treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

FANFARE CiOCARLiA ::: DIE SCHNELLSTE BLASKAPELLE DER WELT ::: ROM-ÄNIEN

ein unvergessliches Bild - eine Blaskapelle mitsamt ihrem verbeulten Instrumentarium  in die Äste eines Baumes gebunden, die um ihr Leben aufspielen - so gesehen in BLACK CAT WHITE CAT - Emir Kusturicas Meisterwerk, das auch der 12-köpfigen Gipsy-Brass-Band Fanfare Cioccarlia auf der ganzen Welt mit ihrer Musik bekannt gemacht hat.
Ihre Musik erzählt von Menschen auf der Suche nach dem authentischen Leben. Sehnsucht nach Liebe und Leiden, Chaos und Suff. Seelenschmerz, für den es sich zu leben lohnt, der nicht in depressiver Finsternis versinkt, sondern in ein lichtes Erwachen mündet. Der Fluß, der Matsch, der Truthahn auf dem Tisch und die Pistole im Anschlag. 
"Was wird gefeiert?" "Eine Hochzeit!" "Und eine Beerdigung!" Der Bräutigam flieht oder ist tot, und das Mädchen sinkt in die Arme des Jungen, der kaum Haare am Sack, geschweige denn den Stimmbruch überwunden hat.

Im Laufe der Jahrzehnte haben sie ihren Glanz verloren und eine eigene Patina gewonnen, sie haben unzählige Narben und Beulen und sie sind aus Blech - die Instrumente der Fanfare Ciocârlia. „Es gibt viele Bands wie die unsere in Rumänien, doch wir sind die Schnellsten.“ und mittlerweile die weltweit erfolgreichsten. Hinter den Bergen bei den sieben Zwergen: Was in einem bekannten Märchen als charmante Umschreibung für „Am Arsch der Welt“ herhalten muss, könnte genauso gut für die Heimatstadt der Fanfare Ciocarlia gelten. Zece Prajini (Zehn Felder) heißt das mit Kuhkaff noch charmant umschriebene Dorf im Osten Rumäniens, das zwar an einem Bahngleis liegt, der dort dreimal am Tag vorbeifahrende Zug hält jedoch nicht. Die Passagiere, die zu der kleinen Ansammlung von Häusern gelangen möchten, müssen kurzerhand aus dem fahrenden Zug springen. Gnädigerweise verlangsamt der Lokführer an der Stelle das Tempo, damit die Reisenden sich sanft in die Böschung werfen können. Wie in vielen anderen abgelegenen Dörfern auf dem Balkan, gibt es auch in Zece Prajini eine rege Blechbläser- Szene der Roma-Zigeuner. Die Kapelle nennt sich Fanfare und spielt bei allen möglichen Festlichkeiten auf. Die Musik, die sie dabei spielen geht auf die Marschmusik der Osmanen zurück. Notenblätter und derlei Krimskrams existiert dabei nicht. Die Musiker holen einfach ihre verbeulten Tröten hervor und rocken das Fest im besten Wortsinn.



Die Roma aus dem Dorf ,,Zece Prajini", im Nordosten Rumäniens, spielen im enormen Tempo und mit einem unglaublichem Sinn für rasante Rhythmik, traditionelle Tänze und Melodien, wie Sîrba, Hora und Brîu auf Blasinstrumenten - fernab der hierzulande existierenden Schrebergartenklischees.
Das Repertoire von Fanfare Ciocarlia besteht aus einer schier endlosen Menge an Stücken, deren Roots in der Volksmusik des Landes und der Region des Balkans liegen und gleichzeitig eine Musiktradition der Roma repräsentiert. Das Vibrato der Trompeten, die mächtige Bassektion, treibende Paukenschläge, die schreienden Saxophon- und wilden Klarinettenklänge lassen uns eindringen in den Sog der langen Partys, die man in ihrer Heimat noch zu feiern versteht. Noten sind den Musikern zwischen 22 und 60 Jahren fremd - die Kunst des Musizierens wurde und wird seit ewigen Zeiten vom Vater zum Sohn weitergegeben. Die Musik der "Fanfaren" - so bezeichnen die in Rumänien lebenden Roma ihre Blaskapellen, begleiten das rituelle Leben des nördlichen Teils von Rumänien. Ob Geburten, Taufen, Hochzeiten oder andere Feste - überall sind die Fanfaren fester Bestandteil. Die Musiker stolz über ihr Orchester: "Wir sind eine der letzten Tzigani-Kapellen dieser Art in Rumänien, mit alter Tradition, reichem Repertoire und - wir sind die Schnellsten...!" Sie meinen es ernst damit: hat man bei der Dorfhymne "Sîrba de la Zece Prajini" noch die Möglichkeit, den Takt mit dem Fu& mitzuhalten, ist die Gefahr gro&, bei der"Bâtuta la rînd" den Boden unter den Fü&en zu verlieren.
Es gleicht einem Wunder, wenn sich die Musikerzahl für einige Melodien auf nur vier reduziert und langsame Stücke erklingen, in denen filigrane Klangmuster und poetische Melodien gezaubert werden. Beeindruckend die au&ergewöhnliche Besetzung dieses zeitweiligen Quartetts: Basstuba, Baritonhorn, Trompete und Saxophon. In akrobatischer und zartfühliger Weise lassen sie uns für einige Minuten vom Sturm der Hörner verschnaufen Die auf dem Balkan angesiedelten Gypsie Brassbands unterscheiden sich in origineller Weise von dem statischen Stil der uns bekannten Blasmusik. Ursprung sind die im 19. Jahrhundert entstandenen türkischen Militärblaskapellen. Die damalige osmanische Okkupation des Balkans beeinflu&te auch die Musik. Ob in Bulgarien, Mazedonien, Serbien oder Rumänien - überall sind die orientalischen Einflüsse hörbar.
Fanfare Ciocarlia beschränkt sich nicht auf ein bestimmtes Publikum und lä&t sich nicht leichtfertig in eine der herkömmlichen Musikschubladen ablegen.
Wenn sich Baritonspieler Constantin in dem Stück "Dansul lui Sulo" per Stimme mit dem Orchester mi&t, wird man leicht an Rapphrasen oder Reggae-Toasts erinnert. Die faszinierende Mischung musikalischer Elemente und Kulturen, die die Roma auf ihrem Weg nach Europa adaptierten, der orientalische Einflu& und das spielerische Temperament der Musiker machen diese Art von Blasmusik so einzigartig.
Trotzdem werden Zeitgeist-Bands mit elektronischen Instrumenten und kleiner, westlich orientierter Besetzung in Rumänien immer gefragter und lassen die Erwerbsquelle der traditionellen Blasorchester langsam versiegen. Mit tragikomischer Melancholie reagiert Fanfare Ciocarlia auf diese Entwicklung und lä&t Welthits wie "One way ticket..." von den umliegenden Bergen des Dorfes widerhallen. Sie sind noch von der alten Spielwut ihrer Väter beseelt und so werden sie mit Trompeten, Hörnern, Klarinetten und ihrer Pauke - Derwischen gleich - immer wieder auf Asphalt-Tango-Tour gehen, um ihr Repertoire auch außerhalb ihrer Heimat zu präsentieren. 


