zum 100.Geburtstag (1.11.2021) und zum 5. Todestag (11.11.2016) der Grand Dame der österr. Literatur inszeniert Thomas Lackner Ilse Aichingers wundersame Kurzgeschichte - mit Elisabeth de Roo & Bernd Haas
2021 jährt sich der Geburtstag von Ilse Aichinger zum hundertsten Mal.
Und ihr Todestag (am 11.November 2016) zum fünften Mal.
Ilse Aichinger und ihre Zwillingsschwester Helga wurden als Töchter der jüdischen Ärztin Berta Aichinger und des (nicht-jüdischen) Lehrers Ludwig Aichinger in Wien geboren und in der Pfarre Döbling getauft. Die Familie lebte zunächst in Linz und Wien. Nach der Scheidung übersiedelte Berta Aichinger mit den beiden Kindern 1926 nach Wien, wo sie die Unterstützung ihrer Familie hatte. Zur Großmutter entwickelte Ilse Aichinger ein besonderes Naheverhältnis.
Während es ihrer Zwillingsschwester Helga gelang, im Juli 1939 mit einem der letzten Jugendtransporte nach England zu fliehen, blieben Berta und Ilse Aichinger in Wien. Die Mutter verlor 1938 ihre Anstellung als Schulärztin bei der Gemeinde Wien und musste sich als Fabrikarbeiterin durchbringen. Ilse Aichinger wurde als "Halbjüdin" das Medizinstudium verwehrt. Während des Krieges nahm sie Gelegenheitsarbeiten an und wurde dienstverpflichtet. Die Großmutter und die jüngeren Geschwister der Mutter wurden 1942 deportiert und ermordet. Ilse Aichinger, die die Deportation der geliebten Großmutter mitansehen musste, thematisierte dieses traumatische Ereignis mehrfach in ihren Texten.
Nach Kriegsende begann Ilse Aichinger ein Medizinstudium, brach es aber ab, um ihren Roman "Die größere Hoffnung" fertigzustellen. 1947/1948 reiste sie nach England, um ihre Zwillingsschwester wiederzusehen. Bei dieser Gelegenheit lernte sie Elias Canetti und Erich Fried kennen. 1949 wurde sie über Vermittlung von Gottfried Bermann-Fischer als Lektorin bei der Wiener Niederlassung des S. Fischer Verlags engagiert. Nach einem Jahr ging sie allerdings nach Ulm, wo sie als Assistentin von Inge Aicher-Scholl, einer Schwester der Widerstandskämpfer Sophie und Hans Scholl, am Aufbau der Ulmer Hochschule für Gestaltung mitarbeitete.
1951 nahm Aichinger erstmals an einer Tagung der Gruppe 47 teil. Bereits im Jahr darauf erhielt sie für ihren Text "Spiegelgeschichte" den Preis der Gruppe 47. Damit gelang ihr der literarische Durchbruch. Als Mitglied der Gruppe 47 lernte sie zudem den Lyriker Günter Eich kennen, den sie 1953 in München heiratete. Das Paar hatte zwei Kinder, Clemens (1954–1998) und Mirjam (* 1957). Die Familie lebte in Bayern und ab 1963 in Großgmain bei Salzburg. 1984, nach dem Tod ihrer Mutter, übersiedelte Ilse Aichinger auf Einladung des S. Fischer Verlags nach Frankfurt am Main, 1988 kehrte sie nach Wien zurück. Die Schriftstellerin lebte zurückgezogen, besuchte allerdings regelmäßig – vor allem auch zum Schreiben – Kaffeehäuser und war eine leidenschaftliche Kinogeherin.
Ilse Aichinger verstarb am 11. November 2016. Ihr Todestag jährt sich also heuer zum fünften Mal. Beide Jahrestage im November, Geburtstag und Todestag, sind Anlass genug, dieser bedeutenden österreichischen Schriftstellerin einen Abend zu widmen, in dessen Mittelpunkt Ihre vielleicht berühmteste Kurzgeschichte steht, die Spiegelgeschichte.
