2 Bässe, 2 Schlagzeuge, Klavier, 6 Holz- & 6 Blechbläsern - mit 18 weltoffenen Musikerinnen aus Österreich erfüllt sich Christian Muthspiel einen Traum: endlich wieder ein großes Jazzorchster auf höchstem Niveau
Großbesetzungen im Jazz sind rar geworden. Unter anderem durch den Verfall der Gagen im letzten Jahrzehnt geht eine Kultur verloren, welche die Geschichte einer der größten musikalischen Erfindungen des 20. Jahrhunderts mitgeprägt hat: Von Duke Ellington bis Carla Bley, vom Sun Ra Arkestra bis zum Vienna Art Orchestra gehörten großbesetzte Bands immer zum Kanon der improvisierten Musik.
Mit dem 18-köpfigen Orjazztra Vienna erfülle ich mir nun – den Zug der Zeit ignorierend – den Traum eines eigenen Jazzorchesters, den ich seit meinem Weggang vom Vienna Art Orchestra im Jahr 2004 träume.
Österreich und Wien besitzen derzeit eine schier unglaublich dichte Szene junger, großartiger Musikerinnen und Musiker, die in vielen eigenen Bands musizieren, die neugierig, experimentierfreudig, weltoffen und allesamt sehr gut ausgebildet sind und somit auch technisch auf höchstem Niveau spielen.
Zum überwiegenden Teil besteht das Orjazztra aus jungen Menschen dieser heimischen Szene, ist mit doppelter Rhythmusgruppe (zwei Bässe, zwei Schlagzeuge), Klavier, einem sechsköpfigen Saxophon/Klarinettensatz, drei Trompeten, zwei Posaunen und einer Tuba ungewöhnlich besetzt und eher als zeitgenössisches Jazzorchester denn als Big Band zu bezeichnen.
Nach nunmehr 35 Jahren als Komponist, Dirigent und Instrumentalist, immer zwischen den Stühlen agierend bzw. diese regelmäßig wechselnd - vom Leiten zahlreicher Jazzbands bis zum Dirigieren einer Mahler-Symphonie, vom Komponieren für Symphonieorchester bis zur Produktion der Signations für Ö1 –, soll das Orjazztra für die nächsten Jahre nun mein musikalischer Schwerpunkt und die größtmögliche gemeinsame Schnittmenge der Summe dieser Erfahrungen werden:
Ein orchestraler Zugang zum zeitgenössischen Jazz über komplexe Partituren, die gleichzeitig den individuellen Solistinnen und Solisten den entsprechenden improvisatorischen Freiraum geben, klanglich geprägt von einem akustischen, in diesem Fall bewusst elektronikfreien, an den Tugenden klassischen Orchesterspiels geschulten Zusammenklang. (Christian Muthspiel, Jänner 2019)
– saxophones, clarinets:
Lisa Hofmaninger
Gerald Preinfalk
Astrid Wiesinger
Robert Unterköfler
Ilse Riedler
Florian Bauer
– trumpet, flugelhorn
Gerhard Ornig
Lorenz Raab
Dominik Fuss
– trombone
Alois Eberl
Daniel Holzleitner
– tuba
Tobias Ennemoser
–piano
Philipp Nykrin
– bass
Judith Ferstl,
Beate Wiesinger
drums
Judith Schwarz
Marton Juhasz
– compositions, leader
Christian Muthspiel
Zu welcher Tages- und Nachtzeit jemand Ö1 aufdreht – er wird mit Ideen von Christian Muthspiel beschallt. Seit der Steirer die klassischen, dann wieder jazzigen Signations für den Sender komponiert hat, ist er ein Dauerbegleiter für Fans jenes Senders, der "gehört gehört". Der vielseitige Komponist, Posaunist, Pianist und Dirigent hat kurze Stücke ersonnen, die eine Weiterentwicklung vertragen würden. Von seinem neuen Projekt will Muthspiel die Ö1-Miniaturen allerdings freihalten.
