aufgebrochen vor vier Wochen nach den großen Städten / Der Mond leuchtet auf jeden Fall geheimnisvoll über dem Staate Alabama: Windkraft: Kapelle für neue Musik, Kaspar & Elisabeth de Roo wagen Brecht/Weill ...
»aufgebrochen vor vier Wochen nach den großen Städten, um das Glück zu versuchen«.
Der Aufbruch - nicht ganz freiwillig.
Anna wird von ihrer Familie (Männerquartett) durch Amerika getrieben, die auf ihre Kosten ein bequemes Leben führen will.
Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Unzucht, Habsucht und Neid - hier sind die Lebens- und Leidensstationen der jungen Anna, die unter den Belastungen ihrer unmenschlichen Umwelt bereits zerbrochen ist - und sich schizophren wahrnimmt (Anna 1 und II = Sängerin & Tänzerin).
Anna I leidet unter dem Selbstoptimierungswahn unserer Zeit, nachdem Motto: „Da geht noch etwas mehr an Einsatz und Selbstaufgabe“. Anna II, die zu mindest anfänglich ihre Werte kennt, bricht letztendlich unter dem Druck ihres Alter Egos zusammen. Sie opfert sich selbst auf dem Altar des Mammons und am Ende leider auch ihr Glück, während ihre Familie singt: »Der Herr erleuchte unsere Kinder, daß sie den Weg erkennen, der zum Wohlstand führt: daß sie nicht sündigen gegen die Gesetze, die da reich und glücklich machen.«
Wie schnell sich fleißige Bürger und Bürgerinnen doch von sich selbst entfremden und sie sich schwuppdiwupp! in Doppelmoral aufspalten. Diese Doppelmoral, die finden wir heute genauso wie damals, vor 100 Jahren, als „die sieben Todsünden“ in Paris Prämiere feierten. Für diese reiste Berchtold Brecht extra aus dem Schweizer Exil an, um das Exempel an den beiden Annas zu statuieren: wie eine Person, deren Arbeitskraft auf dem freien Markt nicht viel gilt, in zwei Rollen zerfällt, in die der Ware und die der Sich-Selbst-Ausbeutenden.
Ein Statement gegen antisemitischen Hass und nationalsozialistische Verfolgungswut. Ein Beweis gelebter Toleranz. Denn hatten sich hier nicht zwei in ihrer Heimat nun verachtete Intellektuelle noch einmal zur Zusammenarbeit vereint? Zwei Querdenker, deren Wege sich bereits getrennt hatten – und zwar wegen eigentlich unüberbrückbarer Differenzen? Aber der Komponist Kurt Weill war über seinen Schatten gesprungen und hatte Bert Brecht eingeladen, das Libretto zu diesem denkwürdigen Gesamtkunstwerk zu schreiben.
Hinter den Kulissen jedoch schien man – wie zum Trotz - allen Lastern gleichzeitig zu frönen. Kurt Weills Ehefrau Lotte Lenya, die die Hauptrolle der Anna 1 sang, befand sich in Begleitung ihres Liebhabers, des Tenors Otto Pasetti, den der Gatte freundlicherweise mit einer Rolle bedacht hatte. Sie stürzte sich in eine heiße Affäre mit der Tänzerin Tilly Losch, der Darstellerin der Anna 2, deren Mann, der britische Multimillionär Edward James, das Stück aus seiner Portokasse finanzierte. Kurt Weil wiederum turtelte mit der Frau des Bühnenbildners Caspar Neher. Kurz gesagt: in den Wochen, in denen "Die sieben Todsünden" in Paris auf dem Spielplan standen, ließ es das Ensemble wohl ziemlich krachen. Ein Tanz auf dem Pulverfass. Denn die größte Gefahr stellte damals beileibe nicht der vergleichsweise harmlose amerikanische Kapitalismus dar. Sie ging von dem grausamen Regime aus, das sich kurz zuvor in Berlin etabliert hatte.
Mahagonny. Ein Songspiel - hatte der junge wilde Weill 1927 beim Festival Deutsche Kammermusik in Baden-Baden vorgestellt. Die Songs darin basieren auf Texten von Bertolt Brecht, die er einige Jahre zuvor in dem Gedichtband „Hauspostille“ veröffentlich hatte. „Mahagonny“ ist hier der Name für eine Stadt, der eher aus klanglichen Gründen gewählt wurde. So heißt es in im Singspiel am Schluss: „Mahagonny – das gibt es nicht. Mahagonny – das ist kein Ort. Mahagonny – das ist nur ein erfundenes Wort.
Der Mond leuchtet auf jeden Fall geheimnisvoll über dem Staate Alabama (wie es der berühmteste Song aus diesem Spiel beschwört), über dem Staate Alabama, in dem eigentlich etwas faul war. Doch das ahnten Brecht und Weill nur von weitem, am Ende der Goldenen Zwanziger Jahre in Deutschland. Sie sollten dem Rassismus in den US-Südstaaten bald näher kommen, auf der Flucht vor dem Rassismus in ihrer Heimat. Da hatten sich die beiden allerdings schon überworfen. Brecht-Weill – diese Kombination funktionierte nicht lange. Die Früchte dieser Zusammenarbeit allerdings bleiben für die Ewigkeit. Wie die Lieder Franz Schuberts.
Windkraft, die Kapelle für Neue Musik ist in seiner Art einzigartig - ein Orchester aus Holz- und Blechbläsern, das sich auf Zeitgenössische Musik spezialisiert hat.
Windkraft verdankt seine Gründung im Jahr 1999 einer besonderen Fügung: Kasper de Roo, ein Spezialist für Neue Musik, war Musikdirektor am Tiroler Landestheater, und Thomas Larcher, Komponist und Pianist, hatte mit „Klangspuren“ ein hochkarätiges Festival für Neue Musik in Schwaz gegründet. Beide wollten ein Tiroler Ensemble für Neue Musik ins Leben rufen und fanden dazu in Tirol eine lokale Besonderheit: das Land ist ein hervorragender Boden für Blasmusik. Es gibt hier mehr Blaskapellen als Gemeinden und damit ein reiches Reservoir an hervorragenden Talenten, von denen einige in großen Orchestern tätig sind.
Eindrucksvolle Beispiele der Geschichte von Windkraft, wie die Arbeit mit Sofia Gubaidulina an „Stunde der Seele“ oder die Arbeit mit Johannes Maria Staud an der Auftragskomposition „Violent Incidents“, sind Ausdruck dieser exklusiven Position. Dass die „Kapelle für Neue Musik“ in diesen 20 Jahren über 70 Kompositionen zur Uraufführung gebracht hat, zeigt welche Bedeutung Windkraft für Komponistinnen und Komponisten hat. Obwohl Windkraft - Kapelle für Neue Musik kein permanentes, sondern projektbezogenes Ensemble ist, hat es im Repertoire über hundert Werke anzubieten.
Die Auswahl reicht von Louis Andriessen bis Alexander Wustin, dazwischen liegt mit Birtwistle, Eötvös, Kancheli, Ligeti, Haas, Mansurjan, Martland, Nono, Rihm, Ustwolskaja u.a. viel Prominenz. Das Repertoire beschränkt sich keineswegs auf große Namen, zur Aufführung kommen auch Junge und ganz Junge, international entdeckt und aus der eigenen Tiroler Region. Windkraft strahlt weit über die Grenzen hinaus, ist aber selbstverständlich in der Region verankert.