Der westafrikanische Kora-Star Ballaké Sissoko, Cellist Vincent Segal, Akkordeonist Vincent Peirani & der Émile Parisien (Sopransaxofon) schlossen einen Pakt - und bescheren uns ein Hörerlebnis der besonderen Art.
Ballaké Sissoko - kora
Vincent Segal cello
Vincent Peirani accordeon
Émile Parisien sopransaxofon
Wenn sich zwei gefeierte Duos zu solch einem Fusion-Quartett zusammentun, verschwimmen automatisch die musikalischen Grenzen. Feinsten Jazzanteil garantieren Akkordeonist Vincent Peirani und Sopransaxophonist Emile Parisien. Die weltmusikalischen Aromen von Afrika bis Asien steuert hingegen der legendäre Kora-Spieler Ballaké Sissoko zusammen mit dem Cellisten Vincent Segal bei.
Erstmals waren sich die beiden Musikerpaarungen 2019 beim Festival »Les Nuits de Fourvière« in Lyon begegnet. Und direkt bei der ersten Jam-Session stellte sich unter den vier Musikern diese vielsprachige Freiheit und Lust am Dialog ein, die jetzt auch das Debüt-Album »Les Égarés« geprägt hat. Immerhin spannt man da den Bogen von der westafrikanischen Volksmusik der Mandinkas über die französische Musette bis hin Joe Zawinuls energiegeladenen »Orient Express«!
„Les Égarés“ ist mehr als ein Musikalbum. Es ist ein Spielplatz und Ort der musikalischen Zusammenkunft, besiedelt von zwei außergewöhnlichen Paaren, die für Genre-Experimente und deren Überschreitungen stehen: Der führende afrikanische Kora-Spieler Ballaké Sissoko und der Cellist Vincent Segal auf der einen, „das französische Spitzen-Duo (3sat), der Akkordeonist Vincent Peirani und der Sopransaxofonist Emile Parisien auf der anderen Seite.
Gemeinsam macht zwei plus zwei nicht vier, sondern eins. Denn dieses ungewöhnliche Quartett bildet eine Einheit des Geistes, aus der ein einziger, fließender Klang entspringt. Ihr Zusammenspiel verachtet jede Form von egoistischem Konkurrenzdenken. Alle Teilnehmer stellen sich in den Dienst eines gemeinsamen musikalischen Werts. Weder Jazz noch traditionelle Volksmusik, weder Kammermusik noch Avantgarde für sich ist das, vielmehr von allem etwas und alles auf einmal. Damit ist „Les Égarés“ die Art von Album, die das Ohr zum wichtigsten Instrument macht, ein Album, in der sich Virtuosität in einer besonderen Kunst der Komplizenschaft ausdrückt und wo aus der simplen aber anspruchsvollen Idee des gegenseitigen Zuhörens ein hinreißendes vierstimmiges Lied entspringt.
Alles begann mit einem Gipfeltreffen, hoch oben auf einem Hügel mit Blick über Lyon. Im Juni 2019, beim „Les Nuits de Fourvière“ Festival, kamen Sissoko, Segal, Peirani und Parisien erstmals zusammen. Sie schlossen einen Pakt: Nie sollten Planungen und Proben den Vorrang vor dem spontanen Schöpfungsmoment bekommen. Um des Vergnügens willen begannen sie zu jammen. Die Musik floss wie eine Quelle, frisch und klar. „Diejenigen, die sich verirrt haben“ („Les Égarés“), hatten zusammengefunden und formten von nun an ein Quartett. Drei Jahre im Aufnahmestudio war es denn auch genauso wie beim ersten Mal: ein spontaner Austausch von Impulsen, Ideen und Know-how: Vier inspirierte Künstler beseelt von dem Wunsch, sich in der Musik zu unterhalten.
Von den ersten Tönen an war alles in Bewegung, vibrierend. Keine Überraschung: Niemand unter diesen vier Freigeistern mag es, gefangen zu sein, sei es in einer bestimmten Rolle, einem bestimmten Stil oder einem Klang, auf den ihr Instrument so leicht festgelegt werden könnte. Jeder Musiker brachte Stück-Ideen mit ins Studio, die in einer akustischen Live-Umgebung zum Leben erweckt wurden: Man nehme zum Beispiel Sissokos „Ta Nyé“ und „Banja“ aus dem Kanon der westafrikanischen Mandika, die wie Start- und Ziellinien den von Les Égarés eingeschlagenen Weg markieren: Zwei Kora-Melodien, die wie von Echos der anderen Instrumente umhüllt und subtil weitergetragen werden. Ein Hauch von Armenien kleidet die ersten Takte von „Izao“ ein, einem Stück, das über die Türkei in Richtung Transsilvanien gleitet, untermauert von einem pulsierenden Bass. „Amenhotep“ setzt eine langsame, aber bestimmt aufsteigende Spirale in Gang, eine Coltrane-artige Trance, die den ineinanderfließenden Atem von Akkordeon und Saxophon in die Höhe treibt. „Dou“ weckt Erinnerungen an einen uralten Blues, die Anmutung eines Wiegenlieds entsteht. Das Titelstück „La Chanson des Égarés" entspringt diesen unwiderstehlichen melodischen Kadenzen, die, wie es Vincent Segal ausdrückt, „einem im Kopf herumschwirren, wenn man geht, ohne zu wissen wohin, sich treiben lässt und sich dem Vergnügen des Verlorenseins hingibt“ - ein Vergnügen, das für sich genommen die Philosophie dieses Albums zusammenfasst. Themen, die aus fremden Quellen entliehen sind, werden auf ähnliche Weise transzendiert: „Esperanza", ein Klassiker des Akkordeonisten Marc Perrone, klingt wie eine Cumbia, gleichzeitig wach und sanft. Ihre akustische Coverversion des „Orient Express“ von joe Zawinul büßt nichts von der Eindringlichkeit und dem ansteckenden Groove des Originals ein, dient vielmehr aber als Sprungbrett für solistische Exkursionen von schwebender Leichtigkeit.
Ohne jede Effekthascherei vollbringen die vier Verschworenen eine ganze Reihe von versteckten Heldentaten. „Les Égarés“ ist eine Aufnahme, die es schafft, sich lustvoll zu verlieren und nicht mehr unterscheiden zu können, wer was tut in der intimen Verflechtung der einzelnen Stimmen; eine Aufnahme des achtsamen Miteinanders und genussvollen Davondriftens. Mit feiner Intelligenz und kühner Eleganz: „Ich habe noch nie ein Album in so einer Atmosphäre aufgenommen", sagt Vincent Peirani. „Keiner von uns hat etwas ‚vorgeführt‘, sodass die Musik viel kommuniziert, ohne dass man sie je „erzählen“ muss. Keiner von uns besaß die Wahrheit vorher: Wir haben sie nur gemeinsam gefunden.“ Les Egares – vier Musiker, zwei Paare, eine Einheit, verloren in der Schönheit des gemeinsamen Musizierens.