der ungefilterte Soundtrack der russischen Putin Kritik. PUSSY RiOT spenden den größten Teil ihrer Gage für ein Kinderkrankenhaus in Kiew - da machen auch wir und unser Publikum mit....
Als Mitglied von Pussy Riot gilt Marija Aljochina dem Kreml als Staatsfeindin. Verkleidet als Kurierfahrerin flüchtete sie zu Kriegsbeginn aus Russland, um in Europa mit ihrer Punkband gegen Putin zu kämpfen und um Solidarität mit der Ukraine weltweit zu zelebrieren. (die Gage geht an ein Krankenhaus in Kiew).
Russland überfällt die Ukraine. Die russische Gesellschaft wird zunehmend gleichgeschaltet, Protest gewaltsam niedergeschlagen.
Weltweite Bekanntheit erlangte Pussy Riot mit ihrem „Punk-Gebet“ in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale. „Gottesmutter, gesegnete Jungfrau, vertreibe Putin!" Darauf folgte ein international stark kritisierter Gerichtsprozess, an dessen Ende drei der beteiligten Frauen, darunter Marija Aljochina, zu jeweils zwei Jahren im Arbeitslager verurteilt wurden. Das Leben in einem russischen Lager und der Kampf gegen Repression werden verarbeitet, ein Crossover aus Konzert, Kundgebung & Theater, Sprechgesang & Live-Musik erzählen eine Geschichte von Widerstand, Repression & Revolution. Kunst, die auf politischen Aktivismus trifft - fesselnd, inspirierend & lebensfroher Beleg für ein anderes Russland!
PremierenKritik aus der Elb-Philharmonie
Es ist eine kleine, vielsagende Panne im Ablauf des Konzerts: Marija Aljochina hat sich auf der Bühne eine Zigarette angezündet, nach rund einer Stunde zorniger Klanglawinen. Auf einer Leinwand im Hintergrund laufen körnige Videos, die zeigen, wie sie und ihre Mitstreiterinnen von Pussy Riot damals, vor zehn Jahren, ihren Auftritt in der Christ-Erlöser-Kathedrale Moskaus hinlegten.
Da steht sie, die junge Frau im hellen Kleid, die für ihren Auftritt zwei Jahre Lagerhaft bekommen hat - auf turmhohen Sneakern, statt Schnürsenkel schmücken sie weiße Bänder - und zieht, Sonnenbrille im Gesicht, an ihrer Kippe. Bis ein Techniker der Elbphilharmonie von der Seite kommt und sie höflich bittet, die Kippe abzugeben: Nein, geraucht werden darf hier nicht.
Der Kontrast könnte kaum größer sein zwischen der bürgerlichen Akkuratesse der Elphi - natürlich unter normalen Bedingungen völlig verständlich - und dieser zornigen Re-Inszenierung eines ganzen Jahrzehnts im Widerstand gegen Putin und sein Regime. Mut versus Kleinmut? Die kleine Geste besagt vielmehr, dass an diesem Abend zwei Welten zusammenprallen.
Ohne einen Hauch Selbstbeweihräucherung wird hier auf Basis von Marija Aljochinas Geschichte schreiend durchdekliniert, wie schwer Widerstand in Putins Russland ist. Wie viel Mut es braucht, wie viel Charisma. Und dass das Geld für diesen Polizeiapparat eben zu großen Teilen aus dem Westen kommt. Gas wärmt die Menschen hier, tötet aber die Menschen dort. Zynisch, aber wahr.
Pussy Riot widmet den Abend der Ukraine
Der energiegeladene Auftritt von Pussy Riot erzählt aber auch, was der Westen, ganz vorne dabei Deutschland, lange nicht wahrhaben wollte: dass der Krieg nicht erst am 24. Februar 2022 begann, übrigens fast exakt zehn Jahre nach dem legendären Pussy Riot-Auftritt. Nein, der Krieg hat schon 2014 begonnen, mit der Besetzung der Krim. Und der Westen hat sich von den Kassandra-Rufen der mutigen Aktivistinnen nicht aus seiner Bequemlichkeit aufschrecken lassen.
