Musikalische Poesie zum Achermittwoch: Senkrecht aus der Schweiz // Als „Akustik- Punk für Mädchen“ würden manche seinen Sound betiteln - erzählt Pippo's Sohn und grinst laut. SUPPORT Steiner & Madlaina
Die Musik eines guten Singer/Songwriters besitzt immer auch etwas Heimeliges: Songs wie eine warme Jacke, eine Stimme wie das Nach-Hause-Kommen nach einer langen Reise. Lauter Attribute, die auch auf den Anfang-Zwanzigjährigen Faber aus Zürich zutreffen – und dennoch, etwas Entscheidendes ist anders hier...
Die von Akkorden begleitete Gefälligkeit des Genres stellt etwas dar, was der Typ mit dem verschmitzten Blick so gar nicht mit seinen Kollegen teilen will. So ist es gerade der bewusste Verzicht darauf, der ihn zu einem der interessantesten, ja, aufwühlendsten Talente der Schweizer Musikszene werden lässt. Denn Musik und Texte des Zürichers, der eigentlich Julian Pollina heißt, besitzen Widerhaken, es geht an keiner Stelle darum, sattsam bekannte Befindlichkeiten zu paraphrasieren. Kein egaler „Glaub an Dich“-Scheiß, ein Stück wie „Wer nicht schwimmen kann, der taucht“ begegnet dem verstörenden Flüchtlingsdrama am Mittelmeer eben auch mit verstörenden Mitteln - überhaupt glänzt Fabers Lyrik gern mit Brecht‘schem V-Effekt. Hier werden Gewissheiten in Frage gestellt, es wird sich selbst aufs Glatteis gelockt. Denn mal ehrlich... nur relaxed mit Klampfe und C-Dur am Kaminfeuer sitzen, das wäre doch einfach zu langweilig.
So erfüllt sich dann auch gerade live Fabers Punkbackground. Neben ruhigen und ergreifenden Momenten nimmt sein Folk immer wieder rasante Fahrt auf, wobei das Setting mit Bassist und einem Drummer, der gleichzeitig (!) Posaune spielt, zusätzlich zu Fabers Gesang und Gitarre stets etwas von einem durchgeknallten Straßenmusik-Happening besitzt. Als „Akustik- Punk für Mädchen“, würden manche daher ihren Sound betiteln, erzählt Faber und grinst.
Faber. Eigentlich heißt er Julian Pollina und ist der Sohn des sizilianischen Songwriters Pippo Pollina.
Doch Faber aus der Schweiz ist der Hype, den man hören muss, um es glauben zu können: Der 23-Jährige singt wie ein notgeiler 53-Jähriger. Und es funktioniert.
Die Leute sagen immer: Alles kommt irgendwann wieder. Damit meinen sie: Alles Schlechte kommt irgendwann wieder. Im Falle des Liedermachers und Geschichtenerfinders Faber bedeutet das: Akustikrock mit Gehobel und vielen Spänen. Marsch- und Blasmusik aus teutonischer Unterwelt. Polka-Versatz und Klezmer-Reste aus dem Erfahrungsschatz eines Sommers voller Erasmus-Partys. Säuferromantik und Kotz-ins-Taxi-Realismus. Kurzum: Pop der groben Arbeit und Gefühle, verteilt auf den Wuschelkopf eines 23-jährigen Schweizers und die Schultern seiner topversierten Backing-Band. Faber ist zunächst einmal der Hype, den man nicht hören will.
Er ist aber auch: der Hype, den man hören muss, weil man ihn sonst nicht glauben kann. Alles, was sein Debütalbum Sei ein Faber im Wind an musikalischen Aufmerksamkeitserregern ankarrt, wird bedeutungslos, sobald Faber den Mund aufmacht. Dann singt er Triebtätertexte über kleine Mäuse und dumme Schafe, reimt "big screen" auf "tits seh'n" und "sechzehn" auf "Sexszenen". Die Songs dazu nennt er Wem du's heute kannst besorgen und Brustbeinearschgesicht. Seine Stimme soll lebensgegerbt klingen. Man kann damit aber auch Babys zum Lachen bringen.
Faber ist Sprachgewalt im doppelten Wortsinn. Das Talent für Timing und gossenpoetische Punchlines kann ihm keiner nehmen. Seine Texte sind auf schlaue Weise dumm, sie flirten mit Grenzüberschreitungen, die im deutschsprachigen Pop eigentlich undenkbar sind – und vollziehen den vermeintlichen Tabubruch zielsicher im Moment des größten Effekts und Vergnügens. Zigtausend Konzertbesucher und zukünftige Plattenkäufer sind dieser Masche bereits verfallen. Auch das Feuilleton freut sich mehrheitlich, weil es endlich mal wieder härter rangenommen wird als von Tim Bendzko, Mark Forster oder Philipp Poisel.
