Während der Kanzler am frühen Morgen über den Dächern der Stadt an seiner letzten Rede feilt, hört er wieder einmal die mahnenden Worte seiner Mutter: „Allen Menschen Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann!“
Morgengrauen über den Dächern der Stadt. Die Vögel begrüßen den neuen Tag, aber heute Morgen geht die Sonne unter. Der Kanzler, einst Ho nungsträger der Partei, wird am Abend nach verlorener Wahl der Politik den rückgratlosen Rücken kehren. Den Feind in den eigenen Reihen, eine hochbezahlte, aber unglückliche Markenpositionierung und eine dreibeinige Hündin - mehr brauchte es nicht für einen Erdrutschsieg. Und der Kanzler stand genau darun- ter, am Ende des Erdrutsches, dort, wo das Geröll und der übelriechende Schlamm zu liegen kamen. Politik ist eben ein beinhartes, ein schmutziges Geschäft. Vielleicht hätte er sich doch öfters einer „Jagdgesellschaft“ anschließen sollen, um krisensichere Seilschaften zu knüpfen. Wie gerne hätte er gestaltet und die Weichen für eine bessere Zukunft gestellt, aber die The- men gaben stets die Hyänen in den Medienkonzernen und die momentane Stimmung in der Bevölkerung vor. Politik wäre ja so einfach, wenn es nur diese lästige Bevölkerung nicht gäbe. Anstatt zu agieren, hatte der Kanzler stets nur zu reagieren. Regieren und reagieren. Klingt zwar ähnlich, ist aber etwas ganz Anderes.
Und während der Kanzler am frühen Morgen über den Dächern der Stadt an seiner letzten Rede feilt, hört er wieder einmal die mahnenden Worte seiner Mutter: „Allen Menschen Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann!“
Roland Düringer: Die letzten Tage der Zweiten Republik
STEFAN WEISS // der standard // 20. Oktober 2017
48.000 Stimmen, etwa ein Prozent, konnte Roland Düringer bei der geschlagenen Nationalratswahl für sein Politprojekt Liste Gilt gewinnen. Aus der angepeilten Massenmobilisierung jener 20 bis 30 Prozent, die sich aus verschiedenen Gründen aus dem System der Repräsentantenwahl ausgeklinkt haben, wurde demnach nichts. Immerhin: Das Düringer-Vehikel mehr direkte Demokratie findet seit Jahren auch in anderen Parteipapierln seinen mehr oder weniger ehrlich gemeinten Niederschlag. Das allgemeine Misstrauen gegenüber den gewählten Repräsentanten des Volkes war es, das den Kabarettisten und selbsternannten Volksschauspieler Düringer seit 2011 aus seinem gut eingeübten Trott zwischen Schwerbenzinhobbys, Fleischhaubenpflege und Bizepsbehandlung ausscheren ließ, um sich Haar für Haar die Welt der gesunden Ernährung, der Askese, der schonenden Körperpflege und der grundlegenden Systemhinterfragung zu erschließen. Scheitern seiner Liste Dass dieser durchaus nachvollziehbare Sinneswandel, den Aussteiger von links bis rechts seit jeher gern im Stillen vollziehen, bei der Bühnen- und Filmikone Düringer nicht im Individualismus verharren konnte, sondern mit aller Kraft volksaufklärerisch medial nach außen musste, war klar. Ebenso klar dürfte Düringer – so viel Realismus muss sein – das Scheitern seiner Liste am Parlamentseinzug gewesen sein. Denn für die unmittelbare Zeit danach war bereits das neue Kabarettsolo Der Kanzler angekündigt.
Am Donnerstag hatte Düringer damit Premiere. Um die Liste Gilt ging es dabei nicht. Vielmehr sollte mit der rot-schwarzen Proporz- und Föderalismusherrschaft, die spätestens dann in Verruf geriet, als es nichts mehr zu verteilen gab, aufgeräumt werden. Kanzler im Morgenmantel Wir erleben Düringer als abgebrühten Kanzler im Morgenmantel, der am Tag seiner absehbaren Wahlniederlage an einer Rücktrittsrede feilt, die – wie immer – möglichst wenig aussagen und noch viel weniger bedeuten soll. Bei dieser Gelegenheit erklärt uns der Kanzler die ungeschriebenen Gesetze der hiesigen Realpolitik in einer Rückschau auf seinen Aufstieg und Fall. Gestreift wird eine Vielzahl an zur Kenntlichkeit entstellten politischen Erwerbsbiografien dieses Landes, vom schwarzen Provinzkaiser, der Pfarrer und Lokalschreiberlinge wie Bratwürstel zum Frühschoppen verputzt, über willfährige Lakaien, die Regenschirme über Politköpfe halten, bis hin zu Bundesministern, die von ihren Beratern wie Aufziehpuppen bedient werden. Politik heißt, so Düringer, "die richtige Kommunikation zur richtigen Zeit": das Gummistiefelbild, die Schlagzeile. Schwer im Magen liegt allerdings, dass Düringer selbst bei der Wahl der Bilder Sensibilität vermissen lässt. So wird die Migrationskrise im Stück zu einer Hundeplage. Das Spiel mit jüdischen Namen (statt Silberstein ist es hier ein PR-Berater Goldman) hatten im Wahlkampf auch Kurz und Pilz bedient. Analytisch treffend Abgesehen davon ist Der Kanzler eine analytisch treffende, wenig überraschende Nacherzählung über die Verhältnisse in diesen vielleicht letzten Tagen der rotschwarzen Zweiten Republik. Viel zu lachen gibt es nicht, Spannung ist trotzdem da. "House of Cards für Arme" würde womöglich Noch-Kanzler Kern dazu sagen.