Ein akustisches Déjà-vu muss, wer das neue Orjazztra Vienna hört, also nicht fürchten. "Es ist vom ersten Ton an alles neu, ich wollte Neuland betreten." Die Musik des Orjazztra sei auch "komponiert und nicht arrangiert", beharrt Muthspiel auf den Unterschied. "Ich habe komplexe Partituren geschrieben, die dem Begriff Orchester so nahe sind wie dem Begriff Jazz. Ein Jazztune zu arrangieren, ist etwas Anderes, als eine 17-stimmige Partitur zu komponieren."
Carla Bley und das Vienna Art Orchestra, bei dem Muthspiel tätig war, sind Inspirationsquellen, die jedoch zu individuellen Stücken führen sollen. "Ich will jedoch nicht krampfhaft Einflüsse verleugnen. Würde jemand zu mir sagen, das Orjazztra klinge nach Bley, würde ich mich eher freuen als beleidigt sein." Schon die Besetzung mit doppelter Rhythmusgruppe, sechs Saxofonen mit vielen Wechselinstrumenten und einem eher kleinen Blechsatz sei aber sehr individuell "wie auch etwa der Schwerpunkt 'polyrhythmisches Komponieren'."
Vor allem der Begriff "Orchesterkultur" ist Muthspiel wichtig: "Ich meine damit aus der Klassik stammende Tugenden der Interpretation im Sinne von Klangfarben, Dynamik, Phrasierung." Es wundert nicht. Durch das Schreiben für große und kleinere Besetzungen und das Dirigieren opulenter Symphonik sei ihm "der große Apparat recht vertraut. Das heißt: Es löst bei mir Freude aus, ein siebzehnzeiliges Partiturblatt zu beschreiben, da viele grundsätzliche Fragen der Mehr- und Vielstimmigkeit in jeder Musik dieselben sind."
Muthspiel meint dabei die Aspekte Stimmführung, Kontrapunkt, Instrumentation und Balance, und das klingt nach profunder Handschrift. Allerdings "riecht" sein Projekt nach einer Verzahnung von Klassik und Jazz, die einst im Third Stream betrieben wurde und ein heikles Unterfangen blieb. "Das Orjazztra ist eindeutig ein Jazzprojekt, kein Third Stream oder Crossover. Es ist ein Jazzorchester mit hohem kompositorischem Anteil und dem Anspruch an einen gewissen Grad von Komplexität."
Eine noch so leichtfüßig klingende Riesencombo ist natürlich auch von der psychologischen Dynamik her speziell, also heikel. Wenn es da Konflikte gibt, ist der Leiter auch Therapeut, Mediator, Kummernummer. "Als Dirigent hat man immer mehrere Funktionen, aber künstlerische Konflikte können belebend sein", sagt Muthspiel, der keinen Zwist nahen sieht. Er habe vor allem "Lust, mit jungen Musikerinnen und Musikern zu arbeiten, das Durchschnittsalter ist um die 30!".
Durch deren "andere Spielweise und Sicht auf den Jazz – auch aufgrund völlig unterschiedlicher musikalischer Sozialisation als in meiner Generation – spüre ich eine Frische und Qualität, die mich inspiriert." Er habe sich viele Konzerte junger Bands angehört, "um mir ein Bild zu verschaffen, bevor ich – was die musikalische und menschliche Chemie anbelangt – die Band sehr bewusst zusammengestellt habe.
Und dass eine Schlagzeugerin, zwei Bassistinnen und drei Saxofonistinnen dabei sind, "repräsentiert den längst überfälligen Einzug der Frauen in die Jazzszene, welche diesbezüglich der Klassikwelt leider um Jahrzehnte hinterherhinkt." Selbst mitjazzen wird er nicht. "Wäre eindeutig zu viel. Außerdem sind 'meine' zwei Posaunisten so großartig, dass ich eigentlich eher froh bin, nicht mithalten zu müssen."
(Ljubiša Tošić, 21.8,2019)
Er ist einer von Österreichs bekanntesten Jazzmusikern: Posaunist, Pianist und Komponist. Außerdem dirigiert er regelmäßig klassische Orchester und schreibt auch Werke für sie. Jetzt hat Christian Muthspiel, geboren 1962 in der Steiermark, eine neue Herausforderung gefunden: eine Big Band – das ORJAZZTRA VIENNA.
Roland Spiegel, Jazzredakteur des Bayerischen Rundfunks, sprach mit ihm über das Projekt.
