NOMADIN SUCHT HEIMATGEFÜHL
SPIEGEL
Sie sprechen kein Arabisch? Macht nichts: Fühlen Sie einfach die Musik! Mit der Elektro-Band Soapkills wurde Yasmine Hamdan zur Underground-Ikone Libanons, nun geht sie als Solo-Künstlerin auf die Suche nach ihrer kulturellen Identität. US-Regisseur Jim Jarmusch hat die Sängerin schon entdeckt.
Ein Wort, das Yasmine Hamdan oft benutzt, ist "beengend". Wenn etwas droht, sie einzuschränken, fühlt sie sich klaustrophobisch, das gilt sowohl für ihre Heimatstadt Beirut, als auch für das musikalische Genre der sogenannten Weltmusik. Freiheit, als Mensch und als Künstlerin, betrachtet sie als ihr höchstes Gut. Und deshalb nahm sich Hamdan, 36, jetzt einfach mal die Freiheit, ein Album aufzunehmen, das sie auch außerhalb des arabischen Raums und ihrer Wahlheimat Frankreich zum Star machen soll. Allerdings singt sie alle Songs auf Arabisch.
"Aber das macht doch nichts", sagt sie lachend: "Verstehst Du etwa, was Cesária Évora gesungen hat? Verstehst Du Sigur Rós oder die Cocteau Twins? Du musst nicht unbedingt wissen, wovon meine Texte handeln, um Freude an meiner Musik zu haben." Auf "Ya Nass" singt Hamdan teils eigene, teils alte arabische Lieder zu sanften Akustik-Klängen und sparsamer Elektronik. Es ist ein betörendes, einschmeichelndes Album voller Wärme. Auch wenn sich dem Unkundigen der Inhalt der Texte verschließt, so öffnet sich die Musik dennoch, allein durch ihre beeindruckende Emotionalität.
Als Zuhörer macht man dabei eine ähnliche Erfahrung wie die Sängerin selbst vor vielen Jahren. Als Kind floh Hamdan mit ihren Eltern vor den Wirren des libanesischen Bürgerkriegs und führte ein Nomadenleben zwischen Abu Dhabi, Griechenland und Kuwait. Als sie ein Teenager war, kehrte die Familie nach Beirut zurück, in ein orientierungsloses Land und eine zerstörte Stadt.
https://www.youtube.com/watch?v=di1JUR6Dvbo
"Ich gehöre zu dieser zerrütteten Nachkriegsgeneration, die den Bezug zu ihrer Herkunft verloren hat", erklärt sie. "Ich verstand damals überhaupt nicht, was los war. Überall Verwüstung und Korruption, aber auch viel Charme und Schönheit." Sie stürzte sich in ein betäubendes Partyleben, nahm Drogen, zog nachts durch die dunklen Straßen: "Meine Mutter muss aus Angst um mich tausend Tode gestorben sein: Es gab keine Elektrizität, kein Licht, umherstreunende Hunde… furchterregend! Aber ich hatte keine Angst, dafür war ich viel zu abgefuckt."
"Ich habe einfach gefühlt"
Es war die Entdeckung der Musik aus den vierziger und fünfziger Jahren, der Blütezeit arabischen Pops, die Hamdan aus ihrer Lethargie riss und ihr doch noch eine emotionale Verbindung zu ihrer Heimat vermittelte, ein kulturelles Narrativ, das ihr als früh Entwurzelte fehlte: "Es war wie Liebe auf den ersten Blick, es passiert einfach, nichts zu machen. Ich entwickelte eine richtige Obsession und fing an, Platten zu sammeln wie verrückt!"
Dabei war es gar nicht so einfach, Ende der Neunziger in Beirut an alte Schallplatten und seltene Aufnahmen zu kommen. Hamdan ging auf Schatzsuche im ganzen Land, ließ sich von Händler zu Händler weiterempfehlen - und entwickelte allmählich ein Gespür für ihre Wurzeln. "Ich fühlte mich immer deplatziert im Libanon, erst die Musik gab mir einen Ort, der arabisch war, zu dem ich eine Beziehung spürte - und an dem ich mich wohlfühlte. Aber dieses ganze Gerede von der Entdeckung meines kulturellen Erbes ist Quatsch", lacht sie: "Ich habe nie irgendwas bewusst entdeckt, ich habe einfach gefühlt."
