Gehörnt & maskiert, Distanz & Nähe, ein bisschen Chilly Gonzalez & Yann Tiersen, ein wenig Minimal & eine Prise Wiegenlied: LAMBERT - der Pianist, der sich hiner einer sardischen Stiermaske verbirgt - um frei zu sein
Sein siebtes Studioalbum OPEN - sein viertes für das Universal/Decca-Imprint Mercury KX - besteht aus 15 prägnanten Instrumentalstücken und ist die intuitive und persönliche Antwort des in Hamburg geborenen und derzeit in Berlin lebenden Komponisten/Multi-Instrumentalisten auf den ersten Lockdown im Frühjahr 2020. Eine ebenso ruhige wie unruhige Reise, in deren Mittelpunkt das Klavier steht und die sich nahtlos zwischen improvisiertem Jazz, Klassik und filmischem Ambiente bewegt. OPEN / Offenheit ist auch ein Schlüssel zum Verständnis dieser eigenwilligen, rätselhaften und verspielten Figur, die nie ohne ihre gehörnte Maske zu sehen ist.
"Als Teenager hatte ich Schwierigkeiten, Kontakte zu knüpfen, also habe ich mich der Musik zugewandt", erklärt er. "Und obwohl es mir besser ging, fühlte ich mich immer noch unnahbar. Aber der Einschluss war eine erzwungene Situation, also ist OPEN eine Art Nostalgie nach mehr sozialer Interaktion."
Vor fünf Jahren trat Lambert zum ersten Mal in Erscheinung oder besser: er ließ von sich hören. Die Person hinter der sardischen Stiermaske bleibt bis heute unerkannt. Gerüchte darüber, wer und was sich hinter dieser Maske verbergen könnte, gibt es zuhauf. Nicht zuletzt deshalb, weil Lamberts Spiel auch international bekannt und gefragt ist. Namhafte Künstler wie zum Beispiel José González, Deichkind und Moderat fragten Reworks ihrer Tracks an und bekamen einzigartige Neuinterpretationen zurück. In den besagten fünf Jahren veröffentlichte Lambert vier Solo-Alben und tourte über den halben Kontinent. Und nachdem er 2018 zwei Alben, eines in Kollaboration mit dem Elektronik-Produzenten Stimming und eines mit dem Chicagoer Folk-Sänger Brooklyn Dekker veröffentlichte, erklang im Mai diesen Jahres nun wieder Lambert in Reinform: alleine und maskiert am Klavier.
Busy days, busy years – so sehr, dass man schon mehr als eine Persönlichkeit hinter diesem Pseudonym vermutete. Gerüchte und Namen sind für Lambert aber nicht mehr als inspirierender Schall und Rauch. Das, was zählt, ist das, was wirklich dahinter steckt: Ein neues Lambert-Album wird diese Geschichte im Herbst 2019 weiterschreiben und tiefer verorten.
Die Klassifizierung des Künstlers und Phänomens namens Lambert in ein enges Genre-Korsett wird durch die genannte Vielseitigkeit nahezu untragbar. Dennoch, der Name fällt oftmals in neoklassischen Zusammenhängen. Möglicherweise weil seine ersten Liveauftritte gemeinsam mit Nils Frahm und Ólafur Arnalds stattfanden. Dabei sprechen Lamberts Harmonien auch eine deutliche, andere Sprache: Melodien zwischen den Beatles und diesem Chopin treffen auf rhythmische Strukturen und mitreissende Bewegungen, die moderne elektronische Tanzmusik referenzieren. Lambert scheint demnach nicht viel darauf zu geben, pop- oder hochkulturell verortet zu werden. Es tut schließlich auch nichts zur Sache, ist es doch so oberflächlich und trügend wie jede Äußerlichkeit.
Festzuhalten bleibt aber, dass Lambert im Gegensatz zur Neoklassik, ihrer Ambienthaftigkeit sowie der konzentrierten Rolle von Fläche und diatonischer Harmonie, sich musikalisch deutlich vielseitiger versteht. Auch schimmert immer wieder ein klares und technisch versiertes Interesse an Musik bis hin zu einem Nerdtum bei ihm durch: Bach und Chopin sind dabei genauso Thema wie Bill Evans, Keith Jarrett und Brad Mehldau. Große Helden, die man nicht hinter jedem seiner Stücke vermuten würde. Denn die im Gegensatz dazu auch zu spürende Eingängigkeit popkultureller Traditionen und Inspirationen machen Lambert zu einem bunten Phänomen, einem gehörnten Pop-Trüffelschweinchen im Matsch der Neoklassik.
Aber die nächsten Arbeiten von Lambert werden die Welt sicher wieder eines Besseren belehren. Denn genauso wie viele Persönlichkeiten hinter dieser Maske stecken könnten, kann ein einziges Genre gewiss nicht genug für diesen Klangkosmos sein. Vielleicht ist dies damit auch die beste Verortung für das versteckt spielende Klavier: überall und nirgends, aber immer genau da.
LAMBERT präsentiert im Treibhaus vor zwei Jahren sein Album „Stay in the Dark“, das er tatsächlich ausschließlich in der Dunkelheit der Nacht aufgenommen hat. Und so wurde es eine Liebeserklärung an ebensolche – wunderschönes, forschendes Klavierwerk zwischen klassischer Romantik, modernem Minimalismus, modalem Jazz und einer gewissen, Opulenz immer nur andeutenden «Coldplayhaftigkeit». Aus der Not wurde eine Tugend, mit großartigem Ergebnis: LAMBERT fand nur nachts die Zeit, an neuer, eigener Musik zu arbeiten. Weil er tagsüber mit Arbeiten an Film-Soundtracks oder Piano-Re-Works von Deichkind über die Beatsteaks bis Boy beschäftigt war. Oder mit dem Einkauf. Oder Aufräumen. Oder Schlafen…
Schließlich beschloss LAMBERT, fortan nur noch nachts zu komponieren. Damit die Stücke tatsächlich aus einer Stimmung heraus, in einem festgelegten Ambiente, entstehen konnten. Und weil man in der nächtlichen Stadt von einer beinahe wundersamen Stille umgeben ist, in der man als Musiker von kaum einem anderen Sinn abgelenkt ist. Eine Stille und Ruhe, die LAMBERT offenbar vertont hat. Und schon schließt sich der Kreis wieder – zu den ruhelosen Mitt-Dreißigern auf der Suche nach dem richtigen Soundtrack zum Runterkommen. Im Dunkeln oder im Hellen.
Noch vor seinem Solo-Debüt «Lambert» hat der Wahl-Berliner bereits im Hintergrund auf sich aufmerksam gemacht — durch seine minimalen Neuarbeitungen für Bands wie Bonaparte, Ja Panik, Boy oder Me and My Drummer. Sein erstes Album erschien 2014 auf dem Berliner Label Staatsakt und wurde von Nils Frahm gemischt und gemastert. 2015 erschien „Stay in the Dark“