treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

ERIKA STUCKY YODELS !

Erika Stucky geht dem typischsten aller alpinen Kulturerlebnis auf den Grund: dem Jodel. Doch bald schon merkt der Zuhörer, dass das Jodeln nicht etwas urtypisch Alplerisches ist, sondern urtypisch menschliches, ausgeprägt in den verschiedensten Kulturen rund um den Globus. Und die Jodel bringen nicht immer nur «Heile, heile Segen», sondern können auch durchaus selbstmörderisch sein. Dann wird das Zäuerli zum «Swiss Voodoo» oder zum Alpen-Blues. Grenzen überschreitet Erika Stucky nicht nur bei der Gestaltung ihres Programms. Keine Grenzen kennt sie auch, wenn es darum geht, tradierte Musikformen oder Kompositionen in ihre Welt zu holen. Das ist immerzu spannend, überraschend und witzig – auch wenn der Witz manchmal im Halse stecken bleibt.
Kongenial unterstützt wird Erika Stucky vom Gitarristen Oli Hartung und dem Tubisten Jon Sass.

Wer bei Jodelmusik an Gwen Stefani denkt, hat Erika Stucka noch nicht gehört. Sucky überschreitet nicht selten die Grenzen zum Wahnsinn.
Das Schicksal brachte die US-Schweizerin im zarten Kindesalter aus Flower-Power San Francisco in ein Bergtal ins Wallis, und das Wissen um diesen biografischen Aspekt mag auch Stuckys herrlich verrückte Performance-Ästhetik erklären. Stucky jodelt weitab vom Musikantenstadl-Geplärre, singt und jazzt den Blues und tanzt die wildeste Polka.  Stucky, gibt sich  unter anderem der hohen Kunst des Jodelns hin. Und was beim Laien vielleicht schmunzelndes Unbehagen auslöst, das bringt Stucky in einer abwechslungsreichen und perfekt gestalteten Form rüber. Ihr Stimme hat mehr Meditation als mancher Yogakurs, und wenn sie richtig loslegt, halten die Füße einfach nicht still: Multi-Kulti im allerbesten Sinne. Wer die Gelegenheit hat, die Künstlerin live auf ihrer Tour zu sehen, bitte ohne Zögern hingehen!" (Focus)

Gejodelt wird im dichtesten Dschungel Zentralafrikas bei den Mokombi-Pygmäen, die ihre Kinder damit in den Schlaf »singen« und bei den Inuit. Oder in der Mongolei, in Melanesien, Palästina und Spanien. Schon Augustinus von Hippo (354-430) berichtete vom »Jubilus«, dem »wortlosen Ausströmen einer Freude, die so groß ist, dass sie alle Worte zerbricht«. Den Weltrekord im Dauerjodeln hält Mark Waldmannstetten mit 9 Stunden 43 Minuten. »Erfunden« wurde das Jodeln auch von zwei Japanern, denen auf einer Bergtour das Radio in eine Gletscherspalte fiel. »Holidiladio odel holdudiladio?« Und gejodelt wird im Sattel von Cowboy-Mustangs. Im Blues seit etwa 1900 übrigens auch. Und natürlich im Musikantenstadl. Und eben bei Erika Stucky.

An der 45-jährigen Schweizerin, in San Francisco mit Hippietum und Flower Power aufgewachsen, konnte der Kulturschock eines Umzugs ins Oberwallis in den 70er-Jahren nicht folgenlos vorüberziehen, ein Erlebnis, das die Sängerin ihrem Publikum gern um und in die Ohren haut. Blitzartig wird man da hin- und hergerissen und –geschmissen von US-Slang zum Walliser Dialekt, von Wolkenkratzer- auf Alpenspitzen, vom Wahnsinn zur Wonne, Albträume und Albräume schlafen zusammen im Körbchen, eigentümlich schön und schön eigentümlich.
Über Jahre hinweg hat sich Erika Stucky ein »Standing« in der Jazzwelt aufgebaut, in frühen Jahren als Mitglied der bassbegleiteten A-cappella-Band The Sophistricats, später mit »Bubbletown«, das »somewhere near Sweden or Switzerland« liegt, wie sie zu erklären pflegte, in jüngerer Vergangenheit als Mrs. Bubble & Bones mit ihr, Posaune, Tuba und selbst gebastelten Super-Acht-Projektionen (»die Kamera macht immer so schön Krrrrrrr!«), letztendlich alles Ausdruck einer »geografisch freien Identität«, wie sie sagt. »Ich habe eh meine eigene Folklorestadt«. Darin geht es nicht grundsätzlich böse zu, aber die Volkstümlichkeit schmeckt schon sehr eigen dort, so als ob man zuguckt, wie Hansi Hinterseer der Margot Hellwig auf einer Edelweißwiese die Fußnägel schneidet. Stucky-Stücke sind nie bloße Wiedergabe eines Bestehenden, es ist was Gebrochenes drin - mit Gespür für die Ungereimtheiten unter dem Zehennagel ebenso wie für eine ehrliche Liebe zur Poesie.