Derart inspiriert, beschloss Hamdan, ihrem Leben einen Sinn zu geben - und begann, selbst Musik zu machen. "Ich wusste zuerst überhaupt nicht, wie ich es anstellen sollte, auf Arabisch zu singen. Also hörte ich die Platten, manchmal für Stunden und Tage, um mich in die verschiedenen Stimmungen und die Dialekte einzufühlen, die ich zum Glück fast alle sprechen kann. Die Betonungen sind sehr unterschiedlich, und es macht großen Spaß, sich zu überlegen, welcher Dialekt am besten zu einer Melodie passt, wenn ich einen Song schreibe."
Seitdem wurde Yasmine Hamdan zu einer Art Ikone des arabischen Pop-Undergrounds. Ende der Neunziger gründete sie zusammen mit dem libanesischen Musiker Zeid Hamdan, mit dem sie nicht verwandt ist, das Elektropop-Duo Soapkills, das orientalischen TripHop spielte, international von der Kritik gefeiert wurde, im Libanon aber die konservativen Kräfte provozierte. 2009 nahm sie zusammen mit dem ehemaligen Madonna-Produzenten Mirwais das Dance-Album "Y.A.S." auf, für ihr Solo-Debüt tat sie sich nun mit dem Produzenten Marc Collin, Kopf der französischen Retro-Popband Nouvelle Vague, zusammen.
"Ya Nass" heißt auf Deutsch so viel wie "Hey, Leute!", ein launiges Hoppla-hier-bin-ich!, das sich an ein neues Publikum richten soll. Wichtig ist ihr allerdings, dabei nicht in der Genre-Schublade Weltmusik zu landen, das fände sie beengend, wenn nicht diskriminierend: "Ich wäre dann die gute Araberin, die dem Image entspricht, das sich Gutmenschen von Ethno-Musikern wünschen. Da geht es nur um vermarktbare Stereotypen, ich will aber nicht immer nur auf meine Nationalität reduziert werden."
Stattdessen will sie Barrieren einreißen und Vorurteile überwinden: "Überall wohin ich reise, brauche ich ein Visum, aber die Musik braucht so etwas nicht. Ich hoffe, die Leute bekommen einen Eindruck davon, wie facettenreich arabische Kultur sein kann, wenn sie mein Album hören. In den Nachrichten wird ja alles immer nur auf ein paar verrückte Extremisten reduziert."
Sie selbst, ewig fremdelnde Außenseiterin, hat Beirut längst wieder verlassen und lebt seit einigen Jahren mit ihrem Ehemann, dem libanesischen Regisseur Elia Suleiman, in Paris. Auf dem Filmfestival in Cannes sah man sie als Crew-Mitglied von Jim Jarmuschs charmanter Vampir-Ballade "Only Lovers Left Alive", die im Wettbewerb um die Goldene Palme lief.
"Ich zerstöre aus Liebe"
Yasmine Hamdan singt arabische Lieder, aber sie singt sie mit der Stimme eines Punks.
Ein Gespräch über Traditionen, Aufräumaktionen und die Macht der Schwachen.
VON THOMAS GROSS
DIE ZEIT
DIE ZEIT: Der britische Guardian nennt Sie "das moderne Gesicht der arabischen Musik". Kompliment oder Schublade?
Yasmine Hamdan: Beides. Journalisten haben es gern griffig, sie müssen Botschaften verkaufen. Von ihrem Standpunkt aus ist das auch verständlich. Ich bin nicht gegen Etiketten, aber sie sollten mit Inhalt gefüllt werden.
ZEIT: Dann werden wir konkreter. Sie haben die erste Independent-Band des Nahen Ostens gegründet, man hört Ihre Musik in Beirut, Tunis und Kairo genauso wie in Paris, London oder Berlin. In Only Lovers Left Alive, dem neuen Jim-Jarmusch-Film, spielen Sie eine Barsängerin und werden mit den Worten vorgestellt: "Ihr Name ist Yasmine, sie wird bald berühmt sein." Sie sind eine Pionierin!
