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Kulturprogramm für Stadtbenützer

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STEFANIE SARGNAGEL: STATUSMELDUNGEN // IN 80 TAGEN AUS DEM BETT

STATUSMELDUNGEN // In 80 Tagen aus dem Bett.
STEFANIE SAGRNAGEL kommt aus dem Internet und ist, mit Ausnahme von Rainald Goetz und seinem Online-Tagebuch «Abfall für alle», die erste deutschsprachige Autorin, die im Netz eine Form für sich gefunden hat, die passt, als Literatur funktioniert und über die bisherigen Kanäle ein großes Publikum erreicht. Stefanie Sargnagel schreibt radikal subjektiv und sehr weise über das sogenannte einfache Leben, über Feminismus, über Aussichtslosigkeit und Depression. Stefanie Sargnagel gibt sich wortkarg, gerät aber doch immer wieder ins Erzählen, zeichnet zwischendurch auch mal was, sprengt alle Genregrenzen und erreicht auf nie betretenen Pfaden etwas, das man nicht Roman nennen muss, um davon gefesselt zu sein. Das ist oft zum Brüllen komisch und manchmal tragisch. Ihre Texte sind wie ein Gipfeltreffen zwischen Christine Nöstlinger und Heinz Strunk, aus denen beide mit einem Mordskater hervorgehen.
«Ich bin ja jetzt Autorin, und mit jedem Euro, den ich dadurch verdiene, wird mein inneres Poesievögelchen schwächer. Es schluckt die Münzen gierig, bis es nicht mehr fliegen kann, weil sie so schwer sind, und so landet es Flügelschlag für Flügelschlag auf dem Boden der Realität, auf dem es keine Phantasie gibt, nur Hundekot, Energydrinks und Umsatzsteuern. Mit jedem Satz, den ich für Bezahlung schreibe, erlischt in mir ein kleiner, lieber Stern. Lohnarbeit ist Demütigung, immer und ausnahmslos. Ich möchte nicht arbeiten, ich möchte meine Zeit mit Nichtstun verbringen, ich bin eine Außerirdische, ich bin der Mondmann, ich will mir alles in Ruhe anschaun hier auf der Erde. Ich möchte lieber Gelehrte sein, nur ohne die anstrengende Leserei oder ich möchte Asketin sein, aber ohne den ganzen Verzicht.
Zu erzählen habe ich auch nichts mehr außer: ‹Da muss ich noch das Schreiben und ein Formular ausfüllen, Rechnungen heften, Krankenkassa überweisen, und dann kauf i ma des vom Iglo. Des is guat. Das waam i ma auf. Des Schlemmerfilet. Guad is des.›»

Stefanie Sargnagel:

Wegweiser aus der digitalen Lumpen-Boheme

Schriftstellerin Stefanie Sargnagel
Rotkäppchen, Großmutter und böser Wolf in einem
Hier wird nicht der Glanz, hier wird das Elend übertrieben: Stefanie Sargnagel hat ihre "Statusmeldungen" gesammelt. Ein Facebook-Superstar aus Österreich im Porträt.
Von Kerstin Grether / SPIEGEL ONLINE

"Manchmal hab ich Albträume, dass ich eine Kunstfigur bin, die unter den Augen hunderter Fremder ihr Leben dokumentiert." In ihrem neuen Buch erzählt Stefanie Sargnagel, dass ihre Therapeutin jetzt ständig mit ihr über das Rotkäppchen-Märchen reden will, weil die rote Baskenmütze ja ihr Markenzeichen ist. Auch jetzt trägt sie sie, beim Treffen in einem Café in Berlin-Mitte, dazu aber ein enganliegendes, schwarzes Biedermeier-Kleidchen mit dem rüschigen weißen Oma-Kragen. Damit spielt ihr Aussehen an auf alle Figuren aus dem Märchen: Rotkäppchen, Großmutter und der böse Wolf in einer Person.
Das Interessante: Sie schreibt in ihrem neuen Buch "Statusmeldungen" auch genau so. Angriffslustig und weise zugleich, und mit dem nötigen Gespür für die Gedemütigten und Gefressenen. Auf diese Weise holt sich das Mädchen aus der Arbeiterschicht immer wieder selber aus der Scheiße raus.
Ganz egal wie demütigend die Situationen sind, die sie beschreibt, wie trashig das Essen und wie bedrückend das TV-Programm, man geht auf wundersame Weise gestärkt aus der Lektüre hervor. Das liegt auch daran, dass alles, was sie da scheinbar aus dem Bauch heraus notiert, sehr genaue und wache Beobachtungen sind. "Statusmeldungen" ist der erste große Pop-Roman ohne Popmusik und ohne Roman. Hier wird nicht der Glanz, hier wird das Elend übertrieben. Dafür liebäugelt die Autorin humorvoll mit Klassenkampf und Feminismus, ohne dass das gleich Sargnagels Lebensthemen wären.