Spiegelgeschichte Ilse Aichinger hat ihre Spiegelgeschichte 1949 geschrieben. Dieses nur wenige Seiten lange Stück Kurzprosa wurde zunächst in vier Folgen in der Wiener Tageszeitung veröffentlicht.1952 erhielt die junge Schriftstellerin dafür den Literaturpreis der Gruppe 47, in der sich Autoren wie Heinrich Böll und ihr späterer Mann Günther Eich, um den Schriftsteller Hans Werner Richter scharrten, und sorgte für Furore. Die Spiegelgeschichte stellt nicht nur einen Meilenstein am Beginn des Schaffens von Ilse Aichinger dar, dieser Text gilt bis heute als einer ihrer bedeutendsten und berührensten Prosastücke. Wobei sich dessen Inhalt in einem Satz erzählen lässt. Eine junge Frau, liegt auf Grund einer missglückten Abtreibung im Sterben, und erzählt sich ihr Leben rückwärts, vom bevorstehenden Tod bis zu ihrer Geburt. Der Zeitpunkt Ihrer Geburt, ist gleichzeitig der Zeitpunkt ihres Todes. Dieses Ineinanderfallen von Geborenwerden und Sterben zeigt eine der zentralen Lebensphilosophien Ilse Aichingers, Sie spiegelt sich in ihrem Denken und Schaffen wieder. Unsere Geburt liefert uns dem Tod aus. Daher gilt es, die uns geschenkte Lebenszeit immer mit dem Bewusstsein des bevorstehenden Todes zu gestalten. Ein weiteres zentrales Themen, das Ilse Aichinger in diesem Text behandelt, ist das Verschwinden, das Vergehen, das sich Auflösen. Sie selbst sagt über sich: „Eine Sehnsucht zu verschwinden hatte ich schon immer, bereits als Kind“. Sie betrachtet auch das Schreiben im Laufe ihres Lebens immer mehr als die Essenz ihres Nicht-Schreibens, welches auszuhalten, auch die große Herausforderung für jeden Schreibenden sei. Schweigen ist die Voraussetzung für Sprechen, oder Schreiben, ist deren Nährstoff. Auch die Auseinandersetzung mit dem Kind an sich und der Kindheit begegnet uns in der Spiegelgeschichte. Die junge Frau stirbt, aufgrund der illegalen Abtreibung ihres Kindes. Immer wieder begegnen uns in dieser Geschichte Kinder, bis die Frau selbst wieder zum Kind wird, zum Kleinkind, zum Säugling und letzten Endes zur Neugeborenen, über die sich ihr Vater beugt. Ilse Aichinger beklagt in einigen Interviews den Verlust der Kindheit als den größten Verlust, den ein Mensch haben kann.
Mit dem Tod habe ich mich noch nie so ausführlich befasst, sodass ich keine Idee oder Vorstellung habe, wie der so ist oder sein könnte. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich am Leben einfach mehr interessiert bin als am Sterben. Die Geschichte thematisiert beides; das Leben und das Sterben. Die Rückschau einer Toten/Sterbenden durch einen Spiegel in ihr Leben – eine Spiegelgeschichte. Ich lebe unheimlich gerne und je älter ich werde, desto lieber bin ich auf der Welt zuhause und umso klarer kann ich artikulieren, weshalb das so ist
Der Gedanke, dass der Tod schneller kommen könnte als es mir passt, passt mir gar nicht. Die Spiegelgeschichte konfrontiert mich mit der Vorstellung des Sterbens und so finde ich mich wieder in der sterbenden Toten, die ihre lebendige Welt ein aller letztes Mal durch einen Spiegel betrachtet, um noch einmal leben zu können und um sich vom Leben zu verabschieden. Ein schöner Gedanke dem Leben erst Lebewohl zu sagen, um dann zu sterben – „Lass es geschehen!“ Ohne zu manipulieren, ohne in eine bestimmte Richtung zu lenken, ohne Vorwurf und vollkommen wertfrei, ja fast sachlich beschreibt Aichinger ein Menschenleben. Aichinger versteht es, ihren Leserinnen und Lesern, die Freiheit zu lassen selbst zu urteilen und selbst zu fühlen. Dies empfinde ich als eine Wohltat in einer Gesellschaft, die, so scheint es mir, zu regelmäßig das Bedürfnis hat, andere zu manipulieren. Die Spiegelgeschichte beweist: Es ist möglich sachlich zu berichten und eine Fülle an Emotionen zu erzeugen. Das fasziniert mich.