Roland Spiegel:
Christian Muthspiel, als wir uns das letzte Mal trafen, sagten Sie mir: „Demnächst werde ich entweder einen Sechstausender besteigen oder eine Big Band gründen.“ Jetzt ist es die Big Band geworden. Ist das einfacher oder schwerer?
Christian Muthspiel:
Was mich mit der künstlerischen und auch organisatorischen Leitung dieser Bigband erwartet, kann ich wahrscheinlich eher abschätzen als die Antwort auf die Frage, wie mein Kopf sich anfühlt auf 5500 Metern, und man hat noch 500 Meter vor sich. Aber solch eine Big Band ist natürlich schon eine große Geschichte.
Etwas, wofür man Mut und ziemlich viel Atem braucht?
Ja, ich habe Respekt davor. Aber ich habe eine wahnsinnig positive Energie dazu. Ich merke richtig: Ich muss das machen.
Obwohl solch eine Big Band schon finanziell ein riesiger Berg ist?
Ich kümmere mich mit Hilfe einiger Unterstützer – also Spendern, Institutionen und öffentlichen Förderungen – um die wirtschaftliche Grundausstattung des Orjazztra, die es erlauben soll, faire Gagen an meine Musikerinnen und Musiker zu bezahlen und das Orchester am Leben zu erhalten. Dass bei dem heutigen, katastrophalen Niveau der Jazzgagen ein so großes Ensemble nicht ohne relevante finanzielle Zuwendungen überleben kann, liegt auf der Hand. All jenen, die uns unterstützen, danke ich herzlichst.
„Ich muss das machen“, sagten Sie gerade. Was treibt Sie da so an?
Ich möchte meine kompositorischen Ideen einfach mal mit meiner eigenen großbesetzten Band umsetzen können. Und diese Band ist interessant: Wenn man mich wegzählt, ist das Durchschnittsalter um die 30, wir sind also sehr jung. Diese jungen Musikerinnen und Musiker haben mich sehr inspiriert. Ich habe mir die verschiedensten Bands und Aufnahmen dieser zum überwiegenden Teil sehr jungen Leute angehört, um herauszufinden, was und wie diese Jahrgänge musizieren.
Ich sehe hier auf der Liste, um nur ein paar Namen herauszugreifen: Lisa Hofmaninger, bei den Saxophonen und Klarinetten, Jahrgang 1991. Astrid Wiesinger, Jahrgang 1988, in derselben Instrumentengruppe. Beate Wiesinger, Bass, 1986. Dann sehe ich einen Tubisten: Tobias Ennemoser, 1991 geboren. Und die Schlagzeugerin Judith Schwarz, Jahrgang 1989.
Ich bin auf Entdeckungsreise gegangen, und das waren die Musikerinnen und Musiker, die ich unbedingt dabeihaben wollte. Diese Besetzung ist bewusst keine klassische Big-Band- Besetzung. Erstens habe ich einen sechsköpfigen Holzbläsersatz. Die spielen alle zwei bis drei verschiedene Saxophone und Klarinetten. Wenn sie alle nur ihr Hauptinstrument spielen, besteht der Satz aus Sopransaxophon, zwei Alt- und zwei Tenorsaxophonen sowie einem Bariton. Und dann eben ein etwas kleinerer Blechsatz mit drei Trompeten, zwei Posaunen und einer Tuba. Und dafür die doppelte Rhythmusgruppe mit zwei Schlagzeugen und zwei Bässen. Das ist schon ziemlich speziell besetzt. Denn ich wollte mich auch als Komponist austoben. Hier kann ich zum Beispiel Besetzungen machen mit drei Bassklarinetten und drei Sopransaxophonen. Und die doppelte Rhythmusgruppe bietet natürlich auch sehr viele Möglichkeiten des Konzipierens oder Komponierens.
Ihre Lust am Komponieren war also der zentrale Aspekt bei der Gründung dieses Orchesters?
