Daniel Zipfels Asyl-Roman ist so nahe an der österreichischen Tagesaktualität, dass es weh tut. Aktuell beschäftigt den Autor und Asylrechtsberater die Eskalation der Sprache rund um das Flüchtlingsthema.
Präzise, mit einem Gefühl für Zwischentöne, zeigt der Autor Daniel Zipfel eine neue Perspektive auf ein Problem, das Europa bewegt. Der Autor, der seit vielen Jahren als Asylrechtsberater tätig ist, beeindruckt mit einem Roman zur Flüchtlingsthematik. Fernab jeglicher Klischees zeichnet er das Bild einer untragbaren und hochaktuellen Situation.
Dass Daniel Zipfel nicht nur Autor ist, sondern als Jurist in der Asylrechtsberatung einer großen NGO arbeitet, merkt man seinem ersten Roman „Eine Handvoll Rosinen“ an – und zwar durchaus positiv. Der Mann weiß, wovon er schreibt. Die Geschichte vom Fremdenpolizisten Ludwig Blum ist rund um den Jahreswechsel 2003/2004 in Traiskirchen ansiedelt. Und doch sind gewisse Details und Wendungen so aktuell, dass man meinen könnte, Daniel Zipfel hätte die aktuellsten Entwicklungen inklusive Transporter mit toten Flüchtlingen im Frachtraum schon zu Literatur gemacht, bevor sie passiert sind. „Der Roman zur Stunde“, hier passt das wirklich.
„Eine Handvoll Rosinen“ lässt drei Menschen aufeinander treffen, die alle auf die eine oder andere Weise im österreichischen Asylsystem verstrickt sind. Ludwig Blum ist ein älterer Polizeibeamter, der Asylanträge behandelt und noch einen Restglauben an Gerechtigkeit und „Ordnung“ behalten hat. Einer seiner Kunden ist ein syrischer Flüchtling, der kurz vor der Abschiebung steht. Er hat sich beim Verhör in zu vielen Wiedersprüchen verstrickt, sein Asylgrund wackelt. Und dann ist da noch ein charismatischer holländisch/österreichisch/afghanischer Dolmetscher, Fluchthelfer, vielleicht auch Schlepper, mit den besten Verbindungen. Da, wo sich die Lebens- und Behördenwege dieser drei Menschen fast schon schicksalshaft kreuzen, trifft Verzweiflung auf Bürokratie, Humanität auf den Tod.
Wenn Daniel Zipfel über die Amtsstuben, Verhörzimmer und staubigen Aktenberge der Asylbehörde schreibt, kann man die Angst vor der Abschiebung förmlich riechen. Die Schilderung von legalen und semi-legalen Flüchtlingsunterkünften sind nüchtern gehalten, keine plakativen „weinenden Mütter“, sondern nicht weniger trister Realismus ist das Programm des Romans.
„Eine Handvoll Rosinen“ ist trotzdem nicht zur gutgemeinten aber vorhersehbaren Pflichtlektüre geworden, sondern ein hochspannender Beinahe-Kriminalroman. Das liegt vor allem daran, dass Zipfel gegen alle vermuteten Vorhersehbarkeiten anschreibt.
Allen handelnden Personen wird eine vielschichtige Persönlichkeit zugestanden. Statt schablonenhafter „Flüchtlinge“ „Polizisten“ oder „Beamte“ treten echte Menschen mit durchaus ambivalenten Persönlichkeiten und individuellen Biografien auf. Niemand ist ausschließlich böse oder edel. Die Wirklichkeit der österreichischen Asylpolitik verändert die Menschen, die direkt mit ihr tun haben. Manche wie Ludwig Blum, dieser ordnungsliebende, gesetzestreue Beamte, gehen daran zu Grunde.
Daniel Zipfel, Jahrgang 1983, hat sich schon 2007 mit einer Kurzgeschichte für den FM4 Wortlaut in die Top 10 geschrieben. Nach einer ganzen Reihe Texten im kürzeren Format legt er jetzt mit „Eine Handvoll Rosinen“ einen gekonnten Debütroman vor und eröffnet damit auch die neue Literatur-Schiene des österreichischen Sachbuchverlags Kremayr-Scheriau. Wie spannend und leichtfüßig es Zipfel schafft, konkrete Tagespolitik in Literatur zu überführen, ist in der gegenwärtigen Autorenlandschaft durchaus außergewöhnlich. Fakt und Fiktion ergänzen sich, bedingen einander, „Eine Hand voll Rosinen“ enthält eine hohe Dosis österreichische Wirklichkeit, die auch in der Literatur immer wieder notwendig ist.