treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

REMEMBER CLAUS GATTERER * BERT BREIT * WERNER VOGT. 3 FAST VERGESSENE TiROLER.

Werner Vogt* schrieb vor mehr als 30 Jahren: „Es hat einen Sinn, sich zu erinnern. Gemeint sind nicht die Ausgeburten einer falschen, dressierten Erinnerung, das Veteranendeutsch, das Maturantentreffen oder sonstige Anlässe verlogenen Gedenkens. Ich meine Erinnerung als Denkbarkeit, als Suche nach dem scheinbar Gelöschten.“
Kommentare von Werner Vogt **) (u. a. zu Cap, Nenning, Ringel, ORF etc.) und Tagebuchaufzeichnung von Claus Gatterer *) lesen Rainer Egger und Johann Nikolussi, Musik von Bert Breit ***) spielt Matthias Legner.
Ein Abend in Kooperation mit dem Gemeindemuseum Absam.
*) Er wäre heuer 100 Jahre alt geworden.
**) Er ist vor einem Jahr gestorben.
***) Er ist vor 20 Jahren gestorben.
Alle drei haben sich als Vertreter einer kritischen Öffentlichkeit gut gekannt.
Alle drei sind in Tirol gründlichst vergessen.

CLAUS GATTERER

( 1924 in Sexten geboren, 1984 in Wien gestorben ) Italienische Volksschule in Sexten, dann Gymnasium und Lyzeum am fürstbischöflichen Vinzentinum in Brixen, ab Herbst 1943 Universität Padua. 1945 – 1947 politische Arbeit beim Aufbau der Südtiroler Volkspartei und Journalist bei »Volksbote« und »Dolomiten«. Übersiedelt 1948 von Südtirol nach Österreich. Er wird Mitarbeiter bei: Salzburger Nachrichten, Die Presse, Die Furche, Die Zeit, Il Mondo u. v. a.
Von 1974 bis 1984 leitete Gatterer das kritische ORF-Fernseh-Magazin teleobjektiv.
Claus Gatterer in seinem Tagebuch:
»Im Klein- und Kleinstbauernmilieu war die Großfamilie Versicherungsgesellschaft, Bank und Produktionsgemeinschaft in einem. Je mehr Arbeitskräfte, desto »reicher« die Familie, desto ›sicherer‹ der Einzelne. …
Zu Aktion Leben: Viele Familienbetriebe (Fremdenverkehr, Landwirtschaft usw.) leben davon, dass die Kinder das ›billigste Personal‹ sind. …
Ich mag Denkmäler nicht. Ich beachte sie auch nicht. Das wird auf Gegenseitigkeit beruhen, nehme ich an. Denkmäler sind Wegweiser ins Gestern – und demnach nutzlos, ja, widersinnig, Denkmäler verstellen Plätze und Aussichten. Unter Bäumen haben Denkmäler zuweilen ihren starren Sinn: Sie symbolisieren die Stabilität gegen das Wachstum, die tote Bronze gegen das lebendige Holz. …
Mein Bauer-Sein. Ich bin es in ethischer Hinsicht. Ich bin es beruflich: das heißt um der Arbeit willen, um der Freude am Säen und Ernten. Die gewollte Nicht-Karriere. Als Bauer macht man keine Karriere. Wie ich die Posten gewechselt habe: der interessanteren Arbeit nach. Wie ich mich immer wieder habe betrügen und betakeln lassen – was das Geld anlangt. …
Viele Schützen brauchen die Uniform, damit die sich zersetzende Seele nicht in hundert Fetzen fällt.«

