unterm volk
Es kommt Bewegung in die Demokratie. Der eine Präsidentschaftskandidat möchte künftig seine Neujahrsansprache nicht mehr in der Hofburg halten. „Raus aus der Burg, hinein ins Volk!“ ist die Devise. Die wichtige Rede zur Lage der Nation soll künftig vielleicht in einem Altersheim stattfinden, eventuell sogar in Doppelconference mit einem Bewohner. Der andere Kandidat wiederum öffnet sich dem Volke auf bisher unbekannte Weise. Durch die Publizierung seiner Röntgenbilder zeigt er sozusagen Politik von innen und beruft sich damit auf einen alten römischen Satz. Mens sana in corpore sano. Vermutlich möchte er seine Neujahrsansprache im Dialog mit seinem Internisten abhalten. Transparenz ist das Wort der Stunde, bis auf die Knochen sozusagen. Hier wird sich im wahrsten Sinne des Wortes unters Volk gemischt. Das Dumme ist nur, dass unter dem Volk nichts mehr ist. Bisher war auch eher erwartet worden, der Präsident wäre über dem Volk anzusiedeln. Die Ansätze sind auf jeden Fall mutig. denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Seniorenheimbewohner glaubwürdiger erscheint als ein Politiker ist doch recht hoch. Vielleicht ist die Botschafter auch: wir alle sind irgendwie Präsident. Egal ob Pensionist, Chirurg oder Lokführer, eine nichts sagende, unprickelnde Ansprache zu halten scheint allen gleichermaßen gegeben. Bei den Röntgenbildern scheint die Message ebenso klar. Seht her, der Präsident ist einer von uns, auch er hat eine Lunge. Wenn wir nun aber alle irgendwie Präsident sind, stellt sich allerdings eine berechtigte Frage. Warum können wir uns dann den ganzen Zirkus nicht ersparen?