Klangketten wie Wasserfälle, Tonfolgen, die wie Schluchten, wie reißende Klangströme funktionieren: Die Musik von Lubomyr Melnyk hat stets etwas von Naturgewalten, etwas Erhabenes.
Er ist einer der außergewöhnlichsten Pianisten unserer Zeit: Lubomyr Melnyk. Am 7. Dezember 2018 veröffentlichte Erased Tapes Fallen Trees, das neue Album der musikalischen Naturgewalt, der sein ganzes Leben dem Klavier gewidmet hat und aufgrund seiner einzigartigen Klangsprache auch als „Prophet des Pianos“ bezeichnet wird.
Er selbst feiert nur wenige Tage nach der Veröffentlichung seinen 70. Geburtstag, und auch wenn der Albumtitel nach Herbststimmung klingt, deutet bei Melnyk nichts auf Tempodrosselung oder gar Ruhestand hin: Von der Kritik gefeiert, trat er zuletzt als Co-Headliner im Rahmen der Feierlichkeiten zum 10. Jubiläum von Erased Tapes im Berliner Funkhaus als auch in der Londoner Royal Festival Hall auf – und seine Anhängerschaft ist jetzt, nach so vielen Jahren, nicht nur global und größer denn je, sondern auch kontinuierlich im Wachsen begriffen. Erst jetzt entwickelt seine Karriere jene Dynamik, jenen unglaublichen Sog, den sein einzigartiges Pianospiel schon immer ausgezeichnet hat.
Klangketten wie Wasserfälle, Tonfolgen, die wie Schluchten, wie reißende Klangströme funktionieren: Die Musik von Lubomyr Melnyk hat stets etwas von Naturgewalten, etwas Erhabenes. Auch Fallen Trees wurzelt auf dieser besonderen Bindung zur Umwelt, denn die zentrale Inspirationsquelle war eine lange Zugreise durch Europa. Als der Fernzug schließlich einen düsteren Wald durchquerte, sah Melnyk vor seinem Fenster eine Reihe von kürzlich gefällten Bäumen: „Und sie sahen glorreich aus“, berichtet der Komponist. „Auch wenn man sie getötet hatte, waren sie noch längst nicht tot. Der Anblick hatte etwas Trauriges – aber zugleich war da auch Hoffnung.“ Dieses Gefühl von Traurigkeit, in dem auch Zuversicht mitschwingt, zieht sich denn auch durch das nach den Bäumen benannte Album. Genau genommen hat Melnyk selten Musik aufgenommen, die dermaßen von Melancholie und Bedauern gezeichnet ist – und dabei doch so hingerissen, ja geradezu strahlend anmutet.
Neben Vergleichen mit Steve Reich und der Postrock-Band Godspeed You, Black Emperor!, feierte Pitchfork das 2015 veröffentlichte Album Rivers And Streams für seine „anhaltende Konzentration und ekstatische Energie“. Diese ist auch auf Fallen Trees zu hören, wobei Melnyk hier streckenweise weniger wuchtig, ein wenig leiser klingt, und die dazugehörige Stimmung etwas düsterer, wehmütiger ausfällt. Andere Passagen des Albums muten hingegen kaleidoskopisch an, trotz ihrer tiefen Verwurzelung in den Wundern der Natur: Töne wie fraktales Gestöber, das ein breites Spektrum an Farben und Schattierungen mit sich bringt.
der Franz Liszt der Moderne - Ukraine / Kandada
Der kanadische Pianist Lubomyr (Eugene) Melnyk, der auch als „Franz Liszt der Moderne“ bezeichnet wird, ist einer der innovativsten und faszinierendsten Soundkünstler unserer Zeit und Mystiker in einer Person. Melnyk entwickelte eine Spieltechnik, die er „continuous music“ nennt und die auf einer physisch/mentalen Methode beruht, Töne und Notenabfolgen in einer unglaublichen Schnelligkeit und Dauer zu spielen, die schwindelerregend ist. Er komponierte über zwanzig Klavierstücke und veröffentlichte 16 Alben. Seine Musik jedoch lebt vom Livecharakter. Konzertbesucher berichten oft, Trompeten, Hörner oder ganze Streichorchester während seiner Auftritte aus dem Klavier gehört zu haben. Ein Spiel, bei dem die Seele ins Transzendente abzugleiten scheint und das Hier und Jetzt auf mystische Art überwindet.