Bei den verschiedenen Dingen, die ich die letzten Jahre und Jahrzehnte gemacht habe, ist eigentlich der gemeinsame Nenner wahrscheinlich meine Lust daran, Architekt zu sein. Und in der Musik ist es das Komponieren. Ich vermisse im Jazz immer wieder kompositorische Handschriften. Ich würde mir hin und wieder wünschen, dass viele der wunderbaren Spielerinnen und Spieler, die es heutzutage gibt, öfter auch, was das Komponieren betrifft, sich mehr ins Zeug legen würden. Ich habe vor, mit dieser Band eine wirkliche Orchesterkultur zu entwickeln, die auch daran geschult ist, was ich als klassischer Dirigent mache: also wirklich dynamisch spielen, wirklich an den Klangfarben arbeiten, wirklich an der Phrasierung arbeiten. Bei vielen Big Bands habe ich das Gefühl, dass die Dynamik oft nicht mitgedacht wird mit der Komposition. Das ist in der Klassik aber ein Hauptaspekt des Ausdrucks. Und vor allem auch die Balance innerhalb des Orchesters: Wie stehen die einzelnen Gruppen dynamisch zueinander? Da wird ganz fein austariert. Wann kommt was in den Vordergrund? Wie mischen sich verschiedene Instrumentengruppen? Ich freue mich sehr darauf, an solchen Dingen intensiv zu arbeiten.
Hat jemand wie Carla Bley für Sie eine Vorbildfunktion für die Arbeit mit so einer Big Band?
Carla Bley war eine der Musikerinnen, die überhaupt dafür verantwortlich sind, dass ich Jazzmusiker werden wollte. Es waren vier Konzerte, die das in mir beschlossen haben. Das eine war Albert Mangelsdorff solo. Das zweite die Carla Bley Big Band. Das dritte war das Art Ensemble of Chicago. Und nicht zu vergessen ein viertes Konzert: das Duo Harry Pepl /Werner Pirchner. Als ich 17, 18 war, war klar: In diese Welt möchte ich auch. Das waren alles Konzerte, die ich in Graz gehört hatte. Carla Bley war immer für mich sehr wichtig, vor allem in ihrer Eigenschaft als Komponistin. Sie hat innerhalb der Tradition des Jazz ihre eigene Handschrift gefunden. Die Carla Bley Big Band hat immer anders geklungen als alle anderen Big Bands. Wenn man jetzt Vorbilder nennen möchte – oder nennen wir es vielleicht eher Inspirationen -, dann sind es auf jeden Fall Carla Bley, Maria Schneider und natürlich Gil Evans. Und mich haben auch die zehn Jahre im Vienna Art Orchestra stark geprägt. Das Art Orchestra war seit Anbeginn, als ich noch lange nicht mitgespielt hatte, für mich immer eine sehr wichtige Band – auch weil sie so individuell und auch irgendwie europäisch geklungen, aber trotzdem gegroovt hat. Mathias Rüeggs eigene kompositorische Handschrift, dieser eigene Sound, zum Beispiel mit Lauren Newton, die die Lead-Stimme oft gesungen hat anstelle der Trompete: Solche Dinge haben mich immer fasziniert.
Soll das Orjazztra Vienna in gewisser Weise eine Fortsetzung des Vienna Art Orchester werden, das vor zehn Jahren aus finanziellen Gründen leider aufgelöst werden musste?
Es wird zwangsläufig etwas Eigenes, wenn ich die Musik schreibe. Und es ist auch anders besetzt, und ich habe andere Schwerpunkte oder andere Fragestellungen, die sich mir stellen während des Komponierens. Aber die Sehnsucht nach einer großen Besetzung hat mir schon damals Mathias Rüegg eingepflanzt. Die Energie, als wir damals unterwegs waren: Das war schon sehr tolles Gefühl, dass man da in einer Band von zwanzig Leuten unterwegs war. Und auch bei Mathias hatten die Solisten ihre eigenen Räume. Man war nicht austauschbar. Das ist mir sehr wichtig: dass die Musikerinnen und Musiker nicht austauschbar sind, dass sie ihre Freiräume bekommen. Und dass die Stimmen wirklich individuell sind. Ich habe ja schon ziemlich viele klassische Konzerte für Soloinstrument und Orchester geschrieben. Der Sound und die Spielweise des Solisten, für den ich das jeweils geschrieben habe: Ohne das wäre ich verhungert. Benjamin Schmid, Gautier Capucon oder Hakan Hardenberger: Diese Interpreten hatte ich mehr vor Ohren als vor Augen, als ich die Stücke komponiert habe. Und jetzt finde ich es so schön, dass es um 17 Menschen geht.
