Ende der 80er Jahre löste der thrazische Teufelsklarinettist Ivo Papasov in diversen westlichen Musikszenen einige Verwirrung aus, von der sie sich bis jetzt noch nicht ganz erholt haben. Folkpuristen waren entsetzt über die schamlosen Jazzimprovisationen, die er in traditionelle Tänze so mir nichts, dir nichts einflocht. Das Jazzestablishment, dass gegenüber "ethnischer Musik" noch immer gerne die Nase rümpfte, kannte sich gar nicht mehr aus. Was war diese heiße Höllenmusik, die aufgrund ihrer komplexen Rhythmik, wilden Melodik und lebensbejahenden Kraft westlich geschulten Musikern die Schweißperlen auf die Stirn trieb? Bio-Bebop oder tatsächlich traditionelle Musik? Die Antwort: beides. Rein traditionelle bulgarische Musik ist aufgrund ihrer komplizierten ungeraden Rhythmen und ihrer reizvollen Melodien ein Weltunikum. Wenn dann noch Roma ihren eigenen Groove und Drive reinbringen, beginnt die Suppe zu brodeln. Und wenn ein Vertreter der türkischen Roma-Minderheit wie Papasov (mit ihren vielfältigen kulturellen Verbindungen zum Vorderen Orient) aufspielt, kommen besondere Gewürze hinzu. Und wenn dieser auch noch ein glühender Verehrer von Charlie Parker und Schüler von Prof. Petko Radev und darüber hinaus einer der weltbesten Klarinettisten ist, kocht die Suppe über. Anders als viele balkanische World-Music-Exporte, die ihre Berühmtheit nur guten Marketingstrategien verdanken, während in ihren Herkunftsländern genauso gute oder noch bessere Bands ihrer Entdeckung harren, ist Papasov auchin Bulgarien der ungekrönte König und Chefinnovator seines Faches. Das Marketinglabel "Wedding Music" suggeriert fälschlicherweise ein eigenes Genre, das nur auf Hochzeiten gespielt wird. Doch selbst wenn dem so wäre, müsste es Jazzintellektuellen zu denken geben, dass Menschen am Rande der I. Welt bei Familienfeiern zu Phrasierungen tanzen, zu denen man in den hermetischen Clubs Europas und der USA jahrzehntelang nur respektvoll genickt hat.
Ivo Papasov wurde 1952 in Kurdhali, Bulgarien geboren. Der berühmteste Spieler der beliebten Musikart Bulgariens, der Meisterklarinettist Ivo Papasov, ist der König der Hochzeitmusik. Obwohl die Westeuropaer bei diesem Titel verwundert sein könnten, setzt er Papasov mit dem Status eines Superstars in seinem Land gleich. Papasov und sein Orchester touren im Balkan, spielen auf einigen Hochzeiten pro Woche, wobei viele Paare ihre Hochzeitstermine verschieben, nur um einen freien Termin in Papasovs Kalender zu finden.
Er stammt von einer Familie mit langer Tradition des Zurna-(Doppelrohrinstrument) und Klarinettspiels ab. Nachdem er sein erstes Ensemble 1974 gründete, entwickelte sich sein Spiel allmählich vom traditionellen Thraker Repertoire zu einem jazzinspirierten improvisierten Spiel. Diese neue Arbeit erhält trotzdem die komplexen Zeitmarkierungen, die von der traditionellen bulgarischen Tanzmusik verlangt werden.
REZENSIONEN
„Ivos Album der Hochzeitmusik, die als erstes am Vormittag gespielt, stimmt den geschäftigen leitenden Angestellten gründlich und anhaltend auf seine Arbeit ein."
Frank Zappa
„Wieder einmal lässt Papasov seine Band und auch die Zuhörer in diesem anfeuernden Gerangel am Schwanz des Tigers festhalten, wobei den traditionellen Tanzstilen ein zeitgenössisches Lifting gegeben wird."
Downbeat
„Balkanologie" erinnert uns daran, dass es mehr gibt als den primitiven ethnischen Nationalismus des Balkan. Papasov ist ein Klarinettenvirtuose von höchster Klasse, dessen Band eine Zusammenstellung regionaler und nationaler Bilder liefert, die von der griechischen zur Zigeuner- und türkischen Musik reichen. Papasov ist möglicherweise der erfindungsreichste bei den schnellen Tanzrhythmen der bulgarischen Hochzeitsmusik ... Dies ist eine Genre, das in den Lücken der traditionellen Dorfmusik und den staatlich geförderten künstlerischen Folkloreformen entstand.
Die unterstützenden Instrumente - Saxophone, Gitarre, Piano, Akkordeon, Bass und Trommel - fördern den „zeitgenössischen" Ton. Tatsächlich beunruhigten die ersten Momente des ersten Liedes - ein harter Diskobeat auf dem Schlagzeug und Bassreminizensen der klassischen Reggaemusik. Waren wir bei einem bulgarischen Bob Marley? Aber wie der Knoblauchgeschmack bei einem einfachen Lammtopf wurden die bulgarischen rhythmischen und melodischen Ansichten gut. Diese Herangehensweise (überhaupt nicht türkisch), die den Weg zu einer mächtigen Improvisationssprache auf dem Niveau des Besten im Jazz weist, ist bereits Teil des australischen Multikulti-Bildes durch Musiker wie Lindsay Pollak, Kim Sanders, Mara, Sirocco geworden, ganz abgesehen vom den Balkangemeinden der traditionellen Art. Balkanologie ist eher für jene, die sich an Pyrotechnik mit antreibendem Beat erfreuen als für Puritaner. Großer Spaß bei Tanzparties - wenn Ihre Füße im 11/8 Takt sich bewegen können und wenn Sie sich nicht zerteilen ...
David Kelly