Marlon Nader aka Mavi Phoenix besingt die Rebellion der Selbstfindung, Herzschmerz, Melancholie, das Leben im Moment, Sex, Anziehungskraft und Körperlichkeit. Ein musikalischen Befreiungsschlag nach dem Coming Out
Der österreichische Popmusiker lebt seit 2019 als Transmann. Sein neues Album "Marlon" ist Ausdruck einer Selbstfindung und mit Akustik statt Autotune ein musikalischer Neustart
Interview von Katharina Rustler - im STANDARD
24. Februar 2022, 15:00
Der Musiker hat seine Transition als Chance genutzt, um Neues zu probieren. Manche seiner alten Songs müssen an seine neue Stimmlage angepasst werden.
Bekannt für Songs wie Aventura, gewann er 2019 den FM4-Publikumspreis. Im selben Jahr machte Mavi Phoenix seine Transition (Anm.: Prozess, in dem Änderungen vorgenommen werden, um die Geschlechtsidentität auszudrücken) öffentlich und nennt sich seitdem neben Mavi auch Marlon. Marlon (LLT Records) heißt auch sein neues Album, das musikalische Veränderungen mit sich bringt: mehr Indiepop mit akustischen Gitarrensounds, weniger elektronisch generierte Clubsounds zwischen Autotune, R’n’B und Rap. Warum der Rapper jetzt auch Balladen singt und nicht mehr so tough sein muss wie früher, hat er im Interview erklärt. Ein Gespräch über Gitarrenklänge, Softness und Hormone. Hier geht es zur Videoversion.
STANDARD: Nach "Boys Toys" ist das Ihr zweites Album als Transmann. Wie autobiografisch ist "Marlon"?
Phoenix: Eigentlich komplett. Ich schreibe nur darüber, was mir passiert und worüber ich nachdenke, wobei man das natürlich manchmal überspitzt. Da steigere ich mich in Gefühle extra rein, um sie total zu spüren und auszukosten. Dann geht es mir scheiße, und dann schreib ich einen Song über etwas, das passiert ist, und dann geht’s mir besser.
STANDARD: Gibt es dafür ein Beispiel auf Ihrem neuen Album?
Phoenix: Zum Beispiel in Just an Artist. Im ersten Part des Songs bin ich voll verzweifelt, weil mir die Person nicht zurückschreibt und ich geghostet werde. Da verhalte ich mich fast wie ein kleines Kind, das die ganze Zeit nur jammert. Das ist dann vielleicht ein bisschen überspitzt – aber vielleicht auch nicht.
STANDARD: Ihr neues Album geht stärker in eine Indie-Richtung mit mehr Gitarrensounds als früher. Wieso haben Sie Ihren Stil verändert?
Phoenix: Diese ganze Transition habe ich als Chance gesehen, neue Dinge auszuprobieren. Ich dachte mir aber nicht: "Okay, ich will jetzt voll meinen Stil verändern." Aber ich habe gespürt, dass diese analoge Seite in mir steckt. Die Gitarre, mit der ich das Album aufgenommen habe, habe ich mit 15 Jahren von meinem Vater geschenkt bekommen. So habe ich ja begonnen meine ersten Songs im Teenager-Alter zu schreiben. Ich wollte mir selbst beweisen, dass Mavi Phoenix viel mehr ist, als es vorher den Anschein hatte.
STANDARD: Als Ihr Projekt Mavi Phoenix 2014 begann, war Mavi eine Kunstpersona. Wie unterscheidet sich diese von Marlon?
Phoenix: Das ist eine sehr interessante Frage. Die beiden sind viel näher aneinander jetzt. Ich habe das Gefühl, dass mir Mavi Phoenix sehr dabei geholfen hat, herauszufinden, dass ich ein Transmann bin. Durch das neue Album ist Mavi Phoenix als Kunstfigur stärker mit der Privatperson Marlon verschmolzen. Jetzt ist es spannend für mich, herauszufinden, wer diese Person eigentlich ist.
STANDARD: Die Hormontherapie hatte natürlich auch Einfluss auf Ihre Stimme. Was ermöglicht Ihnen das gesanglich?
Phoenix: Das war schon crazy, als sich meine Stimme verändert hat. Ich habe mich gefreut. Aber als ich in den ersten Bandproben gemerkt habe, dass manche der alten Songs schwierig umzusetzen sind, war da schon ein bisschen Wehmut dabei. Diese Mavi-Phoenix-Rapperin von früher gibt es nicht mehr. Wenn man jetzt auf eines meiner Konzerte geht, ist das etwas komplett anderes. Auch beim Songschreiben macht sich das klarerweise bemerkbar – die Stimme ist ja mein Nummer-eins-Instrument. Ich musste erst lernen, damit zu arbeiten.
STANDARD: Früher haben Sie Ihre Stimme oft verzerrt. Wollten Sie damals schon, dass diese anders klingt?
