Es liegt etwas Magisches in der Geschichte des israelischen Pianisten Yaron Herman. Geboren wird er am 12. Juli 1981 in Tel Aviv. Vor ihm liegt eine glänzende Karriere als Basketballspieler in der israelischen Junioren- Nationalmannschaft. Doch eine schwere Knieverletzung beendet seinen Traum von einem Leben als Spitzensportler. Erst im Alter von 16 Jahren beginnt er, das Klavierspiel zu erlernen, inspiriert von Techniken und Modellen aus Philosophie, Mathematik und Psychologie.
Yaron Hermans kometenhafter Aufstieg zu einem der populärsten und angesehendsten Pianisten seiner Generation ist beispiellos. Ein überwältigendes Publikums- und Medienecho begleitet seine Karriere. In seiner Wahlheimat Frankreich wird er schnell DIE Hoffnung des modernen Jazz. Er erhält den „Victoires du Jazz“ als bester neuer Instrumentalist und sein erstes Trioalbum „A Time for Everything“ wird von den beiden großen französischen Jazz-Zeitschriften Jazzman und Jazz Magazine zum Album des Jahres gewählt. Gleichzeitig tourt Yaron Herman so intensiv, wie kaum ein anderer junger Jazzmusiker und erspielt sich in Europa und auch in Asien und Amerika eine immense Zuhörerschaft.
Schnell wird auch ACT Labelchef Siggi Loch auf den jungen Shooting Star aufmerksam. Er erinnert sich: „Seitdem ich zum ersten Mal diesen unglaublich talentierten Pianisten als Gast von Lars Danielsson hörte, träumte ich davon, ihn für mein Label zu gewinnen. Ich bin unheimlich froh und stolz, dass Yaron Herman jetzt Teil unserer ACT-Familie ist.“
Yaron Hermans ACT Debüt „Follow the white Rabbit“ (ACT 9499-2) dürfte der bisherige Höhepunkt einer eindrucksvollen Karriere sein. Der Albumtitel ist eine Anspielung an Lewis Carrolls Erzählung „Alice im Wunderland“, in der ein kleiner, verschmitzter Hase die gelangweilte Alice auf eine aufregende Reise in seine schillernde, dramatische Wunderwelt lockt. Yaron Hermans Wunderwelt ist eine Musik jenseits aller Genregrenzen. Mit großer Abenteuerlust verwischt er die Trennlinien zwischen Jazz, Pop und klassischem Kontrapunkt und lockt Hörer unabhängig von Alter und musikalischer Sozialisation in ein Reich voller Innovation, Spielfreude und scheinbar unerschöpflicher Energie.
Auf „Follow the white Rabbit“ präsentiert Yaron Herman sein neues Trio mit Bassist Chris Tordini und Schlagzeuger Tommy Crane. Yaron Herman lernte die beiden Amerikaner Anfang 2010 auf Tour kennen und von der ersten gemeinsamen Note stimmte die Chemie in dieser jungen Band. Das vom ersten Moment an blinde Verständnis und die inspirierte musikalische Kommunikation setzt sich bei den Aufnahmen zum ersten gemeinsamen Album eindrucksvoll fort. Getragen von der gemeinschaftlichen Inspiration und der Magie des Moments verbindet das Trio Radiohead und Nirvana, Walt Disney Melodien, israelische Folklore, Jazz und europäische Klassik zu einzigartigen, als zeitgenössische instrumentale Pop-Standards angelegte Stücken. Dieses Trio weiß, all seine Einflüsse brillant zu assimilieren, alle Energien und musikalische Strömungen unserer Zeit in eine eigene Sprache zu übersetzen – eine Sprache voller Originalität, Authentizität und Emotion.
DIE ZEIT:
Der Pianist Yaron Herman
Gib dein Ego an der Garderobe ab
Improvisation als Wahnsinn und Methode: eine Begegnung mit dem 29-jährigen Jazzpianisten Yaron Herman, den es im Konzert vom Hocker reißt.
Wenn Mozart ein Wunderkind war, dann ist Yaron Herman trotz seiner Jugend wohl ein Wundergreis. Denn er hat nicht einmal die Hälfte seines bisherigen Lebens als Musiker verbracht. Mit gut 15 Jahren beendete eine schwere Knieverletzung seinen Traum von einer Basketballkarriere: Er musste die israelische Jugendnationalmannschaft verlassen. Mit 16 Jahren hatte er seine neue Passion, das Klavier, gefunden, obwohl er von dem Instrument keine Ahnung hatte – geschweige denn von Jazz. "Ich hörte Pop, Rock und Techno", sagt er, "das ganz normale MTV-Teenagerprogramm". Doch als er in Tel Aviv Opher Brayer, dem Lehrmeister vieler bedeutender israelischer Jazzer begegnete, war es um ihn geschehen. Herman erinnert sich genau: "Ich brachte noch keinen einzigen Ton zustande, aber Brayer versprach mir: 'Drei Jahre, und du spielst wie Keith Jarrett. Und weißt du warum? Weil Talent nicht existiert.'"
