Ned dasi ned gern do warad - i frog mi imma: wos is schlimma – bes oda bled? Gerald Votava feat. Walther Soyka (Knöpferlharmonika) & Maria Petrova (drums) vertonen die letzten Nöstlinger-Gedichte: ganz großes Kino!
Manche Geschichten nehmen einen guten Ausgang, wenige andere sogar einen wunderbaren. Zu den letzteren zählt die Geschichte jener künstlerischen Freundschaft, die die österreichische Jahrhundert-Autorin Christine Nöstlinger in den letzten Jahren ihres Lebens mit dem Wiener Schauspieler, Songwriter und Musiker Gerald Votava geschlossen hat.
In „Maikäfer, flieg!“, der 2016 erschienenen Verfilmung von Nöstlingers Kriegserinnerungen spielte Votava mit ungeheurer Innigkeit den Vater der Dichterin. Man lernte sich kennen, man redete, man kam gut zusammen, wie es in Wien heißt. An einem Punkt überreichte Christine Nöstlinger Votava zwei Dutzend späte Dialektgedichte, ebenso hellsichtige wie pessimistische, ebenso warmherzige wie tieftraurige Lyrik. Votava könne etwas daraus machen, sagte die Dichterin.
Nach drei Jahren der intensiven, fast meditativen Arbeit an den Texten liegt nun „A schenes Lem!“ vor, ein großartiges, modernes, distant-emotionales Songster-Album mit Texten, die gleichermaßen aus einer fernen Vergangenheit zu kommen scheinen und doch ein fast prophetisches Wissen um das Schicksal der Menschheit ausstrahlen.
Gerald Votava singt diese Texte mit der unerbittlichen Konzentration eines Gil Scott Heron, Unterstützung erfährt er durch die zauberhafte Harmonika des großen Walther Soyka.
Große Songalben wie „A schenes Lem!“ sind wie Reisen. Hörerin und Hörer müssen sich zum Mitkommen entscheiden. Dafür zahlen sie einen Preis, dafür wird ihnen ein Lohn zuteil.
Ernst Molden, Oktober 2021
https://www.youtube.com/watch?v=nny5d7eNWzM
Besetzung:
Gerald Votava: Stimme, Gitarre
Walther Soyka: Akkordeon
Maria Petrova: Schlagzeug
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Gerald Votava hat kurz vor Weihnachten ein so ungewöhnliches wie bemerkenswertes Album veröffentlicht: "A schenes Lem!" vertont späte Dialektgedichte von Christine Nöstlinger auf wunderbar reduzierte und berührende Art und Weise. Den 1970 geborenen Schauspieler, Moderator, Musiker und Kabarettisten und die 2018 81-jährig verstorbene Autorin verband eine Freundschaft, ursprünglich wollte Nöstlinger diese Texte gar nicht als Buch, sondern eben als von ihm umgesetzte Lieder in die Welt entlassen. Letztlich sind sie 2019 posthum doch als Gedichtband erschienen ("Ned, dasi ned gean do warat"). Mit der Platte sollte es länger dauern; in der Zurückgezogenheit der Pandemie fand Votava schließlich die nötige Ruhe. Wenige Worte genügen auf "A schenes Lem!", um Geschichten zu erzählen oder den Weltenlauf zu reflektieren ("I frog mi imma: Wos is schlimma? Bes oda bled?"). Manche Stücke bleiben Miniaturen, andere werden zu regulären Songs, Schnickschnack und Firlefanz bleiben sprachlich wie musikalisch stets außen vor – als Referenzen bieten sich Voodoo Jürgens und Georg Danzer an. An der Liveumsetzung wirken die Schlagzeugerin Maria Petrova und Walther Soyka an der Knopfharmonika mit (letzterer ist auch auf dem Album zu hören).
Mittels zweiundzwanzig Miniaturen aus dem 2019 posthum erschienen Gedichtband "Ned dasi ned gern do warad" - Interessenten jenseits des Weisswurstäquators werden möglicherweise die Dienste eines Übersetzungsbüros benötigen - gelingt es Multitalent Gerald Votava der begnadeten Schriftstellerin
Christine Nöstlinger ein angemessenes und würdiges musikalisches Denkmal zu setzen.
Der Kabarettist, Schauspieler und Musiker beherrscht es vorzüglich diesen minimalistischen Milieustudien respektive fokussierten Momentaufnahmen persönlicher Befindlichkeit, ohne aufgesetztes Pathos, mit absolut passender Phrasierung den richtigen vokalen Rahmen zu geben.
Wobei er in Walther Soyka einen kongenialen Partner gefunden hat, der seinen Vortrag via Knöpferlharmonika sensibel und zurückhaltend kommentiert.
Bemerkenswert auch die fotografische Covergestaltung, wo "Herta" - eine Schaufensterpuppe Nöstlingers aus den 30er Jahren - Votava im offenen Wagen auf dem Beifahrersitz in horizontaler Position Gesellschaft leistet.
Fazit: Christine Nöstlinger würde mit diesem Ergebnis vermutlich rundum zufrieden sein.
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Tiefsinnig, rabenschwarz und voller lakonisch-heiterer Zwischentöne, so lesen sich die neuen Dialektgedichte von Christine Nöstlinger. Sie erzählen von Sorgen und Hoffnungen, von Bösartigkeiten und von dem Umgang mit dem Alter. Die arbeitsscheue „Jasmin vun da Vira-Schdiagn“ liegt ihrem Mann auf der Tasche, der „Westbaunhof-Rudl“ schaut sich jeden Tag die kleinen und großen Dramen des Lebens am Bahnsteig an, der stille Meia entfaltet nur vor seinem Goldfisch seine geheimen Gewaltfantasien – soll man deswegen die Polizei rufen? Die Lyrik aus dem Nachlass von Christine Nöstlinger schaut nuanciert vor allem dorthin, wo der Rand der Gesellschaft ist.