Musiker, die 1988 oder 1991 geboren sind, haben ja einen völlig anderen musikalischen Background von der Sozialisation her als jemand, der 1962 geboren ist. Wie fließt das ein in die Arbeit an den Stücken?
Ich merke das jetzt schon beim Schreiben: Ich habe großen Spaß an ziemlich komplizierten ungeraden Taktarten, weil die junge Generation inzwischen so selbstverständlich damit umgeht, wie wir das damals überhaupt nicht gemacht haben. Das fordert mich jetzt zum Beispiel schon heraus. Und natürlich auch, was die Rhythmusgruppe betrifft. Einflüsse zum Beispiel von Stilen wie Hip-Hop oder Drum’n’Bass, verschiedene Formen von Techno und so weiter, und das fließt natürlich ein in die Spielweise. Ich habe ja die letzten Jahre immer mit Musikern gespielt, die gleich alt oder älter waren als ich, und jetzt habe ich große Lust drauf, diese andere musikalische Sozialisation in meiner eigenen Band zu hören. Zwei Drittel der Band sind im Alter meiner Tochter!
Sie sind jetzt also ständig damit beschäftigt, neue musikalische Sprachen zu lernen?
In diesem Fall ganz stark. In meinen letzten Jazzprojekten ging es eher darum, mich in vertrauten Sprachen erneut zu bewegen: die Dowland-Projekte, die Yodel-Group, die Duos mit Steve Swallow. Aber jetzt kommt wirklich etwas ganz anderes. Jetzt kann ich auf nichts zurückgreifen. Ich hatte noch nie eine eigene Big Band. Ich habe jetzt nicht 30 Partituren in der Schublade. Sondern ich schreibe wirklich alles neu. Und es ist eine Entdeckungsreise.
So, wie wenn man neue Luft ganz weit oben auf sechstausend Metern atmet, die vielleicht auch manchmal dünner ist als die vertraute?
Ja, das ist ein guter Vergleich. Es reißt mich jetzt ein bisschen hin und her zwischen Euphorie und Respekt. Da spielt auch die Tatsache hinein, dass viele Veranstalter sofort gesagt haben: Ja, ihr müsst unbedingt in der ersten Saison zu uns kommen! Ich kann noch keinen einzigen Ton vorspielen, es gibt ja noch nichts – und trotzdem haben wir schon eine ganze Saison gebucht
Komponist und Posaunist und Pianist: Dirigent. & Klanginschennieur.
Im Anfang war das Wort - diese lapidare Botschaft aus dem Evangelium nach Johannes wird von Ernst Jandl schon im ersten Wort seines Zitats voll lautmalerischem Hintersinn in Frage gestellt. Die biblische Verkündigung mündet in der totalen Laut- und Wortverdrehung. Und so bekommt Christian Muthspiels vielstimmiges Jandl-Solo „für und mit ernst" eine weitere Bedeutung, weil dieses Solo, das ja doch ein Muthspiel-Solo ist, auch „aus Ernst" besteht und zugleich wider den tierischen Ernst ansingt und „voll Ernst" Jandls „Donner der Sprache" in luziden Klang verwandelt.
Muthspiels Musizieren, Singen und Sprechen ist immer spontan, es ist eine hellwache Improvisation um einen Fixpunkt: um Ernst Jandl.
Die Musik öffnet und schärft das Ohr für das Wort. Das Wort wiederum erweckt die Musik. Wort und Musik sind kein Gegensatz. Für den, der Hören kann, gibt es keine Rangfolge, denn Jandls Stimme ist ja selbst Instrument; ein Instrument sui generis, auf das durchaus die Zeilen eines Jandl-Gedichts zutreffen:
Christian Muthspiel hat Jandls „Geige" mit traumwandlerischer Leichtigkeit ergriffen und musiziert damit auf ideale Weise. In diesem Musizieren bewahrheitet sich, voll Anmut und Witz, was Ernst Jandl (1925 - 2000) in einem seiner „Letzten Gedichte", die erst nach seinem Tod veröffentlicht worden sind, schreibt:
die ohren sehen wie augen hören
die augen hören wie ohren sehen