Ihren ersten Jodel hat die Sängerin im US-Fernsehen in Tom & Jerry-Cartoons gehört. »Das Cowboy-Jodeln war damals sehr populär. Aber meine Eltern sind keine Musiker. Mein Babba ischt Metzger. Es war also nicht so, dass sie am Tisch gesagt haben: ›Weißt du Erika, es gibt überall auf der Welt Jodeln.‹ Das ›Sportjodeln‹ hat mich dann irgendwann aber gar nicht mehr interessiert, weil das in meinem Kopf sofort Dirndl und Musikantenstadl als Parallele gehabt hat, ganz im Gegensatz zu diesem unsportlichen, unprätentiösen, supertraurigen Jodel.« Dieser Blues der Berge, die Schweizer »Zäuerli»«, bewegen sich oft nach unten, was ihnen einen melancholischen Touch gibt. Diese Jodler gehen tief. Und mit Eigenem wie Covern gleich gut zusammen. »Cover mache ich mir und dem Publikum zuliebe, damit ich nicht ganz so unfassbar bin. Irgendwie hilft es ja auch, zwischendurch mal ein ›Roxanne‹ zu hören. Wer geht schon auf Tour mit Posaune und Tuba? Das ist schon eine Zumutung. Ich tät’ von diesen ganzen Freejazzgruppen zwischendrin auch mal gern ein ›Roxanne‹ hören!«

Auf der Bühne ist Erika Stucky das Alpen-Girlie, Heidi reloaded, Yodel on the rocks, ihr Publikum mit einem wahnwitzigen Mix aus Waliserisch, Englisch und Poesie befeuernd. Im wirklichen Leben hingegen bleibt wenig von der Hippie-Wally. Die Wahl-Zürcherin wirkt da ausgesprochen ernsthaft, sehr ruhig und sanft. »Das sind meine zwei Seelen. Wenn ich nur diese Bühnenfigur wäre, wär’s ja grauenhaft, mit dieser Frau 200 Gigs pro Jahr zu machen. Ich bin froh, dass ich diese Älplerin in mir habe, mit der man auch irgendwo hingehen und was essen kann, ohne dass man sich ständig genieren muss. Ich liebe leise Wesen. Aber ich glaube, das geht jedem Schauspieler so. Mit Al Pacino könnte ich in der Pizzeria an der Ecke hocken, und es würde niemand merken, dass wir da sind. Auf der Bühne tut der und schreit der rum, aber eigentlich ist das ein ganzer ruhiger, fast scheuer Mann.«

Ebenso bedächtig hat sich Erika Stuckys Karriere in den letzten 20 Jahren entwickelt. »Die Hotels werden besser, die Säle werden größer, die Gagen werden besser. Ich hab nie einen Superhit gehabt in den letzten Jahren und musste dann wieder auf den Boden kommen, sondern bin stetig innerlich wie kommerziell gewachsen.« Wobei »kommerziell« hier alles andere als gewinnmaximierend aufzufassen ist. Im Musikantenstadl würde ihre Version von Heimatmelodie wohl zu einem zünftigen Kehraus führen. Seit sie freilich in Stefan Schwieterts zauberhaftem Film Heimatklänge als eine der Repräsentantinnen eines neuen Schweizer Jodels vertreten ist, gibt es auch schon mal Anfragen aus Korea und Vancouver und Post von der Berlinale. Sie profitiert von einer neuen Sichtweise auf eine alte, eine wilde Tradition, die viel tiefer berührt als all die Höhen jagenden Virtuosenjodler, die durch ihr synthetisches Alpenglühen zischen.

 

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