muslim die Hindus beschimpft, dann würde das kein vernünftiger Mensch „Religionskritik“ nennen, sondern als Teil eines latenten Religionskrieges ansehen, der sich regelmäßig in Pogromen entlädt.
Historisch jedenfalls ist das, was man gemeinhin „Religionskritik“ nennt, etwas das „subversiv von innen“ kommt, wie der Leipziger Philosoph Christoph Türcke formuliert – und sehr oft nicht einmal von areligiösen Menschen, sondern von Leuten, die emotional in das Kritisierte verstrickt sind. Es ist ja kein Wunder, dass die leidenschaftlichsten Kritiker der katholischen Kirche meist Menschen sind, die eine Kindheit als Messdiener hinter sich haben und man sich bei manchem Künstler fragen muss, ob er nun religionskritische oder nicht doch eher religiöse Kunst produziert. Eines der frühesten Exempel der Bibelkritik stammt von einem französischen Landgeistlichen, der zeitlebens brav die Messe gelesen hat.
Kritik, besonders wenn sie sich mächtige religiöse Autoritäten vornimmt, kommt ohne Spott nicht aus. Aber Spott ist auch nicht gleich Spott. „Hohn und Spott“, schreibt Christoph Türcke, „waren stets nur da aufklärerisch, wo Schwache sie als Waffe gegen Mächtige führten.“ Wenn Mächtige oder kulturell Etablierte über Underdogs spotten, dann ist das eine Siegerpose von oben herab, und schrammt hart an rassistisches Ressentiment heran. Türcke: „Worauf es ankommt, sind die konkreten Umstände: Wer verhöhnt wie welche Religion?“
Kurzum: Es macht schon einen Unterschied, ob ein Ex-Muslim den Propheten Mohammed einen „Kinderschänder“ nennt oder ob das die Susanne Winter aus der Steiermark macht, ob die Kritik von einer Ex-Muslimin wie Ayan Hirsi Ali kommt, die sich mit aller Mühe aus den patriarchalen Zwängen ihrer Religion freigekämpft hat oder von spießigen Innenstadt-Bürgern, die über die rückständigen Türken und Araber die Nase rümpfen.
Natürlich hat auch der Islam seine Religionskritik. Schon im Mittelalter gab es islamische Freigeister, Philosophen wie Ahmad Tayyeb al-Sarakhsi, Mohammed al-Razi und viele, viele andere, die ihr Eintreten für Rationalismus oft mit dem Leben bezahlten. In ihrer Tradition stehen Intellektuelle und Künstler wie Salman Rushdie, die Schriftstellerin Taslima Nasrin, oder der ägyptische Islamgelehrte Nasr Hamed Abu Said, der von Religionsgerichten seines Landes als „Häretiker“ verurteilt und zwangsgeschieden wurde (weil eine Muslimin nicht mit einem vom Glauben Abgefallenen verheiratet sein dürfe) und der heute in den Niederlanden lebt. Ein besonders bemerkenswerter Autor ist ein Intellektueller, der – aus Sicherheitsgründen – unter dem Pseudonoym Ibn Warraq schreibt. Als Muslim geboren, hat er seinem Glauben den Rücken gekehrt und in einem fulminanten Werk mit dem Islam abgerechnet. Titel: „Warum ich kein Muslim bin.“ Die Liste ließe sich fortsetzen. Auch die subversive Kritik „von innen“ kann bisweilen überspitzt und ungerecht sein – nur hat die Maßlosigkeit ihre Berechtigung, weil sie die Reaktion auf das Eiferertum und den Konformitätszwang der religiösen Autoritäten ist.
Heißt all das aber nicht im Endeffekt, dass Religionen überhaupt nur von „innen“ kritisiert werden können? Nicht unbedingt. Zunächst: Die Religion der Mehrheit, besonders dann, wenn sie für sich das Recht in Anspruch nimmt, die moralische Ordnung in einer Gesellschaft für alle wesentlich mit zu prägen, kann wohl ohne große Scham auch von Angehörigen einer (religiösen) Minderheit aufgespießt werden. Bestes Beispiel: jüdische Satiriker, die über das Christentum ihre Scherze machen.