Was für ein Kunstwerk.
Die geplante Aufführung soll das Literarische in den Vordergrund stellen. Die Erzählung wird als Monolog aus dem Mund der Schauspielerin hörbar und dreidimensional.
Die konsequente Form der umgekehrten Lebenserzählung und deren sprachliche Gestaltung in knappen, zielsicheren, aber hochpoetischen Bildern. So werden an einer Stelle Früchte wieder zu Blüten, und die Blüten wieder zu Knospen, und die Knospen wieder zu Früchten.
Mich fasziniert der Gedanke, und ich sehe als große Herausforderung für eine Schauspielerin die Nuancen dieses Textes hörbar zu machen, die umgekehrte Logik des Lebensweges der jungen Frau für ein Publikum nachvollziehbar zu machen, im Moment des Hörens und Erlebens. Und die Stille soll der Nährboden werden, auf dem diese Geschichte blüht und wächst. Auch als Kontrapunkt zum Lärm und der Reizüberflutung der heutigen Zeit, selbst in Zeiten von Corona, wo wir uns in unterschiedlichsten Virtuellen Formaten bewegen, von Zoom bis Club-House.
Das Thema Vergänglichkeit und das Bewusstsein, dass unser Leben irgendwann endet, hat nicht nur immer eine große Rolle in meinem Leben gespielt, sondern gewinnt mit zunehmendem Alter natürlich noch mehr an Bedeutung und Brisanz. Ich glaube, die Schriftstellerin Ellis Kaut hat einmal pointiert gesagt, ihr sei noch niemand begegnet, der nicht sterben würde. Der Tod verbindet uns alle, spielt aber kaum eine Rolle in unserem Leben. Wir verdrängen diese Tatsache. Doch das Bewusstsein um unsere Vergänglichkeit vermag viele unserer persönlichen Kämpfe in eine richtige Relation zu setzten. Und das meint auch Ilse Aichinger, wenn sie fordert, das Lebensende während des Lebens in Betracht zu ziehen, mit auf der Rechnung zu haben. Davon möchte dieser Abend auch erzählen.
Und was das Thema „Kindheit“ betrifft. Ich habe selbst zwei kleine Kinder, und beobachte, wie sie beginnen, die Welt zu erobern, mit welcher Neugierde und Lust. Irgendwann ersetzen wir diese Neugierde durch Pflichtbewusstsein und Leistungszwang. Und ein wunderschöner Moment in Aichingers Spiegelgeschichte ist, wenn sie beschreibt, wie schwer es ist, wieder zu verlernen, um die Offenheit des Kindes zurück zu bekommen. Auch diesen Aspekt soll der gesprochene Monolog zum Schweben und Klingen bringen.
Das Ziel dieser Produktion ist ein Abend für Ilse Aichinger, und nicht ein Stück Regietheater. Alle anderen Aspekte der „Inszenierung“ sollen nur dazu dienen, die Atmosphäre dieses Textes zu unterstützen.
Nach dem Studium der Musikwissenschaften und seiner Ausbildung zum Tontechniker war Thomas Lackner sieben Jahre als Moderator und Produzent für den Kultursender Ö1 tätig.