Diesen Abend widmen Pussy Riot der Ukraine, dem Werben um ein sofortiges Gas- und Öl-Embargo, die Konzerterlöse fließen an ein Kinderkrankenhaus in Kiew. In einem aktuellen Antikriegs-Song klingt "Butscha" wie ein einziger gequälter Laut. Das bewegt, trifft ins Mark.
Und die weltbekannte Gruppe hat zwei Musikerinnen aus der Ukraine eingeladen, ihre Geschichte zu erzählen.
Sie singen kraftvoll die ukrainische Hymne. Lauter starke Momente. Es ist wie eine sprichwörtliche kalte Dusche, wenn die Aktivistinnen kaltes Wasser aus Flaschen ins Publikum schütten. "Werdet endlich wach", scheinen sie sagen zu wollen. Die große Frage steht im Raum - tun wir genug? Die Antwort der Gruppe: Nein!
Um eine Kippe auszudrücken, braucht es einen Aschenbecher, um dieses Feuer in der Ukraine zu löschen: deutlich mehr.
Ivona Jelcic / Standard
Seit ihrer spektakulären Flucht aus Russland tourt Maria Aljochina mit Pussy Riot durch Europa, am Sonntag gastierte die Band in Tirol. Die Aktivistin spricht im Interview über ihre Flucht, Putins Repressionen und die Reaktion des Westens auf Russlands Überfall auf die Ukraine. Die aktuelle Europatour der Kreml-kritischen Punkband steht im Zeichen der Solidarität mit der Ukraine, Sonntagabend fand in der Alten Gerberei in St. Johann in Tirol der einzige Österreich-Auftritt statt.(und der nächste folgt sogleich - im Innsbrucker treibhaus)
Der finale Schmerzensschrei gilt den Opfern von Butscha, Sirenen heulen, Kriegsbilder flimmern über den Videoscreen. Maria, besser bekannt als Mascha Aljochina, trägt ein T-Shirt in den Farben der ukrainischen Flagge. Als die Mitglieder von Pussy Riot am frühen Sonntagabend in einem alten Rotkreuz-Bus mit tschechischem Kennzeichen vor dem Kulturzentrum Alte Gerberei vorfuhren, wurden sie bereits von einer Menge Fotografen erwartet. So viel Medienrummel gibt es in der Gegend um St. Johann sonst nur, wenn im nahen Kitzbühel oder beim berühmten Stanglwirt die Prominenz antanzt. Die Region ist auch bei russischen Investoren beliebt, die hier gern Hotels und Häuser kaufen.
Die Aktivistinnen wissen die Aufmerksamkeit, die ihnen seit Aljochinas Flucht aus Russland vor knapp einer Woche zuteilwird, zu nutzen: "Macht Putin platt", lautete die Devise ihres Auftritts. Aljochina, Diana Burkot, Olga Borissowa und Anton Ponomarew traten in grellbunten Sturmhauben auf und ließen die Segnungen des Protestpunk auch in Form von Wasserduschen über das Publikum kommen. Mehr multimedial unterstützte Lecture-Performance (Visuals: Wassili Bogatow) als Konzert, folgte der Abend der Dramaturgie von Aljochinas Buch "Riot Days" und damit auch der Geschichte der Band. Aljochina hat ihr gerade ein spektakuläres Kapitel hinzugefügt.
STANDARD: Vor zehn Jahren haben Sie mit Pussy Riot in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau gegen Putin protestiert und saßen danach zwei Jahre im Gefängnis. Die Repressionen gegen Oppositionelle wurden seither weiter verschärft. Wie haben Sie die letzten Jahre erlebt?
