Friedhofsmarathon
Wien ist und bleibt eine Sportstadt. Das Happelstadion mit dem Charme einer weißrussischen Arena aus den Sechzigern oder die planungsfremde Struktur der Radwege zeugen davon. Wien ist aber auch eine Stadt des Totenkults, so sagt es zumindest das Klischee. Nun will man beide Äste verbinden und daher entstehen auf dem Zentralfriedhof zwei ausgeschilderte Laufstrecken.
Der kürzere, zwei Kilometer lange Weg führt durch die breite Allee zur Präsidentengruft. Der längere zeigt uns lauschige Plätze wie das älteste Einzelgrab. Die Motivation für diese neue Sportstätte erklären die Friedhöfe Wiens so: „Wir wollen das Interesse der jungen Generation an diesen Anlagen wieder wecken.“ Schön, nach dem Clubbing trifft sch die Jugend künftig zum lockeren Auslaufen am Zentralfriedhof. Das sollte aber pietätvoll bleiben, also keine Hürdenstrecke über Grüfte und Ehrengräber, sondern ein gezielt geführter Akt der Lebendigkeit. In einer Umgebung, die uns immer vor Augen führt, wohin die Reise im allgemeinen geht. Und im speziellen: wohin sie noch schneller gehen könnte, wenn man zu wenig Bewegung macht. Da stehen Grabsteine nicht nur sinnlos in der Landschaft, sondern werden quasi zu Meilensteinen. Bei der Präsidentengruft ist Kilometer 1, ein Wendepunkt. Wer die Aufbahrungshalle bereits passiert hat, ist auf einem guten Weg. Oder: wenn man die Urnengräber sieht, hat man es bald geschafft. Vielleicht gibt es bald neben dem Frühlings- auch den Friedhofsmarathon. Tausende Menschen aus aller Welt hasten durch die Stätte ewiger Ruhe. Das ist sicher stimmungsvoller und unterhaltsamer als so manches Länderspiel im halbleeren Happelstadion.