Wenn es jemals Sinn gemacht hat, ein Buch "Statusmeldungen" zu nennen, dann bei diesem Major-Debüt. Denn die Frau mit dem Faible fürs Faulenzen hat nicht nur aus sich selber etwas gemacht, sondern eben auch aus ihren Statusmeldungen bei Facebook, die sie seit acht Jahren täglich mit Frauen, Fahrten, Abenteuer füllt. Auch ihre ersten drei Bücher "Fitness" , "Binge Living" und "Am Ende sind wir alle tot", in kleinen Verlagen erschienen, waren schon kleine, entzückende Wegweiser aus dem Alltag der digitalen Lumpen-Boheme. Man gewinnt den Eindruck, dass sie ein bisschen mehr über Status, Klasse und Privileg weiß als die meisten anderen Humoristen in diesem Land, deren Humor von einer panischen Angst vor der politischen Korrektheit geprägt ist. "Man hat ein anderes Realitätsbild, wenn man aus einer Arbeiterfamilie kommt, aber auf einem bürgerlichen Gymnasium war. Ich kenn halt beides", sagt sie.
Im Buch heißt es dazu: "Mein Vater ist heute auch bei einem Verlag, wie ich. Er repariert dort die Heizungen." Die Tochter einer alleinerziehenden Krankenschwester sagt: "Ich habe das Gefühl, ich habe lustigere Sprüche drauf als Leute aus höheren Schichten. Oder trau' mich, andere Sachen zu sagen. Irgendwie direkter, umgangssprachlicher. Ich würde es gar nicht vulgär nennen, aber so wird's halt wahrgenommen."
Sie koppelt dieses Talent fürs Komische an zeitgenössische, intersektionell-feministische Diskurse. Diejenigen, die lachen, merken vielleicht gar nicht, dass sie ausnahmsweise mal nicht auf Kosten diskriminierter Gruppen lachen, sondern mit einer kleinen lustigen Comicfigur über die große wilde Abenteuergeschichte, die das Leben selber ist. Es ist diese gelungene Melange aus Innenansicht und Außen-Radau, derentwegen dieses Buch als Literatur funktioniert. Denn während man noch in den Seilen und den Gedanken der Protagonistin hängt, übernehmen die absurden Anrufer bei der Rufnummern-Auskunft den Text. Die Autorin verteidigt ihre Protagonisten: "Es gibt halt auch viele schrullige Leute, die waren jetzt nicht alle dumm. Manche checken einfach nicht, wie man Sachen kommuniziert, wenn man bei einer Hotline anruft." Aber zurück zu ihrem Alltag als Facebook-Superstar.
"Gibt es auch Leute, die überrascht davon sind, wie gut du aussiehst, wenn sie dich treffen?" frage ich am Ende des Interviews. 
Es ist schon schwer zu verstehen, dass dieses hübsche Girl - oder politisch korrekter gesagt: diese "normschöne" Person - im Internet so häufig Angriffe wegen ihres Aussehens erleben musste. "Nein, im Gegenteil, ich find's manchmal absurd, wie in der Vergangenheit im Feuilleton mein Aussehen beurteilt wurde. Wenn ich da zum Beispiel an einen Artikel in der 'Zeit' denke. Wenn ich mich jetzt nicht kennen und das lesen würde, würde ich denken, das muss wirklich eine außergewöhnlich groteske und unschöne Erscheinung sein."
"Ich liebe Shitstorms so"
Da hat wohl einer Stefanie Sargnagel 1:1 mit ihrer Kunstfigur verwechselt. Einer Kunstfigur, die sie in "Morgen sind wir alle tot" verlautbaren lässt: "Ich bin kein Energiebündel. Mehr so ein Sack warmer Semmel. Oder so ein Topf Pudding." Sie karikiert damit das Ideal der Selbstoptimierung und des retuschierten Instagram-Beauty-Bilds und kultiviert dagegen den Alltag eines "leicht verwahrlosten Menschen", wie sie es nennt.
"Ich glaube, es ist generell erleichternd und tröstend für Menschen, egal ob Männer oder Frauen, wenn man so über die eigenen Schwächen Witze macht. Sei es Depressionen oder Fressen oder Faulheit", fasst sie ihr Kunstprogramm bei einer zweiten Tasse ungesüßten Kaffees zusammen. Oder, um es wieder mit einer ihrer Statusmeldungen zu sagen: "Ich habe gerade noch genug Kraft mich gehen zu lassen." Vielleicht ist das ja die Antwort der Gegenwart auf Falcos "Die Lebenslust bringt dich um."