Kompliziert wird es aber, wenn etablierte Angehörige der Mehrheitskultur eine Religion angreifen, deren Anhänger vornehmlich einer unterprivilegierten Minderheit angehören. Sakrosankt kann natürlich auch die Religion einer Minderheit nicht sein. Patriarchale Strukturen, die Anfälligkeit junger Muslime für islamistische Fanatiker und der Mangel an Entschiedenheit, mit der muslimische religiöse Autoritäten den Terror der Extremisten zurückweisen – es gibt Anlass genug, ein paar kritische Sachen über den Islam zu sagen. Es kommt aber auf die Zungenschläge und auf die Kontexte an.
Einen Maßstab für alle Fälle gibt es nicht. Und die Kontexte sind fluid, nicht nur von Ort zu Ort verschieden, sie wandeln sich auch mit der Zeit. Nehmen wir nur das Christentum: Als jede Pore des Lebens vom Katholizismus kontrolliert war und die Kardinäle die Kanonen segneten, da konnte eigentlich keine Schmähung beleidigend genug sein. Heute, wo das Christentum in Europa liberalistisch ausgedünnt ist und sich auch fromme Christen wie eine Minderheit fühlen, ist die Verhöhnung billig. Als George Grosz im Ersten Weltkrieg Jesus mit Gasmaske am Kreuz zeichnete, wofür er einen spektakulären Blasphemieprozess aufgehalst bekam, war das beherzte Kirchenkritik – wenn die Popdiva Madonna während eines Konzert aufs Kreuz steigt, ist das eine kalkulierte Pose.
Vor allem aber hat sich das, was als „Religionskritik“ in den Kanon der westlichen Geistesgeschichte einging, nicht als Bashing einer bestimmten Religion verstanden, sondern, wie der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann anmerkt, „als Kritik des religiösen Bewusstseins als solchem“. Es ist ja kein Zufall, dass wir ein Kunstwerk wie Giovanni Da Modenas Fresco „Der Prophet in der Hölle“ (Mohammed wird darauf vom Teufel in den Abgrund gezogen) als Ausdruck der Kreuzzüglermentalität ansehen, während Voltaires Kritik am fanatischen Propheten („ein Kamelhändler“) aufklärerisch verstanden wird. Mehr noch: Religionskritik hat sich nicht darin erschöpft, die weltliche Macht der religiösen Autoritäten zu bekämpfen, sie hat in Frage gestellt, was der Glaube als solcher mit Menschen macht: dass er verhindert, dass sie die Welt mit klarem Kopf sehen, dass er sie neurotisiert, weil sie von der Vorstellung stetiger Sündhaftigkeit besessen sind, dass er sie infantilisiert, weil sie sich unter der Beobachtung eines allmächtigen Gottes wähnen, den man sich nur auf Knien nähern darf.
Mit einem Wort: Religionskritik wollte nicht gegen eine Religion hetzen, sondern Menschen schaffen, die sich nicht verhetzen lassen.
Robert Misik.
Geboren: 1966.
Kritischer Denker, Theoretiker, Schriftsteller, Journalist & Blogger.
Lebt meist in Wien, ein paar Monate im Jahr im Waldviertel und gerne ist er auch in Berlin (wo er die 90er Jahre verlebte).
Schreibt Bücher, Kritiken, Artikel und Essays. Z.B. die wöchentliche Videoblog-Sendung „FS-Misik“ auf derStandard.at.
Robert Misik ist ständiger Autor beim „Falter“, „profil“, „Standard“ , "Die Zeit" und der „taz“, wo er gemeinsam mit Isolde Charim die monatliche Kolumne "theorie & technik" füllt.
Er ist Autor verschiedenster politischer Sachbücher, darunter „Marx für Eilige“, „Genial dagegen“ (Aufbau-Verlag), „Halbe Freiheit. Warum Freiheit und Gleichheit zusammen gehören“ (Suhrkamp-Verlag) und „Erklär mir die Finanzkrise“ (Picus-Verlag). Seine Blogs finden sich unter www.misik.at und als „Misiks Meinungen“ auf taz.de; seine wöchentliche Videoblog-Sendung "FS-Misik" auf derStandard.at.
Robert Misik wurde zwei Mal mit dem Förderpreis des Bruno-Kreisky-Preises für das politische Buch ausgezeichnet, 2008 wurde ihm der Österreichische Staatspreis für Kulturpublizistik verliehen sowie 2010 "Journalist des Jahres" in der Kategorie Online, eine Auszeichnung der Zeitschrift „Der Österreichische Journalist“.