Shake Stew ist neben 5KHD der interessanteste Exportartikel der österr. Jazzszene. Die Liveauftritte des Septetts um Bassist Lukas Kranzelbinder sind ekstatische Groove-Happenings. Eintritt frei weil Frei*Tag ist
Lukas Kranzelbinder gründete Shake Stew 2016. Allein schon die Instrumentierung ist bemerkenswert: ein Septett mit einem Trompeter, zwei Saxofonisten, zwei Bassisten und zwei Schlagzeugern. Die entfesselte Dynamik und der rhythmische Sog ihrer Musik hat der Band einen Kult-Status eingebracht. Live kommen ihre Stärken besonders zum Tragen: Shake Stew kreieren kraftvolle, tanzbare, ungemein geerdete Musik, die aber auch zum Abheben einlädt und sich in Trance-ähnliche Höhenflüge steigern kann. Dies ist auch ein Resultat von Kranzelbinders intensiver Beschäftigung mit diversen Ausdrucksformen afrikanischer Musik, seien sie aus dem Süden, Westen, Osten oder Norden des Kontinents. Beim Jazzfestival Leibnitz hatten Shake Stew 2020 einen ihrer wenigen Auftritte vor Publikum und ließen ihrer Spielfreude freien Lauf.
Lukas Kranzelbinder: Bass, Guembri, Bandleader
Astrid Wiesinger: Alt Saxofon
Mario Rom: Trompete
Johannes Schleiermacher: Tenor Saxofon
Oliver Potratz: Bass
Nikolaus Dolp: Schlagzeug, Percussion
Herbert Pirker: Schlagzeug, Percussion
Kaum eine andere Band hat die mitteleuropäische Jazzszene in den letzten Jahren derart auf den Kopf gestellt wie Shake Stew. Während die ZEIT sie als „Österreichs Jazzband der Stunde“ bezeichnete und sie der NDR schon früh in den Status einer „Kultband“ erhob, ist spätestens seit der Verleihung des Deutschen Jazzpreises 2021 in der Kategorie „Band des Jahres International“ klar: Hier ist etwas ins Rollen gekommen, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Und es macht keine Anstalten langsamer zu werden! Von Beginn an umgibt die vom Bassisten und Komponisten Lukas Kranzelbinder ins Leben gerufene Formation etwas Mystisches, dessen Musik eine ungemein soghafte Wirkung entfacht, der sich die wenigsten entziehen können: „Die unausgesprochenen Zauberworte heißen Magie und Energie – Shake Stew bringt etwas Kultisches in den aktuellen Jazz, eine Bereicherung!“ schreibt die Jury der deutschen Schallplattenkritik in ihrer Begründung für die Aufnahme in die Bestenliste 2020 und das britische Magazin MOJO wird sogar noch eine Spur körperlicher: „Able to blind you into a trance and make you dance to your knees, Shake Stew twists, blisters and burns like a fevered dream!“
Was sich seit der Gründung dieser im Jahr 2016 ins Leben gerufenen Ausnahmeformation entwickelt hat, lässt sich allerdings nicht so leicht in einem Satz zusammenfassen. Mit ihrer Premiere am Jazzfestival Saalfelden und dem darauffolgenden Debütalbum „The Golden Fang“ startete Shake Stew quasi aus dem Nichts einen Erfolgslauf durch die Ohren Europas, der seither nicht abzureisen scheint. Nachdem sie im Frühjahr 2017 als Stage Band im Wiener Club Porgy & Bess für Furore sorgten, dauerte es nicht lange, bis auch die ganz großen Festivals auf sie aufmerksam wurden. Dass eine junge österreichische Formation bereits im dritten Jahr ihres Bestehens Einladungen zum Montreal Jazz Festival, North Sea Jazz Festival, Frankfurt Jazz Festival, Istanbul Jazz Festival, sowie Auftritte von Jazz au Chellah in Marokko bis hin zum Eurojazz Festival in Mexiko vorzuweisen hat, ist in dieser Form absolut einzigartig. Die Tageszeitung Der Standard bezeichnete Shake Stew als „magisch“, „Die Presse“ titelte mit „Das Wunderensemble“ und als das Septett 2018 sein zweites Album „Rise and Rise Again“ vorlegte, griff auch die Wiener Wochenzeitung der FALTER den Hype um die Band auf: „In so geilomatöse Stratosphären der Hipness und Bedeutsamkeit wie Wanda oder Bilderbuch kann eine heimische Jazzcombo natürlich nie vordringen, aber wenn es einer gelungen ist, dem nahezukommen, dann sind das Shake Stew. The Aufstieg never stops!