Sei ein Faber im Wind beginnt mit einer windschief getröteten Ouvertüre, und gleich hat man die Mannheimer Popakademie in Verdacht. Die Wahrheit ist: Zürich, Kantonsschule Stadelhofen. Faber ist dort aufs Musikgymnasium gegangen, er heißt eigentlich Julian Pollina und ist der Sohn des sizilianischen Songwriters Pippo Pollina. (Italiener und Schweizer dürfen jetzt ausrasten.) Seinen nölenden, leiernden Gesangsstil brachte Faber mit Italo-Schlager auf Wettkampfhärte: Als Hochzeits- und Restaurantsänger begann er, die Pausen zwischen den Worten wegzulassen. Vielleicht musste er auch einfach viel trinken, um den Job auszuhalten.
Vor und nach Feierabend schrieb Pollina jene Faber-Songs, die nun mit Salsa-Rhythmus und Saloon-Geklimper, Plattensammlung und Netflix-Account klotzen. Der Klavierwalzer Lass mich nicht los schleicht im Stil einer Mörderballade von Nick Cave voran. Das Titelstück des Albums kopiert den behänden Gitarrenstil des frühen Leonard Cohen. In Paris brennen Autos hat sich die Titelmelodie der Fernsehserie Narcos gemerkt. Für eine Platte zwischen Suff, Bordstein und Puff erledigt Sei ein Faber im Wind seine Hausaufgaben mit bemerkenswerter Gründlichkeit.
Fassen wir also zusammen: Faber ist ein 23-Jähriger, der wie ein notgeiler 53-Jähriger singt und zu Eros Ramazzotti aufblickt, einem echten notgeilen 53-Jährigen. Beides hält er für vollkommen unbedenklich. Sein Stil ist Typ Lederjacke mit versifftem Unterhemd: Wanda ohne Reißbrett vorm Kopf. Die Versuchung ist groß, Fabers Musik mit den Worten Ufftata und Bumsfallera zu beschreiben. Im besten Fall wiederholen seine Songs Sätze, die Männer in Kneipen lallen, kurz bevor sie am Zigarettenautomaten zusammenbrechen. Im schlimmsten Fall tun sie dasselbe und riechen dabei nach Axe-Deodorant.
Warum funktioniert das? Sicher nicht, weil Faber zweimal die Pflichtschuld packt. Als hätte er im Wartezimmer seines Urologen durch den stern geblättert, geht ihm mit den Songs In Paris brennen Autos und Wer nicht schwimmen kann, der taucht ein gesellschaftskritisches Licht auf. Hurrapatriotismus, Flüchtlingskrise, Erste-Welt-Apathie – Mann, das gibt es ja auch noch! Für die Zukunft von Faber spricht, dass ihn Sprach- und Beobachtungsgabe auch dann nicht verlassen, wenn er aus seiner Schmuddelwelt heraustritt. Lange hält er es aber nicht aus da draußen. Neuer Schmerz braucht neuen Schnaps.
Fabers Erfolgsgeheimnis ist viel einfacher. Seine Musik funktioniert, weil er ein guter Verkäufer ist. Er dreht einem Dinge an, von denen man dachte, sie nicht mehr zu brauchen: das ganze Rummelplatz-Tamtam, das selbstbestrafende Säuferding, den einsamen Rockstar mit extradicken Eiern. Nicht einmal schlecht fühlt man sich, während man das schluckt: Wenn Faber mit seinem Brustbeinearsch-Song von Hormonstau und Berufsverkehr erzählt, beklaut er dafür Deep PurplesChild In Time, die größte Hodenklemm-Hymne aller Zeiten. Ist das am Ende noch subversiv gemeint?
Wahrscheinlich nicht, aber man kann es sich immerhin einreden. Faber dürfte auch deshalb einigermaßen ungeschoren aus der Huren-Debatteentkommen sein, die den hiesigen Popdiskurs in den vergangenen Wochen bestimmte. Wir erinnern uns: Die Chemnitzer Band Kraftklubhatte in ihr Lied Dein Lied das Wort Hure eingebaut und damit einen Streit darüber ausgelöst, was man als Popgruppe singen darf und wie es gemeint sein muss. War das, insbesondere im Kontext eines typischen Kraftklub-Mitgröl-Refrains, ein Aufruf zum slut-shaming? Oder einfach ein missglücktes, aber verzeihliches Rollenspiel?
Beleidigende und herabwürdigende Worte verwendet auch Faber, wenn er über Frauen singt. Er tut das nur viel öfter und überzeugter als Kraftklub. Gerade deshalb scheint es den Leuten bei ihm leichter zu fallen, von einem Chronisten auszugehen, der in ein bestimmtes Milieu abtaucht, ohne alles gutzuheißen, was dort gesagt und getan wird. Den Salat hat Faber trotzdem: Längst verkörpert er die Hoffnung auf einen neuen Popmacho, der Türen eintritt statt anzuklopfen und BHs wegreißt, wo andere am Verschluss verzweifeln. Ziemlich große Rolle für einen jungen Mann, der doch nur trinken, vögeln und Blasmusik machen will.