WERNER VOGT

( 1938 in Zams geboren, in Landeck aufgewachsen, 2023 in Stockerau gestorben ) hatte seine erste Lehrerstelle in Vorarlberg – einen »sicheren Posten« wie er später formulierte – fluchtartig verlassen, um in den 1960ern in Wien Medizin zu studieren. Mitte der 1970er hat er im Film Krank den ersten Schritt aus einem Gesundheitssystem heraus  gemacht, das er sein Leben lang als Unfallchirurg und als Essayist kritisieren wird. 2010 meinte Vogt rückblickend, dass er in den zahlreichen gesellschaftlichen Konflikten seinen Zweitberuf erlernt hat: das Schreiben. Denn Werner Vogt hat ein Doppelleben geführt: als Arzt in einem Unfallkrankenhaus und als Publizist, der keine reißerischen »Storys« aus der Spitalsmaschinerie auftischte, sondern der in unzähligen Essays, Kommentaren, Kolumnen und Glossen nicht nur darauf hinwies, dass Krankheit eben »kein Zellunglück, kein Organversagen, das sich in Individuen ereignet, die ein falsches Leben führen«, ist, sondern, dass Medizin die lebensgeschichtliche und vor allem die soziale Dimension von Krankheit ins Zentrum zu rücken habe. Aber nicht nur mit dem gesundheitsökonomischen System, sondern auch mit dessen Personal beschäftigte sich Werner Vogt. Dreimal haben seine Gegner Werner Vogt vor Gericht gebracht. Der Prozess mit der größten öffentlichen Wirkung war die Klage des Euthanasiearztes Heinrich Gross wegen »übler Nachrede, die sich dann als aufklärende Rede gegen den Euthanasiearzt erwies, mir nützte, Gross dauerhaften Schaden zufügte«
Werner Vogt war Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Kritische Medizin in Wien und Mitinitiator des Volksbegehrens Sozialstaat Österreich. Seine Essays hat er
immer wieder in Buchform publiziert – so 1989 in Arm. Krank. Tot. Argumente für ein gewaltloses Krankenhaus oder 1991 in Einatmen – Ausatmen: Der Mißstand als Norm. Am 11. November 2023 ist Werner Vogt gestorben.  Es ist ein Jammer.

BERT BREIT

( 1927 in Innsbruck geboren, 2004 in Innsbruck gestorben ) Volksschule und Gymnasium in Innsbruck. Mit 17 Jahren, kurz vor der Befreiung, politische Haft im Gestapo-Lager Reichenau wegen Mitgliedschaft bei der Widerstandsgruppe Franz Mair. Nach der Befreiung 1945 Musikstudium in Innsbruck und Salzburg. Stipendium des Institut Français für Studien in Paris. Gründung des Kammerchors Walther von der Vogelweide. 1951–67 Leiter der Abteilung Ernste Musik bei Radio Tirol. Ab 1968 Auftragskomponist und Journalist für Radio, Film und Fernsehen (u. a. Schalldämpfer-Signation).
Bert Breit: »Wer nur von Musik etwas versteht, versteht von ihr auch nichts. …
Filme und Radiofeatures bedürfen einer Form, die weder Langeweile aufkommen lässt, noch schnell und oberflächlich über das Dargestellte hinweggeht. Speziell das Feature kennt keine eindeutig vorgegebene Form: Jeder Stoff sucht sich seine Gestalt im übertragenen Sinne selbst, jede Sendung wird neu geschaffen. Es gibt keine allgemeingültigen Schablonen. Features sind Sendungen, die sich neben journalistischer Sorgfalt und solider Recherche besonders durch dramaturgische Gestaltung auszeichnen. Sie leben einerseits vom Inhalt der Geschichten, die ich aufgenommen habe, andererseits aber eben auch von der Form wie die Geschichten erzählt werden. Dabei war mir das Wissen um Spannung und Rhythmus aus meiner musikalischen Arbeit sehr hilfreich. Wenn man Menschen in einem Medium – ob Radio oder Fernsehen – nicht bloß als Objekte der Berichterstattung vorführen will, muss man besonders die Form wie sie etwas sagen, die Pausen, die Sprechhaltung und ihre Abschweifungen, ihre Dissonanzen berücksichtigen. Es war mein Bestreben, alles Wesentliche von den Befragten selbst darstellen zu lassen.«

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