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NAKED LUNCH: LIGHTS. (AND A SLIGHT TASTE OF DEATH) // ALBUM TAUFE

Oliver Welter: Gesang, E-Gitarre
Romana „Romy“ Jakovcic: Bass
Boris Hauf: Keyboard, Saxophon
Alex Jezdinsky: Schlagzeug
Wolfgang Lehmann: E-Gitarre

Melancholie in der Populärkultur, da muss man nicht lange herumdeuteln, ist ein Zustand, der Schmerz, Verlusterfahrungen und damit mindestens verbundenes Grübeln verdichtet, aber auch angenehme Erinnerungen an frühere Zeiten zulässt. Das hat zu wunderbaren und diverse Generationen prägenden Hymnen wie All the Young Dudes oder Heroes und hunderten anderen wehmutsvollen wie die Welt trotz aller Widrigkeiten umarmenden Klassikern geführt. Wenn man sich zum Beispiel den Song To All and Everyone I Love vom neuen Album der heimischen Band Naked Lunch anhört, dann weiß man unmittelbar eines: Diese Tradition wird vor allem Dank des Eröffnungssongs von Lights And a Slight Taste of Death nicht etwa totgeritten, sondern weiterhin gepflegt werden.

Zwölf Jahre hat man von der seit Anfang der 1990er-Jahre ursprünglich von Klagenfurt aus operierenden Band nichts gehört. Seit dem letzten Album All Is Fever von 2013 ist nicht zum ersten Mal in der Bandgeschichte das Leben mit seinen Nebeneffekten dazwischen gekommen. Bandgründer Oliver Welter überlebte unter anderem eine schwere Erkrankung sowie eine "Scheidung" vom ehemaligen musikalischen Kompagnon Herwig Zamernik alias Fuzzman.

Positiv gesehen kann eine Scheidung auch beiden Parteien guttun: Welter wurde wieder Vater und unterstützte den beachtlichen Karrierestart seines Sohnes Oskar Haag. Leicht war es natürlich nie. Nicht umsonst schuf sich der privat einem durchaus menschenfreundlich angelegten Griesgram zugeneigte Welter in den letzten Jahren gemeinsam mit der klassischen Pianistin Clara Frühstück ein zweites künstlerisches Standbein. Das Duo interpretiert regelmäßig auch live eine räudiger als gewohnt angelegte Version von Franz Schuberts Liederzyklus Winterreise.
"Fremd bin ich eingezogen, / fremd zieh ich wieder aus ..." Die Texte von Wilhelm Müller zu Franz Schuberts unverwüstlichem Klassiker der Schwermut würden mitunter in die Klangwelt von Naked Lunch passen, wenn man eher zu deren in englischer Sprache gehaltenen Liedern in abgerockten Musiklokalen am Wiener Gürtel weint als im Musikverein. Naked Lunch sind wegen des brüchigen Kopfstimmengesangs Welters in der Nachbarschaft von ebenfalls am Rande des Zusammenbruchs agierenden Bands wie Radiohead oder den Flaming Lips angesiedelt. Immerhin starteten Naked Lunch einst als zünftige Grunge-Rock-Band mit einem Hang zur Melodie statt des damals handelsüblichen Gebrülls. Beatles oder Black Sabbath? Ja.

Oliver Welter hat nun als einzige Konstante in der seit über 30 Jahren aufgezeichneten Bandgeschichte unter dem alten Bandnamen Naked Lunch neue Lieder veröffentlicht. Werner Herzog bezeichnete seine eigene Kunst einst treffend als "Die Eroberung des Nutzlosen". Das gilt auch hier. Es geht in den neuen Songs wie in den alten Klassikern von Naked Lunch auf Alben wie Songs for the Exhausted oder This Atom Heart of Ours um ebenso alte Vorgaben: Nichts wird werden, wie wir es uns in unserem Leben erträumt haben.

Die Lage ist aussichtslos, die Stimmung passiv-optimistisch. Gleich wird hoffentlich alles besser werden. Aber schon der aus dem Deutschunterricht bekannte Rilke ging von einem aus: "Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles." Rilke schrieb das vor über hundert Jahren am Ende eines heute etwas schwülstig empfundenen Gedichts namens Siegen, in dem es um den künstlerischen Ansatz eines Schwermelancholikers geht.
Schwermelancholiker als Berufsbezeichnung sollte sich Oliver Welter nun einmal mehr mit den auf Lights And a Slight Taste of Death veröffentlichten neuen Songs gefallen lassen. Gemeinsam mit dem Produzenten und frisch gekaperten Bandmitglied Wolfgang Lehmann und Gästen wie Clara Frühstück, der ewig unterschätzten Songwriterin Maiija oder dem Grenzland-Trompeter und Hans Dampf namens Alex Kranabetter, der unter anderem auch bei Soap & Skin oder Scheidungskind Fuzzman spielt, sind so herbstlich stimmige, gleichzeitig abgelebt morbide wie in Erinnerungen schwelgende Songs entstanden. Sie künden, jetzt wird es pathetisch, von den schönen Momenten im Leben ebenso wie von dessen Vergänglichkeit.