“ Von da an war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch internationale Medien auf die Band des „Basssenkrechtstarters“ (Süddeutsche Zeitung) Lukas Kranzelbinder aufmerksam wurden und so passierte im September 2018 etwas in dieser Form noch nicht Dagewesenes: Die deutsche Wochenzeitung DIE ZEIT schickte ihren Journalisten Ulrich Stock für ganze fünf Tage nach München, um die Sommerresidenz der Band im Jazzclub Unterfahrt genau mitzuverfolgen und darüber zu berichten. Daraus entstand eine ganzseitige Reportage im Feuilleton des Qualitätsblattes, die vor Euphorie nur so überkochte: „Was ich hörte, haute mich um. Grandiose Rhythmen, schmelzende Bläser, hypnotischer Funk-Beat-Swing-Afro-Jazz-Rock-Rhythm-and-Irgendwas. Ich war so gebannt, ich konnte kaum aufstehen. Inzwischen weiß ich, dass andere Hörer ähnliche Initiationserlebnisse hatten; etwas geht von dieser Band aus, das neu und besonders ist – und ungemein attraktiv.“
Mit der Veröffentlichung ihres dritten Studioalbums Gris Gris gelang der nächste große Schritt. Internationale Medien vom Guardian bis zu Radio France entdeckten die mit zwei Schlagzeugen, zwei Bässen und drei Bläsern so ungewöhnlich besetzte Formation für sich und gaben Shake Stew ausführliche Features, während die Band im deutschsprachigen Raum immer öfter von den Titelseiten diverser Jazzmagazine lacht. Dabei zeichnete sich vor allem im Live-Kontext eine große Flexibilität ab: Egal ob vor stehendem Publikum im vollgepackten Club oder im ausverkauften Großen Saal des Wiener Konzerthauses, die enorme musikalische Bandbreite der einzelnen Akteur*innen ermöglicht es Shake Stew immer wieder, ihren mitreisenden Sog aus immer intensiver werdenden Klangwelten zu entfalten. „Man muss Jazz nicht mögen, um Shake Stew zu lieben: Die Band um Lukas Kranzelbinder ist von Kopf bis Fuß auf Ekstase eingestellt. Oder frei nach Nietzsche: Das ist keine Musik, sondern Dynamit!“ (Wiener Zeitung) Hypnotische Afrobeats und treibende Rhythmen prägten von Beginn an den Sound der Band, doch gerade wenn man glaubt, die Zauberformel dieses musikalischen Eintopfs entziffert zu haben, zeigt Shake Stew die ganze klangliche Bandbreite seiner Instrumentierung auf: An der Grenze zur absoluten Stille entstehen wie aus dem Nichts beschworene Klanggebilde, die auf trance-artig wiederholten Basslinien und fein gestimmten Gong-Patterns dahinperlen und einen in ihrer Ruhe und Fragilität mindestens genauso tief berühren, wie die vorangegangenen Groove-Explosionen.
Nachdem als Antwort auf die Einstellung des Konzertbetriebs im Krisen-Jahr 2020 ein Live-Album mit dem Titel (A)live! veröffentlicht wurde, begann Anfang 2021 eine neue Ära in der Bandgeschichte: Die Saxophonistin Astrid Wiesinger wurde als fixes Bandmitglied an der Position des Alt-Saxophon willkommen geheißen! Der kreative und energetische Schub, der die Band in Folge der Umbesetzung durchströmte, wurde sogleich genutzt, um in neuer Formation ins Studio zu gehen und dem zeitweise fast unerschöpflich wirkenden Output von Shake Stew eine neue klangliche Facette zu verleihen. „Heat“ titelt das 2022 erscheinende fünfte Album der Band und eines lässt sich bereits jetzt sagen: Der Name ist Programm.