Hamdan: (lacht) Das war aber so nie geplant. Ich bin einfach nur meiner inneren Stimme gefolgt, ohne Ermunterung von außen, oft gegen Widerstände. Es gibt so unendlich viele ungeschriebene Gesetze, die man in der arabischen Welt verletzen kann. Es gibt aber mindestens genauso viele westliche Klischees darüber. Um beides habe ich mich nie gekümmert. Ich kann sehr starrsinnig sein. Das ist mein Vorzug und zugleich meine größte Schwäche.
ZEIT: Was stört Sie an der Art, wie der Westen auf den Osten blickt?
Hamdan: Dass arabische Kultur zu oft als Gegensatz zur Moderne wahrgenommen wird. Dabei ist sie sehr vielfältig und komplex. In jedem arabischen Land gibt es blühende Sub- und Gegenkulturen. Man muss sich nur die Mühe machen hinzuschauen.
ZEIT: Auf Ihrem jüngsten Album Ya Nass singen Sie eigene Songs, aber auch Bearbeitungen von Liedern aus Kuwait, Ägypten und dem Libanon. Sind Sie der Vergangenheit hinterhergereist?
Hamdan: Orientalisch formuliert: Mein Leben war schon immer eine Reise. Als Kind bin ich mit meinen Eltern vor dem Bürgerkrieg aus dem Libanon nach Griechenland und von dort in verschiedene arabische Länder geflohen, bevor es wieder zurück nach Beirut ging. Nach westlichen Maßstäben bin ich eine Nomadin. Ich bin in beiden Welten zu Hause.
ZEIT: Wie hat sich das auf Ihre Musik ausgewirkt?
Hamdan: Das dauernde Unterwegssein hat mich oft einsam gemacht, war aber auch eine Kraftquelle. Wenn du schon als Teenager immer wieder herausgerissen wirst und von vorne beginnen musst, bleibt dir gar nichts anderes übrig, als kommunikativ zu werden. Wer kein Zuhause hat, der sucht sich eben eins. Hat man erst einmal akzeptiert, dass man von allem etwas in sich trägt, kann auch das eine Art Zentrum sein.
ZEIT: Wie war das, in den Neunzigern in das zerstörte Beirut zurückzukehren?
Hamdan: Absolut surreal. Beirut war eine Art Geisterstadt, ständig Stromausfälle, manchmal zwölf Stunden am Tag, alles sehr düster und klaustrophobisch. Auf der anderen Seite gab es inmitten der Trümmer eine gespielte Normalität. Die Kinder der Superreichen wurden von Bodyguards in die Schule und wieder zurückgebracht. Die allgemeine Haltung war: Schwamm drüber, wir haben überlebt und sind immer noch eine Familie.
ZEIT: Gleich mit Ihrer ersten Band Soapkills haben Sie im Libanon für Aufregung gesorgt. Was genau war das Provozierende: der Stil, die Texte, der Umstand, dass eine Frau sang?
Hamdan: Alles zusammen. Sie müssen sich eine Gesellschaft vorstellen, die unfähig ist, mit ihren inneren Widersprüchen umzugehen. Die Energie ist ungeheuer, aber es gibt keine Antwort auf drängende Fragen. In solch einer Situation haben schon kleine Regelverletzungen große Wirkungen. Anfangs fiel das noch nicht so auf, weil ich englisch sang, aber sobald ich mich für das Arabische entschieden hatte, eckte ich überall an. Die Leute mögen es nicht, wenn man ihnen vormacht, dass alles auch ganz anders funktionieren kann.
ZEIT: Sie haben den Rock 'n' Roll nach Beirut getragen.
Hamdan: (lacht) Ich gehöre einer Generation an, die nach Antworten suchte, und der beste Weg, Antworten zu finden, war es, Fragen zu stellen. Unsere Konzerte waren wie Happenings: Alle, die auf der Suche waren, kamen an einem Ort zusammen. Oft war es nicht einmal ein richtiger Ort, sondern bloß irgendein Loch, in dem wir eine geliehene Lautsprecheranlage installiert hatten. Natürlich spielte auch die politische Situation eine Rolle: Wenn ständig irgendetwas hochgehen kann, möchte man ganz schnell sein Leben leben.
ZEIT: Wie kamen Sie dazu, arabisch zu singen?
