ziemlich FREMDENVERKEHRT: Ein ehemaliger Kabarettist // Ein Tiroler Abend // Ein verwegener Plan von Touristikern // aber: GARANTIERT SCHNEESICHER - dank klimawandel und schwarz/grün II sogar im Sommer.
2017 ist das "UN-Jahr für nachhaltigen Tourismus und Entwicklung".
Unzählige Gespräche mit Praktikern im und rund um den Tourismus.
Unzählige Stunden der Recherche in den Bezirken.
Unzählige studierte Seiten von Gesetzestexten, Broschüren & Co.
Eine Recherche, umfassender als zum Programm "Agrargemein".
Ein ehemaliger Kabarettist.
Ein Tiroler Abend.
Ein verwegener Plan von Touristikern.
Eine Geiselnahme.
Schneekanonen waren gestern und reichen schlicht nicht mehr aus– schon bald soll die erste Schneerakete, die unschmelzbaren Kunststoffschnee übers Land bringt, gestartet werden. Auf der Suche nach einem geeigneten Raketenstandort wird man rasch fündig: Der Turm des Innsbrucker Treibhauses soll zum Raketensilo umgerüstet werden.
Das ganze Land steht vor der Entscheidung: dauerhaft Wintersaison ODER dauerhaft Sommersaison? Ist der rote Knopf erst einmal gedrückt, gibt es kein Zurück mehr.
Ein ehemaliger Kabarettist, der längst auf die Präsentation von Tiroler Abenden umgesattelt hat, erklärt daraufhin den Treibhaus-Turm für besetzt. Er will nur eines: Was, weiß er selbst noch nicht.
Um seiner noch nicht klaren Forderung Nachdruck zu verleihen, nimmt er aber zur Sicherheit das versammelte Publikum als Geisel.
TIROLER TAGESZEITUNG. joachim leitner
Markus Koschuh hat umgesattelt: Er gestaltet jetzt „Tiroler Abende“. Schließlich werden auch Kabarettisten hierzulande zur Tourismusabgabe verpflichtet. Und wenn man schon zahlt, dann kann man gleich in die Vollen gehen. Außerdem sind „Tiroler Abende“ – die Anführungszeichen kommen nicht von ungefähr – sowieso Karikatur ihrer selbst. Was Koschuh zu Beginn seines neuen Progamms „Hochsaison“ beinahe schmerzhaft vor Augen führt: Er überreizt die Pein vermeintlich weltläufig ausgestellter Pseudotradition beinahe, spannt den Bogen des Erträglichen bis zum Anschlag. Komisch ist das nicht. Aber erhellend: Koschuh gelingt eine eindrückliche Studie, die alle fidele Umtriebigkeit als krachlederne Verzweiflung enttarnt. Man mag gewusst haben, dass Hüttengaudi und Après-Ski schlechte Scherze sind und im Fremdenverkehr einiges verkehrt läuft. Trotzdem tut es bisweilen Not, drastisch daran erinnert zu werden.
Dass die zünftige Zeltfeststimmung eskalieren wird, darf verraten werden. Dass der Kabarettist und Stanzel-Sänger zum Geiselnehmer werden wird, auch. Den Auslöser dafür hat Koschuh an den Haaren herbeigezogen. So ganz unplausibel ist er freilich nicht, wenn man weiß, was selbsterklärte „Tourismuspioniere“ zum Besten geben, wenn sie von großen deutschen Zeitungen nach ihren Visionen befragt werden.
„Hochsaison“ ist Markus Koschuhs fünftes Kabarett-Programm. Und sein bislang bestes. Das Parodieren hat er inzwischen sein gelassen. Und auch YouTube-Fundstücke gibt es keine mehr. Vielmehr konzentriert er sich ganz auf seine Stärken – und entwickelt in den stärksten Momenten eine im Kabarett dieser Tage seltene Körperlichkeit, die in jedem Zucken, jeder Verrenkung, jedem verqueren „Holladrio“ daran erinnert, dass der Grat zwischen irre und irrwitzig auch für geübte Hochalpinler ein schmaler ist. „Hochsaison“ mag nichts für vergeistigte Feinmotoriker und auch nichts für allzu zart Besaitete sein. Gerade deshalb ist es irgendwie unverzichtbar. (jole)