Musik als Hoffnung in Schlimmen Zeiten

Sie kommen aus der Armut des ländlichen Rumänien, sind zum internationalen Erfolg geworden, sind durch die halbe Welt getourt und, was selten ist - so natürlich und authentisch geblieben, als spielten sie vor ihrem Publikum auf zum Fest, zum Tanz, zur Hochzeit. Aber wie! Man musste Angst haben, dass der Große Saal in der Linse am Ende des Konzerts Risse hätte.
Wer den berührenden Dokumentarfilm über sie in der "Linse" gesehen hat, weiß dass sie aus dem Dreck kommen. In dem rumänischen Dorf Zece Prajini gibt es keine Straßen, keine Arbeit und keine Hoffnung. Die zwölf Musiker der Brass Band "Fanfare Ciocarlia" sind "Zigeuner", Roma und menschlicher Dreck in diesem von, einer kommunistischen Diktatur heruntergewirtschafteten Land.
Aber wenn der Trompeter das einheimische Wort für Zigeuner, "Tzigani", ins Publikum schreit, dann ist das wie ein Kampfruf - "wir leben". Vielleicht besser gesagt: "wir leben wieder", denn dass sie ihre verbeulten Instrumente repariert, die alten Melodien wieder eingeübt haben, für die es keine Anlässe mehr gab, weil es in den Dörfern am Geld fehlt für rauschende Feste mit einer Kapelle, dies haben sie zwei Berliner Musikern zu verdanken, die sie mühsam entdeckt und dann motiviert haben, an die Kraft der eignen Kultur zu glauben. Der Name der Band heißt wörtlich wohl "Kapelle Nachtigall", was nur ein Zeichen herzhafter, Selbstironie sein kann. Denn in ihrem akustischen Umfeld wird es keine Lerche auf den Bäumen aushalten. ihre Musik ist bare Lebenslust, von der herben Würze eines rustikalen Mahles.
Als säße ihnen der Tod im Nacken oder der nächste Schicksalsschlag, als wüssten sie ständig, wie kurz ein Moment des Glücks in ihren erbärmlichen Verhältnissen sein kann, spielen sie mit der Zeit um die Wette. Rasende Stakkati, die bullige Kraft der Tuben und Hörner, die niemand soll aufhalten können, die Klarinette, die sich dazwischen, schlängelt, Saxophon und Trompeten, kleine anarchische Kapriolen tanzend, und der Zug jagt davon; und. kommt so abrupt zum Stehen, wie er an Tempo gewann. Atem holen, ein erdig- schweres Bläserquartett, und schon wieder in voller Fahrt.
Das ist nicht die osteuropäische "Zigeunermusik", die dem jiddischen Klezmer verwandt ist - melancholisch, ein sprudelnder Geschichtenfluss, der leicht züngige Witz. Aber sie ist nicht weniger authentisch - und ebensoviel wurzelig, wie die der Wintersteins, der Reinhardts, weil vom erzwungenem Vagabundieren geprägt. Den Orient hört man, türkische und indische Spuren, und den magyarischen Musikraum. Die Zwölf Musiker sind, trotz Welttourneen, ungekünstelt, ganz sie selbst geblieben, ohne Show-Attituden, ohne Folklore-Getue. Und doch auch keine Ethnotruppe, die den Wunsch nach der "heilen Volkskultur" bedient. Frech, lustvoll adaptieren sie auf ihr Instrumentarium einen Bolero; einen Rumba, ohne dass daraus ein Mitklatsch-Geschrammel würde.
Diese Band ist ein musikalisches Hoffnungssignal - laut, stark, selbstbewusst. Gegen den anglo-amerikanischen Einheitsbrei, gegen die Globalisierung der Weltkulturen. Und diese Musik kommt aus dem Elend, von einer ethnischen Minderheit, von unten. Aus ihrer Musik können wir Kraft schöpfen in grauenvollen Zeiten. Die Ovationen des Publikums bestätigen dies Botschaft.

 

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