Hamdan: Ich hatte es immer schon in mir. Es gibt Lieder, die im arabischen Raum jeder kennt, sie sind Teil der kulturellen Geografie, wenn man sie nicht sowieso im Radio hört, hat sie einem jemand aus der Verwandtschaft als Kind vorgesungen. Bei mir war es genauso, aber ich brauchte ein Schlüsselerlebnis. Eines Tages bin ich auf Asmahan gestoßen, eine Sängerin aus den vierziger Jahren. Eine schillernde Figur, sie benutzte in ihren Arrangements westliche Instrumente, manchmal klingt sie nach Cabaret, manchmal indisch, manchmal sogar ein bisschen chinesisch. Da wurde mir klar, dass die Trennung zwischen "westlicher Musik" und der Musik, mit der ich groß geworden bin, gar nicht existiert.
ZEIT: Können Sie sich an den Moment erinnern, in dem Sie Asmahan zum ersten Mal hörten?
Hamdan: Es war in Beirut, spät in der Nacht, in dieser einen Bar, der einzigen, die es damals gab. Ich war jede Nacht da, der Musik wegen und um wie verrückt zu tanzen. Als dann zwischen dem ganzen westlichen Pop plötzlich ein Stück von ihr lief, fühlte ich mich wie vom Blitz getroffen. Diese Frau klang so selbstbewusst, so modern, so ... intellektuell. Am nächsten Tag bin ich sofort losgezogen und habe auf Märkten nach alten Aufnahmen von ihr gesucht. Es gab nur Kassetten, aber von da an ging es Schlag auf Schlag. Ich stieß auf Lieder anderer Sängerinnen, ich beschäftigte mich mit ihren Dialekten und Hintergründen. Ich habe noch einmal Arabisch gelernt, indem ich sie sang.
ZEIT: Es war eine Wiederaneignung der Tradition.
Hamdan: Ja. Aber ich habe die Tradition zugleich infrage gestellt. Es war wie Aufräumen. Da fragt man sich auch: Was mag ich, was nicht? Was will ich behalten, was nicht? Es kam vor, dass ich ein altes Lied nahm und etwas komplett Neues daraus machte, ohne Rücksicht darauf, ob es nach gängigen Maßstäben schön klingt oder nicht. Auf der anderen Seite wurde mir klar, was mir an der Kultur, die mich geprägt hat, gefällt: der Humor, das Verschmitzte, das Sinnliche und Lebensfrohe, das sich darin ausdrückt und sich zugleich hinter einem Schleier aus Metaphern verbirgt. Etwas sagen und zugleich nicht zu sagen, das ist sehr arabisch! (lacht) So ist es bis heute geblieben: Ich zerstöre, aber ich zerstöre aus Liebe.
ZEIT: Der arabische Autor Ahmad Zaatari schreibt in einem Artikel über Sie: "Man könnte ihre Darbietung für desaströs halten aufgrund ihrer Willkür im Umgang mit der Stimme und der vorsätzlichen Abweichungen am Anfang und Ende einer musikalischen Phrase."
Hamdan: Solche Dinge bekamen wir damals ständig zu hören: Sie hat keine Ahnung, sie kann gar nicht singen, sie kommt von außerhalb, sie gehört nicht dazu. Man muss wissen: Traditioneller arabischer Gesang hat sehr viel mit Technik zu tun, es gibt jede Menge Skalen, die von klein auf trainiert werden. Von einer Sängerin wird erwartet, dass sie ihr Handwerk beherrscht, und aufgrund der Vierteltöne wird alles noch komplizierter. Anfangs habe ich mich noch bemüht, wenigstens ein paar Regeln zu befolgen, aber dann sagte ich mir: Wenn es nicht geht, mache ich es halt auf meine Weise. Technik interessiert mich nur in zweiter Linie, es geht mir um Emotionalität und Ausdruck. Ich singe arabisch wie ein Punk.
ZEIT: Es geht um die Stärke, die in vermeintlich schwachen Stimmen steckt.
Hamdan: Genau. Man darf keine Angst davor haben, sich zu seiner eigenen Zerbrechlichkeit zu bekennen. Man will keine Fassade sein, sondern ein Mensch. Das ist es, was mir an Neil Young immer gefallen hat, er bewegt sich mit seiner Stimme an Orte, die sich ziemlich seltsam anfühlen können. Diese hohen, brüchigen Noten! Oder PJ Harvey: Sie hatte von Anfang an diese Wut in ihrer Stimme, aber zugleich war sie sehr gefühlvoll und nuanciert. Solche Stimmen sind wie Sauerstoff, sie geben einem Luft zum Atmen.