Wenn eine Frau so was macht, löst das immer noch spezielle Ablehnung aus. "Ich hatte ein Interview, was in Social Media viel geteilt wurde. Da rauche ich halt. Und dann sagen schon wieder drei oder vier Typen 'igitt'. Aber wenn ein Typ interviewt wird, der ein Bier trinkt, sagt doch auch keiner was."
Teile der feministischen Szene wiederum kritisieren die von Sargnagel mitgegründete Burschenschaft Hysteria, die sich als feministische Antwort auf männerbündlerische Burschenschaften versteht. Das traditionskonservative Konzept von Burschenschaft nur umzudrehen, und eins zu eins auf weibliche Mitglieder zu übertragen, ist tatsächlich problematisch. Denn warum sollte man eine "bitterböse" Form der Gruppenbildung, die man schon bei Männern nicht gut findet, plötzlich gut finden, wenn sie von Frauen kommt?
Es ist der einzige Moment im Interview, an dem Sargnagel Einwände einfach abschmettert und stattdessen beinahe satirisch antwortet: "Ja, wir machen genau dasselbe wie die Männer. Wir treffen uns und singen Lieder. Dabei geht es uns vor allem um Seilschaften und Macht. Eine gewisse Verbindlichkeit, kombiniert mit einem gewissen Pathos, ist schon super. Wir sind 18 Mitglieder aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und helfen uns gegenseitig. Wir wollen das Matriarchat." Wer jetzt allerdings glaubt, morgen stünde das Matriarchat wirklich vor der Tür, nur weil sich in Österreich 18 (einflussreiche) Leute treffen, kann sich vielleicht damit trösten, dass Sargnagel gerne Witze macht.
Am nächsten Tag liest sie im linken Café Laidak in Neukölln vor der versammelten Hauptstadtpresse. Entgegen ihrer Selbstbehauptung, faul zu sein, moderiert sie sich wie eine Stand-up-Comedian durch die Lesung und erzählt fleißig zu jedem ihrer lustigen Sätze eine noch lustigere Geschichte. "Ich liebe Shitstorms so. Da ist immer was los. Man kriegt so viel negative Energie."Nach der Lesung unterhalten wir uns darüber, welche Auswirkungen Shitstorms auf ihre Seele haben. In diesem Frühjahr etwa wurde sie Ziel einer Hasskampagne der Wiener "Kronenzeitung". "Aber man darf sich auch nicht so fixieren, in Wirklichkeit sind das so wenige Kommentare in der virtuellen Welt", sagt sie achselzuckend. "Im echten Leben hat mich noch niemand attackiert. Also auch nicht irgendwie blöd angemacht auf der Straße, gar nichts. Das würde mir wahrscheinlich schon was ausmachen."
Dann endlich spreche ich sie auch noch auf ihr märchenhaftes Kleid an. "Hast du mit deiner Therapeutin viel über das Rotkäppchen-Märchen geredet?", leite ich ein. "Wir haben das dann sehr schnell gelassen, weil sie gemerkt hat, dass ich das nicht so gerne mag. Man muss ja nicht alles mit Bedeutung aufladen. Viele Dinge sind auch Zufall." Auch das Kleid?"Das ist mein Ronja-von-Rönne-Gedächtniskleid." Sie habe es für 12 Euro bei Zara in Klagenfurt gekauft, wo sie derzeit als Stadtschreiberin lebt. "Weil ich dachte, wir würden sowieso miteinander verglichen werden. Ich habe es aber damals nicht gefunden, erst heuer. Ich bin zwar kein Fan von ihr, aber ich mag ihren Kleidungsstil."
tefanie Sargnagels Erfolg bei einem breiteren Publikum (der über die linken Zusammenhänge, aus denen sie kommt, weit hinausreicht) beweist, dass die feministischen Kämpfe und Bewegungen dieses Jahrzehnts bereits eine nachhaltige Veränderung im Bewusstsein bewirkt haben. Auch in der deutschen Literaturbranche herrschte viel zu lange die Auffassung, dass Romane aus der Perspektive von feministisch denkenden Protagonistinnen sowieso keine richtigen Romane sein können, weil den Protagonistinnen die Entwicklungsmöglichkeiten fehlen.
Nachts um halb drei, zurück in Mitte, holt sich Frau Sargnagel Bei einem Imbiss gegenüber ihres Hotels schnell noch was zum Essen, bevor sie als kleiner roter Punkt durch die Straßenbahnabsperrungen klettert und im Hotel verschwindet.

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