Maria Aljochina: Als Nadja (Tolokonnikowa, Anm.) und ich 2014 wieder auf freiem Fuß waren, haben wir anlässlich der Olympischen Winterspiele unsere Aktion "Putin Will Teach You to Love the Motherland" in Sotschi realisiert. Wir wurden verprügelt, mit Tränengas attackiert, erneut mit Gefängnis bedroht. Kurz darauf, im März 2014, folgte die Annexion der Krim. In diesem Moment begann eine neue, noch härtere Welle der Repression. Mittlerweile haben wir in Russland eine Art Kriegszensur. Das Schockierendste waren für uns 2014 aber die lahmen Reaktionen des Westens. Der Preis dafür sind jetzt tausende unschuldige Leben in der Ukraine.
STANDARD: Sie werfen dem Westen Tatenlosigkeit vor. Fühlen sich Oppositionelle in Russland im Stich gelassen?
Aljochina: Ich wurde nach meiner Entlassung zu großen Konferenzen und Veranstaltungen eingeladen, überall hat man mir die Hand geschüttelt, es wurde viel gelächelt, aber es ist nichts passiert. Du sprichst darüber, was vorgeht, dass tausende Menschen inhaftiert sind, dass Menschen vergiftet werden, dass sie ermordet werden, und die Leute reagieren betroffen und sagen: "Wir sind zutiefst besorgt." Für diesen Ausdruck haben wir in Russland inzwischen sogar ein eigenes Meme. Aber: Deutschland hat zehn Jahre lang Waffen an Putin verkauft, diese Waffen werden jetzt im Krieg gegen die Ukraine verwendet. Der Westen kauft weiterhin russisches Öl und Gas. Die Einnahmen daraus werden dafür verwendet, den russischen Polizei- und Militärstaat aufrechtzuerhalten. Das Geschäft damit haben sich Putins Freunde untereinander aufgeteilt. Und für das Geld, das sie damit machen, kaufen sie hier bei euch Häuser.
STANDARD: Was müsste aus Ihrer Sicht passieren?
Aljochina: Putin muss vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Und nicht nur er allein. Und: Friert die Vermögen ein, beschlagnahmt endlich die russischen Besitztümer! Sie stammen von Leuten, die vom Regime profitieren und damit genug Geld machen, um woanders leben zu können, während sie eine Propaganda unterstützen, in der es heißt, dass Kriegsgegner sterilisiert und in Konzentrationslager gebracht werden sollen.
STANDARD: Mit Ihrer Flucht haben Sie die russischen Sicherheitskräfte und den Geheimdienst düpiert. Eine Genugtuung?
Aljochina: Ja, natürlich. Denn es zeigt auch, wie dumm die Autoritäten sind.
STANDARD: Wie kamen Sie auf die Idee, sich als Essenslieferantin zu verkleiden, um zu entkommen?
Aljochina: Meine Freundin hat diese Verkleidung schon benutzt, während ich in Haft war. Sie wurde überwacht. Um überhaupt das Haus verlassen zu können, hat sie sich diese Klamotten im Internet bestellt. Über eine Art russisches Ebay, da bekommst du alles. Wir hatten für unsere Aktionen aber auch schon früher Verkleidungen benutzt, zum Beispiel die orangen Overalls der Gemeindearbeiter.
STANDARD: Ist der Protest mit den Mitteln der Kunst aktuell die einzige verbliebene Waffe gegen Putin?
Aljochina: Es gibt viele unterschiedliche Wege, und jede noch so kleine Geste ist wichtig. Aber die Leute haben zu Recht Angst. Wenn man diesen Krieg auch nur als Krieg benennt, drohen einem jahrelange Gefängnisstrafen. Und trotzdem gibt es immer noch Menschen, die dagegen aufstehen: Sascha Skotschilenko zum Beispiel, eine feministische Autorin und Musikerin, hat den Preisschildern in Supermärkten Zahlen über die Kriegstoten hinzugefügt. Sie ist jetzt in Haft. Diese Geschichten muss man erzählen, auch das ist ein Grund, warum ich unbedingt auf diese Tour gehen wollte. (Ivona Jelčić, Der Standard, 16.5.2022)