Seit 2000 ist er als Schauspieler auf den verschiedensten Bühnen des deutschen Sprachraumes zu sehen, davon 2006 bis 2012 als Ensemblemitglied des Tiroler Landestheaters.
Er gestaltet spartenübergreifende Soloprogramme, auch mit Gesang, Rezitationen, Lesungen mit Musik, Moderationen und Theaterstücke, die Information mit Entertainment verknüpfen, unter anderem im Tiroler Landesmuseum, im Audioversum Science Center Innsbruck, für die Tiroler Wirtschaftskammer,
den Österreichischen Museumsbund, und das Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Im Rahmen eines Bildungskarenzjahres ließ er sich an der University of London zum Trainer und Coach für Stimmentwicklung, professionelle Sprechtechnik, Präsenz und persönlichen Auftritt ausbilden. Er hat derzeit Lehraufträge an der Universität Innsbruck, der Hochschule für Musik Würzburg, und der FH Gesundheit Innsbruck inne und leitet die WIFI Stimmakademie. Im Rahmen von firmeninternen Trainings und Coachings begleitet Thomas Lackner Führungskräfte und Mitarbeiter im wirtschaftlichen, administrativen und edukativen Bereich.
Elisabeth de Roo absolvierte ihren Master im Fach Lied und Oratorium an der Universität Mozarteum in Salzburg sowie ihren Bachelor für Immobilienwirtschaft und Facility Management an der Fachhochschule in Kufstein.
Sie war mehrere Jahre Abteilungsleiterin des Departments
„Career Center“ an der Universität Mozarteum in Salzburg. Dort widmete sie sich der Lehre und entwickelte unterschiedlichste Coaching-Programme für Studierende und Alumni der Universität. Zudem leitete sie die „Kinder-Uni“ von Seiten des Universität Mozarteum.
Ihr Debüt als Opernsängerin gab sie als Susanna in „Sancta Susanna“ von Paul Hindemith, unter der Leitung von Hans Graf. In Linz, Wien und Salzburg sang sie die Königin der Nacht aus der Zauberflöte von W. A. Mozart unter der Leitung von Josef Wallnig. David Garett buchte sie als Sängerin für einen TV-Auftritt im ORF Salzburg. Sie war daraufhin mehrfach als Solistin im ORF zu sehen.
Das klassische Lied ist die große Liebe der Sängerin und die Art der Musik, der sie sich am verbundensten fühlt. Zahlreiche Einladungen zu Liederabenden, mit Orchestern, Ensembles oder im Duo, führten Elisabeth de Roo nach Italien, Deutschland, Frankreich und Österreich. Zuletzt sang sie Mahlers 4. Sinfonie am Theater Ristori in Verona und gestaltete mehrere Uraufführung im Vierundeinzig in Innsbruck
Bernd Haas wurde 1979 in Innsbruck geboren, und war schon in jungen Jahren von Musik fasziniert. Er studierte Jazzgitarre am Tiroler Landeskonservatorium (Abschluss 2004), absolvierte das BA-Studium für klassische Gitarre am Mozarteum Salzburg/Innsbruck (Abschluss mit Auszeichnung 2016). Seit mehr als 15 Jahren unterrichtet er klassische und elektrische Gitarre u.a. am Tiroler Musikschulwerk und ist seit seiner Jugend als freischaffender Künstler in den Bereichen Jazz bis Rock musikalisch tätig. Sein Wirken und Schaffen erstreckt sich von solistischer Kammermusik bis hin zu Musik für große Ensembles. Er komponiert und produziert Musik für verschiedene Bands, Film und Kabarett. Zahlreiche CD Einspielungen sind bei verschiedenen Labels (GLM, Quinton, Polyglobe, Listen Closely, …) erschienen. Bernd Haas lebt mit seiner Familie in der Nähe von Innsbruck.