Heute, mit 29 Jahren, klingt er ganz wie Yaron Herman, obwohl man die Pianisten, in deren Bahnen er sich bewegt, stets durchhört. "Stile werden überschätzt", sagt er. "Ob als Dixieland-Schrammler, Free Jazzer oder DJ – in der Musik geht es darum, seine Zuhörer zu berühren. Solange jemand so ehrlich spielt, dass man glaubt, er erfinde etwas zum ersten Mal, stört es mich nicht, wenn er in einem bekannten Stil spielt. Das Ziel von Kunst war nie die Erfindung von Neuem. Innovation war immer ein innerer, kein äußerer Prozess – ein Weg, mit unbekannten Empfindungen umzugehen. Die Musik steckt nun einmal nicht in den Noten. Sie ist irgendwo anders: in den Absichten, in der Stille. Sobald man eine Note anschlägt, ist dies nur die physische Manifestation eines Klangs."
Herman hat leicht reden. Schon rein energetisch erreicht er ein Niveau, um das andere vergeblich ringen. Zugleich hat sein Anschlag eine angedunkelte Schwere, die seinem körperlichen Spiel eine seltene dramatische Qualität verleiht. Vom Heer der technisch oft nicht weniger brillanten Pianisten unterscheidet ihn überdies die Selbstverständlichkeit, mit der er Intellekt und Intuition verbindet. Apollinische Grazie und dionysische Feuerwalzen, Fragiles und Fraktales, innige Balladen und hervorstürzende Tonwirbel, chopineske Pracht und freitonale Sprödigkeit, dazu Ausflüge in orientalische Melismen – Herman hat das ganze europäisch geprägte Jazzidiom verinnerlicht und rollt es über der Tastatur seines Steinway mit derselben Offenheit aus, die ihm auch als Person zu eigen ist.
Lebenslustig, wach und neugierig, wie er sich beim Gespräch in Berlin zeigt, erzählt er so gerne Michael-Jordan-Anekdoten, wie er von seinen Leseabenteuern mit Dostojewski oder Henry Miller schwärmt. Und so einer, der zu allem Überfluss auch noch ein makelloses Englisch und Französisch spricht, das er in seiner Wahlheimat Paris allerdings auch brauchen kann, will kein Talent haben?
Herman hält es da mit Opher Brayer, der einen Großteil seines Lebens damit verbrachte, zu verstehen, was Begabung ausmacht: "Talent besteht für ihn aus drei Elementen: dem IQ, dem EQ und dem OQ." Die beiden ersten Bestandteile muss man nicht lange erklären. "Wenn man seine analytischen Fähigkeiten entwickelt, Wissen ansammelt, Muster erkennt, Analogien herzustellen lernt und sein Assoziationstempo steigert, ist das Intelligenz. Sie reicht aber noch nicht. Man muss auch den Schlüssel zu dem Safe finden, in dem die Emotionen lagern, mitsamt allen Traumata. Sie sind eine Quelle, die sich in Kreativität umwandeln lässt oder in Zerstörung. Und auch das genügt noch nicht. Man kann intelligent und sensibel sein und muss trotzdem noch zehntausende von Stunden ins Üben investieren." Damit kommt das dritte Element ins Spiel: "Der OQ ist der Grad von Obsession, der zu allem gehört."
Herman sieht sich denn auch als Piano-Nerd, der jedes Buch über Klaviermechaniken , Körperhaltung und Karrieren verschlungen hat, dessen er habhaft werden konnte. Alle dabei gewonnenen Erkenntnisse hat er vom Papier allerdings längst in die Wirklichkeit der Bühne geholt. Was immer man wissen kann, verlangt zumal in einer weitgehend improvisierten Musik sofort nach Verflüssigung. Auch physisch rüttelt er an allem, was sich schon daran zeigt, dass Herman nicht zu den angeleinten Sitzpianisten gehört, sondern zu denen, die es noch vor dem Publikum lustkeuchend vom Hocker reißt, als könnten sie mit ihrem Flügel davonfliegen.
Mit der CD Follow the White Rabbit erscheint nun Yaron Hermans Debüt beim deutschen Label ACT, und seine erste Produktion mit Chris Tordini am Kontrabass und Tommy Crane am Schlagzeug. Verglichen mit seiner letzten Trioaufnahme Muse , auf der neben Matt Brewer und Gerald Cleaver auch das Quatuor Ebène zu hören war, ist es das eingängigere Album. Elf Stücke im knapp gehalten Songformat, mit Versionen von Nirvanas Heart Shaped Box und Radioheads No Suprises , dazu das im Kollektiv frei improvisierte Titelstück samt einem ebenso aus dem Hut gezauberten Anderthalbminüter und einer 52-sekündigen Klaviereingebung, alles ohne große solistische Eskapaden.