Dieses, Entschuldigung, "Wechselbad der Gefühle" erschließt sich auf dem Album von hinten. Wenn Oliver Welter nicht zum ersten, aber hier konkret zum letzten Mal im ruhigen Klavierstück Going Underground von sich und Orpheus singt, dann ist damit nicht eine gemeinsam in London unternommene Fahrt mit der U-Bahn gemeint. Schon eher ist man da bei den Liedern von großen Alten daheim. Bob Dylan meinte schon 1997, damals ungefähr im heutigen Alter Oliver Welters: "It's not dark yet, but it's gettin' there." Leonard Cohen ergänzte 2016 auf seinem letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Album: "You want it darker, we kill the flame."

Neben herzzerreißenden Balladen kann man bei Naked Lunch nun allerdings auch – trotz all der Scheiße, die einem im Leben widerfahren kann, wird und muss – zur Himmelfahrt einladende Lieder wie den besagten Eröffnungssong To All And Everyone I Love hören. Welter steigert sich von einer anfänglich verhaltenen Klavierballade, ein Loblied auf alles, das er liebt oder alles was man im Leben lieben sollte (kleiner Tipp: vor allem seine Lieblingsmenschen!), in ein hymnisches und heute nur noch selten gebautes, hämmerndes und noisiges, auf den Gitarrengrundakkorden geschlagenes "In dulci jubilo" hinein. Ein für Söhne und Töchter des Bundeslands Kärntens nachgerade zwingender Grenzlandchor wird mitgeliefert. Eigentlich weiß man also schon nach diesem ersten Lied, dass das Leben vor allem eines muss: Es muss weitergehen. 

(Christian Schachinger / Der Standard / 8.11.2025)

Die Welt, die große und die kleine, die nahe und die ein wenig weiter weggelegene, braucht Umarmung, braucht Umarmungen. Vielleicht dieser Tage tatsächlich mehr noch als je zuvor.  Und die neue, vielleicht etwas unerwartete, gar un-verhoffte Single von NAKED LUNCH, ihre erste Veröffentlichung seit sieben Jahren, zehn Jahre nach dem Soundtrack zum Film „Jack“, zwölf Jahre nach „All Is Fever“, ihrem bislang letzten Album, ist ein Song wie eine Umarmung. Eine kräftige, eine herzliche, eine, dare we say, wahrhafte. Also dann – und nur dann! –  noch schöner und wirksamer, wenn sie erwidert wird, zurückgegeben, weitergetragen … Oliver Welter, seit 1991 Stimme, Herz und Hirn der damals Klagenfurter Band, zelebriert von Wien aus mit den Mitmusikern Boris Hauf und Alex Jezdinsky, sowie Produzent Wolfgang Lehmann, nichts weniger als das Leben, die mit so vielen Brüchen ungebrochene Liebe zum Leben mit all seinen Freuden, Ekstasen und Möglichkeiten, verfallenen und gehaltenen Versprechen, (aufgelösten) Widersprüchen, (überwundenen) Widrigkeiten und Widerständen – „to the fall of every fascist“.Pop im allerbesten Sinne, schöpft der Song seine Minuten transzendierende Dauer und Gültigkeit aus den in ihm nachgezeichneten und gestreiften intensiven und so kostbar wahrgenommenen Momenten, spezifisch und universell zugleich: „to places where we drink - when we laugh and cry / to those faces we need - when we’re high and dry / to stories I’ve been told - to the truth and to the lie / to all and everyone I love“. Und: „to those kids out on the streets taking care of human needs / to Billy Wilder movies and to holidays in Greece / to wind in my hair and snow on my tongue / to all and everyone I love.“ So singt sich „To All And Everyone I Love“ wie von selbst mit, ein Instant-Chor potentiell vieler (!) Stimmen der Selbstermächtigung und Selbsterkenntnisse, eine Hymne der hemmungslosen Empathie, die offen auf sich als Prinzip besteht. Womöglich pathetisch, aber ein menschliches, nicht überhöhendes, nie ausschließendes Pathos, das nicht zuletzt ganz klar davon erzählt, dass das Projekt Mensch (noch!) nicht zwingend gescheitert ist oder scheitern muss.  Und genau so geht „To All And Everyone I Love“, die Single, dem neuen NAKED LUNCH  Album „Lights And A Slight Taste Of Death“ voran. Jeder Takt, jeder gesungene Satz, jedes Sound-Detail macht zugleich schon für sich klar, warum wir NAKED LUCH gerade heute brauchen und es unendlich schön ist, dass sie zurück sind: Jetzt und so!

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