Phoenix: Ich glaube schon. Ich habe früher ja schon Lieder geschrieben, die von Liebe handeln und sehr nahe an mir dran sind. Die habe ich aber nie veröffentlicht, weil ich mir damals dachte: "Das passt nicht, das ist weird und fühlt sich nicht richtig an." Seit ich ein Transmann bin, tu ich mir viel leichter, soft zu sein. Ich traue mich, auch eine weiche Seite zu zeigen. Davor war ich voll tough und hatte das Gefühl, dass ich jetzt allen zeigen muss, dass ich anders bin. Jetzt kann ich das ablegen, weil ich eh der bin, der ich bin.
STANDARD: Hat sich da auch die Erwartungshaltung verändert? Also mussten Sie als Frau tougher sein nach außen hin?
Phoenix: Ja, das auf jeden Fall. Und weil ich de facto nie eine Frau war, war das für mich halt komplett weird. Ich habe Panikattacken bekommen bei dem Gedanken, wie mich andere sehen. Deswegen wollte ich mich da so abheben und anders sein.
STANDARD: Als Rapperin wurden Sie oft zum Feminismus befragt. Wie sieht das jetzt aus?
Phoenix: In den letzten Interviews kam keine einzige Frage im Bezug auf Feminismus, was ich aber auch irgendwo verstehe. Jedenfalls bin ich Feminist und habe kein Problem, mich zu dem Thema zu äußern. Ich weiß, wie es ist, als weiblich gelesene Person durch die Welt zu gehen. Und ich weiß, dass es sehr starke Unterschiede gibt.
STANDARD: Als Transmann in der Öffentlichkeit werden Sie jetzt sicherlich öfter damit konfrontiert, Stellung zu beziehen. Wie gehen Sie damit um?
Phoenix: Ich sehe ich mich schon als Role-Model. Vor allem, wenn mir auf meinen Social-Media-Kanälen junge Transmänner oder manchmal auch Transfrauen schreiben, die sich von mir repräsentiert fühlen. Das freut mich total. Was mich weniger freut, ist, wenn die eigene Existenz so politisiert wird. Ich möchte mit meinem Transsein kein politisches Statement setzen. Das ist nichts, was man sich aussucht, das ist nicht cool. Das ist schwer und nichts Nices. Deswegen kann es manchmal frustrierend sein, wenn geglaubt wird, das ist aus Aktionismus entstanden.
STANDARD: Welche Erfahrungen haben Sie auf Social Media mit Transphobie gemacht?
Phoenix: Grundsätzlich passiert nicht so viel Negatives auf meinen Kanälen. Statt direkten Hass nehme ich dort eher Zurückhaltung wahr. Ich glaube, viele haben Angst, im direkten Kontakt etwas Falsches zu sagen. Die Stimmung ist sehr kühl teilweise.
STANDARD: Oft herrscht Unsicherheit, wie Transpersonen richtig angesprochen werden wollen. Welche Strategie ist am besten?
Phoenix: Wenn jemand unsicher ist, sollte die Person einfach nachfragen und sagen: "Hey, ich kenn mich nicht aus." Und dann sag ich: "Ich bin ein Mann, und meine Pronomen sind er/ihn." Und that’s it.
STANDARD: Sie haben Ihre Transition 2019 angekündigt und auch öffentlich begleitet. Auf Ihren Kanälen haben Sie Follower verloren. Das ist jetzt eine Zeit her – Sie haben sich verändert, Ihre Musik hat sich verändert. Wie sieht das aktuell aus?
Phoenix: Es ist auf jeden Fall ein kompletter Neustart. Für mich war das der einzige Weg, und ich bin glücklicher als je zuvor. Dass es für die Karriere der alten Mavi Phoenix nicht gut war, war zu erwarten. Deswegen musste ich immer lachen, wenn Leute meinten, das sei nur ein PR-Gag. Das wäre der schlechteste PR-Gag der Welt! Bei den Followern ist jedenfalls ein Austausch passiert. Vor der Transition sind mir 60 Prozent Männer und 40 Prozent Frauen gefolgt. Das hat sich jetzt umgedreht.
STANDARD: Auf Ihrem Instagram-Account finden sich keine alten Beiträge aus der Zeit, wo Sie optisch noch als Frau gelesen wurden. Ist das ein gestrichenes Kapitel für Sie?
Phoenix: Nein, aber das kennt man ja auch, wenn man nicht trans ist: Man cringt ein bisschen, wenn man alte Videos und Fotos von sich anschaut. Bei mir ist das halt noch unangenehmer, weil ich nicht die Person war, die ich sein wollte. Ich möchte mir selbst vergeben, dass ich so spät draufgekommen bin und eine ganze Karriere gestartet habe. Da könnte ich mir manchmal die Zähne dran ausbeißen und denk mir: "Fuck, Scheiße!" Ich versuche aber, aktiv damit Frieden zu schließen. Jede Version von mir hat es ja gebraucht, um da hinzukommen, wo ich jetzt bin.