ZEIT: Leider versteht man als Europäer nicht, wovon Sie auf Ya Nass singen. Können Sie ein bisschen Übersetzungshilfe geben?
Hamdan: Ya Nass heißt so viel wie "Yo, Leute!", es ist eine Aufforderung, zusammen etwas zum Laufen zu bringen. Aber im Grunde erzählen die Lieder, die ich singe, keine Geschichte, sie transportieren Stimmungen. Ich spiele mit den Bedeutungen der Vorlagen und fülle sie so mit neuem Leben. Deshalb finde ich es auch gar nicht schlimm, wenn man die Sprache nicht beherrscht. Der Weg führt nicht über die Texte, sondern über die Emotion.
ZEIT: "Eine Frau versucht, mit dem Geruch Ihres Liebhabers in Kontakt zu kommen", "Eine Frau beschwert sich bei ihrem Liebhaber darüber, dass er zu impulsiv ist und zu jung". Den Angaben im Booklet zufolge geht es viel um Sex.
Hamdan: (lacht) Wenn, dann nur sehr versteckt. Sagen wir, es geht um Erotik. Ich selbst hätte kein Problem damit, mich explizit auszudrücken, aber an den alten Songs gefällt mir gerade das Indirekte, die Bedeutung hinter der Bedeutung. Ich mag es, wenn man nicht mit der Nase auf etwas gestoßen wird. Das gibt der Fantasie den nötigen Raum.
ZEIT: Im Song Beirut beschwören Sie die Atmosphäre des Vorkriegs-Beirut herauf: Die Arak-Trinker in den Cafés, die Taubenzüchter. Ist das eine Art Heimwehlied?
Hamdan: Es ist jedenfalls ein wichtiges Stück auf dem Album. Omar al-Zenni hat es geschrieben, ein Sänger, der heute fast ganz aus der kollektiven Erinnerung verschwunden ist. Das Lied aus der Versenkung zu holen war, als würde man ein verlorenes Familienmitglied wiederentdecken. Es handelt von der oberflächlichen, wunderbaren Energie der Stadt, ist voller Wehmut und Zärtlichkeit, klingt aber zugleich so modern, als wäre es gestern erst entstanden. Genau diese Balance will ich in meinen Liedern erzielen.
ZEIT: Warum lehnen Sie es ab, mit dem Arabischen Frühling in Verbindung gebracht zu werden?
Hamdan: Weil ich mit Etiketten nichts anfangen kann. Es erfüllt mich mit Hoffnung, wenn die Jugend endlich beginnt, für ihre Rechte einzustehen, aber der Begriff war mir von der ersten Sekunde an suspekt. Der Arabische Frühling ist eine Erfindung westlicher Medien. Was heute in Ägypten passiert, in Libyen, in Tunesien oder jetzt in Syrien basiert auf sehr unterschiedlichen Entwicklungen und hat sehr verschiedene Gründe.
ZEIT: Trotzdem wird gerade Ihre Stimme gehört. Versteht man Ihre Musik falsch, wenn man sie als Ausdruck einer aufkeimenden Zivilgesellschaft versteht?
Hamdan: Zivilgesellschaft, das ist auch so ein großes Wort. Es reicht mir, wenn meine Lieder die Erinnerung an eine andere arabische Welt wachrufen. Vor wenigen Jahren wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich bei einer Reise nach Tunis um Kleiderfragen zu scheren. Ich habe die Hoffnung, dass das eines Tages wieder so sein wird.
ZEIT: Welche Rolle spielen Frauen bei der Entwicklung?
Hamdan: Der Islamismus ist eine sehr männliche Angelegenheit. Sie haben sich ausgedacht, wie Frauen sein sollen, und geben das als Stimme Gottes aus. Entsprechend wichtig ist es, dem etwas entgegenzusetzen. Eine Revolution ohne grundsätzliche Neuformulierung der Frauenrolle ist keine Revolution. Es ist nicht einmal ein Frühling.