Er macht klar, "daß der Blues aus Afrika kommt" (RollingStone) & der Spiegel sieht in Ihm den "Missing Link zwischen Niger und Mississippi." - Große Freude: der Vater des Mali-Blues - mit 80 noch mal ins Treibhaus.
Zur Musik von Boubacar «Kar Kar» Traoré tanzte ganz Mali, als in London die Rolling Stones noch als Coverband auftraten. Kar Kar hatte mit «Mali Twist» und «Kar Kar Madison» landesweite Hits, als Keith Richards das Riff zu «Satisfaction» noch gar nicht geträumt hatte. Doch es gibt eine Gemeinsamkeit: Auch Boubacar «Kar Kar» ist nach wie vor auf Tour. Er kommt im Oktober 2022 hierzulande auf Tournee.
Boubacar Traoré führt ein Musikerleben in einer Zeitschlaufe. Für viele Malierinnen und Malier ist er heute mehr Legende als Zeitgenosse. Obschon gerade die Jugend ihn in dieser Zeit wiederentdeckt. Für uns in Europa blieb er ein Musicians Musician. Das änderte auch sein Auftritt an der WOMEX nicht im grossen Stil. Wobei gerade ein Konzertbesuch zeigt – und da sind wir wieder beim Vergleich mit den Rolling Stones – Kar Kar ist ein Live-Musiker! Mit dem aktuellen Programm kommt Traoré bald für einige Konzerte in die Schweiz, Östereich und Belgien.
Begleitet wird der Blues-Mann aus Kayes im Westen von Mali von langjährigen Weggefährten. Mit dem Kalebasse-Spieler Babah Koné hat er einen jungen Musiker gefunden, der ihn nun schon seit Mitte des letzten Jahrzents zur Seite steht. Die Freundschaft mit Vincent Bucher, dem Mann mit der Blues-Mundharmonika aus Paris, begann vor dreissig Jahren an einem Bluesfestival im kanadischen Toronto. Es ist dieses Trio, das den Gesamtsound definiert.
Es ist eine unaufgeregte Sicht auf die Welt, welche die Songs von Traoré ausmachen. Dazu kommt die ungebrochene Lust am Musizieren, an der Bühne, am Austausch mit dem Publikum. Er schreibt seine Songs weniger im Gewusel der Stadt, sondern auf den Feldern seines Bauernbetriebs. Alles ist gewachsen, wie eben auch Pflanzen wachsen, ist aufgehoben in seiner Zeit. Die Kalebasse bringt mit ihren atmenden Rhythmen Leben in die Lieder, ohne antreiben zu wollen oder zu müssen. Die Mundharmonika von Vincent Bucher ist ein partnerschaftlicher Dialog-Partner.
«Musik hat viel mit Resonanz zu tun», sagt Bucher, «Du kannst neue Spieltechniken lernen, aber dein Publikum wird nicht durch Virtuosität allein begeistert. Resonanz mit einem Song, einem Stil oder mit anderen Musikern aber bringt dich dazu, neue Techniken erlernen, damit du diese Resonanz zum Klingen bringen kannst.» Auf diese Weise hat der Harmonikaspieler seinen ganz eigenen Bluesstil entwickelt, immer auf der Suche nach der Musik zwischen den Tönen, nach der Seele des Songs. Das passt bestens zu Boubacar Traorés Gitarrensound, den er den Koraklängen der heimatlichen Griots abgelauscht hat.
In seiner Heimat kennen Traoré alle als « Kar Kar », weil er als Jugendlicher auf dem Fussballfeld ein grosser Ballkünstler war, und «kari kari» «dribbeln, dribbeln» heisst. Berühmt wurde er in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts aber nicht als Fussballer, sondern als die malische Ausgabe von Chuck Berry oder Elvis Presley, inkl. Lederjacke und allem Drum und Dran. Er war in den Jahren nach der Unabhängigkeit eine Ikone des Aufbruchs. Doch als Musiker konnte er nie genug verdienen, um seine wachsende Familie durchzubringen, wurde nach dem Putsch 1968 aus dem Radio verbannt und Kar Kar kehrte in seine Heimat Kayes zurück, wurde Bauer und Schneider.
Als in den späten 80ziger Jahren das Fernsehen nach Bamako kam, holten ihn die Redakteure zurück in die Hauptstadt. Alles schien gut zu gehen, doch dann knickte ihm mit dem Tod seiner über alles geliebten Frau Pierrette der Sinn des Lebens weg. Er zog nach Frankreich, arbeitete als Handwerker, als Maurer. Abends spielte und sang er für seine Landsleute in den Immigranten-Treffpunkten. Seine Lieder aus den 90er Jahren sind voller Wehmut und Trauer um Pierrette.
Eine neue, jüngere Generation von Zuhörern begann sich für seine melancholischen aber ehrlichen Lieder zu begeistern. Eine Kassette fand den Weg in die Hände eines Produzenten. Das war der Anfang einer stillen, aber stetigen internationalen Karriere. Heute, wieder glücklich verheiratet, hat Kar Kar die Melancholie etwas weggeschoben, eine neue Zuversicht tönt aus seiner Musik.
Nach dem Tod von Ali Farka Touré oder Lobi Traoré ist Kar Kar der letzte grosse Bluessänger der älteren Generation Malis. In den vergangenen zwei Jahrzehnten führten diverse Tourneen Boubacar Traoré mehrmals um die Welt. Hier entstanden Freundschaften mit Cedric Watson und der Welt des Cajun, mit Corey Harris und Leyla McCalla, mit der aktuellen Roots- und politisch engagierten Songwriter-Szene Amerikas. Beleg für diese gewachsenen Freundschaften ist die letzte im Westen erschienene Produktion «Dounia Tabolo» (2017).
