Sarah Chaksad hat eine eigene, subtile musikalische Handschrift gefunden, ein kompositorisches Destillat der versammelten Klangfarben - wie einst 2 Schweizer des grossorchestralen Jazz: George Gruntz & Mathias Rüegg
Ein grossformatiges, begeisterndes Ereignis: das Sarah Chaksad Large Ensemble, mit der Sängerin Yumi Ito, der deutschen Pianistin Julia Hülsmann und immer noch mit der umwerfenden norwegischen Trompeterin Hildegunn Øiseth. Die Bandleaderin und Saxofonistin hat sich in den letzten Jahren zu einer grandiosen Komponistin und Arrangeurin von europäischem Format entwickelt. Sie liebt es, ähnlich wie die grosse Maria Schneider, mit unterschiedlichen Klangwelten zu jonglieren. Im Treibhaus wird sie die Klangwelt ihres bunten Haufens voll ausgeschöpfen, verschiedene Ebenen schaffen und virtuos mit gegenläufigen Melodien jonglieren:
YUMI ITO | VOC
SARAH CHAKSAD | AS, SS, COMP
FABIAN WILLMANN | TS, BCL
CATHERINE DELAUNAY | CL, BSTHN
FERNANDO BROX | FL
HILDEGUNN ØISETH | TP, GOAT HN
LUKAS WYSS | TB
PACO ANDREO | VTB
SOPHIA NIDECKER | TUB
FABIO GOUVÊA | G
JULIA HÜLSMANN | P
DOMINIQUE GIROD | B
EVA KLESSE | DR
«Willkommen in den schönen neuen Bigband-Welten!
Die Schweizer Komponistin und Holzbläserin hat definitiv ihre eigene Orchestersprache gefunden. Sarah Chaksads Stücke jonglieren gekonnt mit insistierenden Motiven, gedämpften Sounds, sanften Schichtungen. Die Steigerungen vollziehen sich allmählich, das Feeling is fliessend, atmend, schaukelnd.»
Hans-Jürgen Schaal, Jazz thing,
als Leaderin verschwand sie mitten im Pulk ihrer Band, die nun das musikalische Zepter ergriff. Und dieses Zepter verströmte vom ersten Ton an etwas, was man bei vielen anderen Musikerinnen und Musikern vermisst haben mochte: Melodie und Sangbarkeit. Man könnte reden von Poesie, die man hören kann, im Gegensatz zur Poesie, die da wäre, wenn man sie sich nicht nur – und das mit Mühe – vorstellen können müsste. Und während man noch dabei war, sich auf die Reise ins Musikland mitnehmen zu lassen, ging bereits das erste Solo des Saxofonisten Fabian Willmann zu Ende. Die Leaderin hob den Arm, um einen Wechsel anzuzeigen, und dann war das eingängige Motiv wieder da und wurde von Ensemblemitgliedern tatsächlich auch mitgesungen. Resultat: Szenenapplaus. Das Stück endete, und noch mehr Applaus brandete auf. Das Eis war gebrochen. Die Musik hatte im Publikum einen Nerv getroffen, eine Saite zum Schwingen gebracht in der auch an diesem Abend sehr gut gefüllten Kammgarnhalle. Offenbar haben selbst Menschen, die eine grosse Neugier und ein leidenschaftliches Interesse an der zeitgenössischen Musik haben, auch einen Seelenanteil in sich, der einfach einmal in der Musik baden will. Das erste Stück hatte «Circle» geheissen, das zweite «Tears» – luftiger Sound von beeindruckend schwebender Qualität –, und dann ging die musikalische Reise weiter. Es war übrigens durchaus nicht so, dass nur das Publikum Freude hatte an dem, was das Sarah Chaksad Large Ensemble bot. Auch den Musikerinnen und Musikern gefiels, sie lächelten einander zu. Es herrschte eine gute Stimmung unter den Ensemblemitgliedern. Ein Duo, Piano (Julia Hülsmann) und Trompete (Hildegunn Øiseth), gefiel mit seiner wehmütig-melancholischen Melodie, die Drummerin Eva Klesse stieg ein, irgendwann hörte man den Gitarristen Fábio Gouvêa solieren – wenn die Musik einen packt, dann hört man gerne auch genauer hin und entdeckt viele Einzelheiten. Und horcht auf. Zum Beispiel wenn Catherine Delaunay mit Klarinette und Bassethorn sich in den Vordergrund spielt, begleitet von Eva Klesse: keine Kapriolen, keine Gekünsteltheit. Es kommt immer wieder zum Szenenapplaus, noch ein Querflötensolo von Fernando Brox, und dann heisst es: «Wir kommen jetzt zum letzten Stück.» – «Oh nein!», ruft eine Stimme aus dem Publikum. Und mit «Lost» wird jetzt der Sängerin Yumi Ito eine Plattform geboten, die sie eindrücklich nutzt: Sie klang wie eine Sirene, die auf ihrem Felsen zurückbleiben muss und klagt, während der gefesselte Odysseus Ithaka zusegelt … Die Ovationen des Publikums nahm das Ensemble dann nicht auf der Bühne, sondern unten, in Tuchfühlung mit dem Publikum, entgegen.
Schaffhauser Nachrichten 17.05.2022