Shake Stew ist der interessanteste Exportartikel der hiesigen Jazzszene
Bassist und Bandleader Lukas Kranzelbinder (Mi.): "Es geht nicht darum, für mich selbst zu spielen, sondern den Leuten mit dieser Musik eine Form von Energie zu geben, die etwas mit ihnen macht."
Wenn Lukas Kranzelbinder im Zusammenhang mit der eigenen Band Shake Stew von besonderen Erfahrungen berichtet, "einer Atmosphäre, wie ich sie zuvor noch nie erlebt habe", irrt der Mann vielleicht, oder er trägt womöglich nur dick auf. Innenansicht macht oft blind. Wenn allerdings nach Konzerten jemand zu ihm kommt und behauptet, "eure Musik kann Tote zum Leben erwecken", birgt solch Übertreibung doch auch bestätigenden Charakter.
Schließlich kämen "immer wieder auch Rückmeldungen, wie sehr die Leute durch einzelne Stücke bewegt werden", so Kranzelbinder. Und wenn dann Mails einlangen, "in denen beschrieben wird, wie ein Album einer Person in einer Zeit persönlichen Verlustes geholfen hat, gibt einem das schon zu denken", sagt der Bassist, der mit Shake Stew auch reichlich internationale Erfolge feiert, an die er mit der Neuheit Gris Gris anschließen will.
Da es dem Kollektiv dabei gelang, im Studio eine emotionale Ausnahmesituation herzustellen, könnten weitere eindringliche Mails folgen. Dieser Jazz brennt. Bei den gerne epischen Stücken liefern kleine komponierte Inseln, markante winzige Themen, Impulse für Feste der Improvisation.
Wenn etwa Kapazunder wie der Saxofonist Clemens Salesny oder der Trompeter Mario Rom zu Soli ansetzen, ist von bleierner Routine nichts zu spüren. Durch das spontane instrumentale Umkreisen der Kernmotive steigert sich die Musik vielmehr zum Dokument authentischer Exaltation. Die Monologe verschmelzen dabei bisweilen zum hitzigen Kollektivchor.
Der Vorteil der dominanten modal-sparsamen Harmonik ist für den jeweiligen Instrumentalisten offensichtlich: Die Bedingungen geben der Versenkung Raum und Zeit, also dem langsamen Ausspielen von Ideen. Alles Erlernte und Erübte wird denn auch hier zu eine Art authentischem Action-Painting.
Der Titel Gris Gris ist nicht unpassend gewählt – als uralter afrikanischer Begriff für ein Objekt: "Es kann ein Amulett oder ein Talisman oder aber etwas Abstrakteres sein, das der Trägerin und dem dem Träger eine bestimmte Art von Energie verleiht." Und als solch ein akustisches Amulett "betrachte ich dieses Album", sagt der 1988 in Klagenfurt geborenen Kranzelbinder.
Das Paradoxe an diesem Albumdoppler: Er verbreitet bei allem Exzess des Ausdrucks und bei aller partiellen rhythmischen Komplexität der knapp gehaltenen Arrangements eine tröstliche Atmosphäre. Die Musik wirkt wie eine Landschaft, die bei aller Dramatik eines Ideengewitters etwas Entschleunigendes bewahrt. Dabei: An den afrojazzartigen Einflüssen und der Riffstruktur ist zu erlauschen, dass Kranzelbinder quasi weltmusikalisch geprägt ist.
Nach wie vor dominiert eine repetitive Basis, auf welcher schließlich Steigerungen quasi ins Dionysische stattfinden, die auch auf die Arbeiten des wilden Bassistengenies Charles Mingus verweisen. Grundsätzlich gehe es nicht darum, "mich selbst zu spielen, sondern den Leuten mit dieser Musik eine Form von Energie zu geben, die etwas mit ihnen macht". (Ljubiša Tošić, Standard 29.10.2019)