In den sechziger Jahren galt der afrikanische Blues-Sänger und Gitarrist Boubacar Traoré genannt KarKar, als der Chuck Berry oder Elvis Presley von Mali. Jeden Morgen weckte seine Stimme die HörerInnen des malinesischen Radio. Kayes, die Haupstadt des ehemaligen Kolonialreiches, hörte seine musikalischen Botschaften für die Unabhängigkeit und tanzte seinen berühmt gewordenen "Mali-Twist" auf der Straße. Seinen Spitznamen KarKar erhielt er als wendiger "Dribbler" in Fußballschuhen. In der malinesischen Sprache Bambara bedeutet KarKar nämlich Dribbler.
KarKar spielte bereits vor 30 Jahren malinesischen Blues, intoniert auf der Akkustik-Gitarre und unterlegt mit den unverkennbaren Kassonke-Rhythmen seiner Heimat. Spürbar sind zudem arabische Einflüsse, amerikanische Blues- und europäische Folkelemente. Nach zwanzigjähriger Bühnenabstinenz begeistert KarKar heute ein internationales Publikum mit dem dribbelnden Blues seiner Gitarre und seinem melancholischen Gesang.
"Ein Leben gekennzeichnet durch Vergeßlichkeit und Auferstehung,
Hoffnungslosigkeit und Trost, der Malier Boubacar Traoré hat das Konzentrat eines von wohltuender Traurigkeit ergreifenden Blues herausdestilisiert." schrieb Gilles Tordjman im französischen Magazin Les Inrockuptibles. Laut dem deutschen Rolling Stone "macht KarKar definitiv klar, daß der Blues aus Afrika kommt" und der Spiegel sieht in Ihm den "Missing Link zwischen Niger und Mississippi."
Boubacar Traore a.k.a. Kar Kar ist ein harmonischer Widerspruch, ein Musiker, dessen Kunst und Biografie weniger durch Balance, als vielmehr durch Extreme auffallen. In den sechziger Jahren ein Idol für die ganze afrikanische Westküste, in den siebzigern vergessen, in den achtzigern wiederentdeckt und in den neunziger Jahren auf ausgedehnten Tourneen durch Europa und Amerika, dies die groben Daten seiner Karriere. Er wurde mit vielen Popgrössen verglichen. Elvis Presley musste als Vergleich ebenso herhalten wie Robert Johnson, Johnny Hallyday oder Chuck Berry. Und man betitelt seine Musik als Blues - alles Vergleiche, die andeuten, dass es beinahe ein Ding der Unmöglichkeit ist, die Lieder von Kar Kar zu definieren. Solche Vergleiche dienen vor allem uns Europäern oder Amerikanern, um einen Künstler be-greifbar zu machen, der eine musikalische Welt für sich ist.
Hören wir in den westlichen Industriestaaten den Begriff "Blues", hören wir auch gleich hunderte von Beispielen in unserer Erinnerung durcheinandertönen - aber solche Musik macht Kar Kar nicht. Er ist auch nicht funky wie der Godfather of Soul James Brown, mit dem er auch hin und wieder verglichen wird. Dies sind alles nur Statusangaben, welche zeigen, in welchem Masse er zuhause in Mali von Musikerkollegen und Landsleuten verehrt wird. Seine Musik tönt ganz anders. Nimmt man "Blues" nicht als Musikform, sondern als Gefühlsbeschreibung, kommt man der Sache schon einiges näher.
Kar Kar macht das, was er schon immer wollte: Musik. Für ihn sind es Melodien, Lieder, zu denen sein Instrument die zweite Stimme singt. "Die Gitarre hat mich magisch angezogen", versucht er die Beziehung zu seinem Instrument zu beschreiben. Er hört aus der Gitarre nicht die Bluesakkorde seiner musikalischen Geistesverwandten in den Südstaaten heraus, nein, seine Gitarre perlt wie eine Kora. Zudem hat der Blues aus Mali keine Strukturen, wie wir sie von der amerikanischen Version her kennen. Blues dient als Grossbegriff zu unserer Erklärung, weil Kassonke - in dieser Musiktradition ist er aufgewachsen - kaum als verständliche Beschreibung dienen würde.
Da hört man seine Herkunft aus dem Westen von Mali: Kayes, Heimat und Sehnsucht gleichermassen. Die Liebe zu dieser Heimat und seinen Bewohnern ist gross, auch wenn er deren Verwalter oder seine Landsleute ab und zu mit harten Worten kritisiert. Vierzig harte und entbehrungsreiche Lebensjahre sind in die ruhigen Geschichten seiner Lieder verwoben, doch die Wärme, die Liebe macht den Grundton aus.
Kar Kar ist ein Geschichtenerzähler und seine Weigerung, diese Geschichten zu erklären, zu deuten, macht es uns Bilder-Hungrigen nicht einfach, deren Sinn oder Hintergrund zu begreifen. Er erzählt von afrikanischen Traditionen, die den Weissen in ihrer Symbolik und Exotik oft verschlossen bleiben. Er besingt die Liebe mit all ihren menschlichen und tragischen Schattierungen, die Liebe zu seiner verstorbenen ersten Frau, zu seinen Kindern, ohne dass der Schmerz über das tragische Schicksal dieser Liebe seine Songs schwer oder leidend macht.
Boubacar Traore ist kein Musiker, dessen Lieder man erklären kann, dessen Bilder und Stimmungen man analysieren muss, man muss sich ihnen aussetzen. Dann erlebt man vielleicht ein Afrika jenseits von Klischees und Vorurteilen.