Jakob Zimmermann hat große Pläne. Den Stempel des Ausnahmetalents lehnt er aber ab. Mit Daniel Ismaili traut er sich was: Klavier mit Schlagzeug, kein Bass weit und breit. Aber mit großen Vorbildern - incl. Brad Mehldau.
Klavier mit Schlagzeug, kein Bass weit und breit. Was auf den ersten Blick neuartig scheint, wurde bereits von Großmeistern ihrer Disziplin – wie etwa Yaron Herman zusammen mit Ziv Ravitz, oder Brad Mehldau mit Mark Guiliana – vorgezeigt. In Tirol musste das Zustandekommen einer solchen ungewöhnlichen Formation bisher bestenfalls dem plötzlichen on-stage-Herzversagen des Bassisten geschuldet sein. Das ändert sich nun. Was Daniel Ismaili und Jakob Zimmermann vor etwa einem Jahr gestartet haben, ist unserer Jazzszene zwar nicht ganz fremd, wenngleich nur dürftig ins musikalische Geschehen integriert.
Wenn die beiden aufstrebenden Jungmusiker Daniel Ismaili (24) und Jakob Zimmermann (17) etwas vereint, so ist es der profunde musikalische Zugang, der sich zu erkennen gibt, wenn die beiden auf der Bühne abtauchen. In ebendiesem Moment verlieren die ausgefeilten Kompositionen ihre Komplexität, ihre Akribie, und gewinnen eine Leichtigkeit, die mitreißt. Das gelöste Miteinander der beiden Musiker bildet den Grundstein für jenes Wunder, das der Atmosphäre eines jeden Konzertabends vorbehalten ist. Das technisch-versierte, umsichtig-sensible und intuitive Zusammenspiel der zwei Nachwuchstalente ist voll von Raffinesse, es zeugt gewissermaßen von der unsichtbaren Symbiose aus Körper und Geist, die besonders der improvisierten Musik innewohnt. Die rhythmischen Konturen des Programms verlieren sich mitunter in diffusen Klangnebeln. Das eine Mal werfen sie in minimalistischen Klaviereinlagen ihre Anker, das andere Mal finden sie in bewegenden Schlagzeugsoli ihr erneutes Aufleben. Möchte man die musikalische Ausrichtung dieses Duos mit Religion wägen, so wäre sie vermutlich atheistisch. Im Entstehungsprozess bedient sich die Musik der beiden Kompagnons des Raumes unbegrenzter Möglichkeiten – fernab aller Genres. In der bedient ihre Musik keine Klischees, sondern einzig und allein das Herz des Hörers, den stillen Melancholiker wie den Grooveliebhaber.
Was Jazz so unwiderstehlich macht ist der Widerspruch. Bodenlose Melancholie trifft auf atemlose Lebenslust. Welche andere musikalische Ausdrucksform vereint Sentimentalität so gekonnt mit koketter Lässigkeit?
Jakob Zimmermann, das 17-jährige Tiroler Klaviertalent mit der Harry Potter-Brille, ist ein unerwarteter Meister dieser oft paradoxen Zwischentöne. In der heimischen Jazz-Szene längst umjubelt, ist er der breiten Masse noch weitgehend unbekannt. Sein YouTube Kanal hat aktuell rund 530 Abonnenten.
Geboren zur Jahrtausendwende im Vorarlberger Bludenz, dann wohnhaft in Tirol, bringt er sich als Autodidakt das Akkordeon bei. Zwar nimmt er für ein Jahr Klavierunterricht, wird aber wegen "konstanter Nichtbereitschaft für das Üben langweiliger Kinderlieder" des Unterrichts verwiesen. Mit 12 Jahren macht er Bekanntschaft mit seiner musikalischen Liebe, dem Jazz, im Rahmen der Outreach Academy in Schwaz, einem von international erfolgreichen Musikern geleiteten Jazzmeeting.
Outreach legt den Grundstein für Jakob Zimmermanns Karriere. In Schwaz lernt er von Musikgrößen wie dem Posaunisten Craig Harris und dem Komponisten und Pianisten Pete Drungle, und 2014 gewinnt er dort das Young Master-Stipendium. In den darauffolgenden Jahren nimmt er fallweise Unterricht am Tiroler Landeskonservatorium, das Meiste aber lernt er online, beim Transkribieren von Musik. 2015 gründet er das Jakob Zimmermann Trio mit Simon Springer am Schlagzeug und Clemens Rofner am Bass.
Das Jazz Fest Wien ist eine Institution, die seit 1991 Legenden der internationalen Musikszene wie Miles Davis und Dizzy Gillespie in die Hauptstadt holt. Während die Stars die Staatsoper füllen, gehört die Bühne des Porgy & Bess, einem traditionsreichen Jazzclub im ersten Bezirk, den Newcomern. Das Lokal hat Flair. Unverputzte Betondecke, grauer-ehemals-blauer Teppichboden, darauf scheinbar willkürlich platzierte dunkelrot-bezogene Stühle. Von der Bar dringt das Klirren von Gläsern, aus dem Backstage-Raum schallen dumpfe Klaviertöne. Auf die kleine, in blaues Scheinwerferlicht gehüllte Bühne gepfercht sind ein Flügel, der Bass und das Schlagzeug. Es fühlt sich intim an.
"Wir werden heute viel Musik spielen und wenig reden", sagt Jakob Zimmermann, und dann setzt er sich und spielt mit einer Tiefe an Gefühl, die seinem Alter eigentlich nicht zusteht. Das Gesicht verborgen, leicht vornübergebeugt, seine langen, blonden Locken fallen sanft auf seinen Rücken. Keine großen Gesten, kein Pathos. Der Junge am Klavier, so scheint es, nimmt das Publikum gar nicht wahr. Und auch die Zuschauer sind in ihrer eigenen Welt. Geschlossene Lider, wippende Füße, ein See an Kopfkinos.
Die Setlist umfasst ausschließlich Zimmermanns Eigenkompositionen, und zeugt mit Inspirationen aus Pop, Blues und Klassik von seiner unglaublichen musikalischen Wendigkeit. Ebenfalls grandios, begeistern Simon Springer und Clemens Rofner mit virtuosen Soli. Leichtfüßige Improvisationen und unvorhersehbare Rhythmen halten die anspruchsvollen Zuschauer auf Trab. Ein junger Mann neben mir versucht hartnäckig den Takt eines Stücks zu entschlüsseln, am Ende tippt er auf "6/4 mit Zäsur".
Gleichzeitig, und das ist ein Kunststück, ist die Musik eingängig genug für Jazz-Neulinge. "Dinkel Mehldau" hat ein besonders einprägsames Motiv, von deren Plattform aus Zimmermann sich auf melodiöse Erkundungstour begibt. Ominös-zurückhaltend beginnt "Eternal Colors", um dann umso überraschender in fast heiterer Leichtigkeit zu münden, während das Stück "Oide Funsn" vom ersten Takt an mit viel Intensität auf ein finales, aggressives Schlagzeug-Solo zusteuert. Eines der beiden Lieder ist dem unvergleichlichen Chick Corea gewidment, das andere der Lateinlehrerin.
Jakob Zimmermann hat große Pläne. Den Stempel des Ausnahmetalents lehnt er aber ab: "Ich würde mich niemals als Genie bezeichnen. Ich weiß, was ich kann. Aber im Vergleich dazu, was ich nicht kann, ist das ein Staubkorn im Universum", erzählt er der Tiroler Tageszeitung.