treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

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CARLA BLEY

Carla Bley ist in die Männerdomäne Jazz eingedrungen wie keine andere und gilt als kreativste, originellste und humorvollste Komponistin und Arrangeurin des Jazz

Dieses Projekt wurde geboren, während ein anderes noch lief. Als die Carla Bley Big Band im Sommer 2002 programmatisch-ironisch Amerika suchte, fixierte ihre Leiterin im Umkleideraum schon erste Stückideen auf der Rückseite des Programmheftes, das sie aber prompt verlor: The Lost Chords. So viel blieb klar: Die Besetzung sollte kleiner sein und neu, jedenfalls relativ. Also keine schwierigen Duos mit Steve Swallow und nicht schon wieder zu dritt mit Andy Sheppard. Daher kam Billy Drummond zum Quartett. Von der Big Band und überhaupt kennt man sich, auf alte Themen konnte man aufbauen, neue würden sie finden. So viele, dass Stoff für die nächste und übernächste Platte bleiben wird. Und immer so weiter und wieder so fort.
Im Herbst 2003 ging's quer durch Europa. Dass auch nach Jahrzehnten unterwegs „Tour" nicht ganz zufällig nach „Tortur" klingt, kann man im Booklet nachlesen. Der Musik nämlich wird man es nicht anhören. Leicht, geschmeidig, locker, verzwickt und doch sehr einnehmend kommt die daher. Nie war Carla Bley so nah bei Monk. Das stolpert, stolziert und geht los. Drummond macht im Hintergrund genau das Richtige, Sheppard schrillt und schwelgt und schwebt, Swallow federt hoch vom tiefen Grund und singt kompakt zurück. Und Frau Bley tastet über die Tasten. Das ist nicht wirklich neu, aber immer wieder schön.

Komponistin, Bandleaderin, Pianistin und Organistin

"Als ich vor 50 Jahren meinen ersten Job als Barpianistin in Montery hatte, spielte ich die traditionellen Jazz-Standards. Manchmal hatte das Publikum spezielle Wünsche, aber es war mir nicht möglich, Nummern zu spielen, die ich nicht mochte. Somit war das mein letzter Job als Barpianistin."

Ihre Musik für Big Band und diverse kleinere Ensembles steht seit vielen Jahrzehnten auf den Programmen internationaler Festivals und Konzerthäuser. In ihren Kompositionen und Arrangements verbindet sie teils auf groteske, teils auf ironisierende Art und Weise Elemente aus Jazz, Rock und europäischer Moderne. Hintersinnige kabarettistische und auch poetische Texte spielen eine wichtige Rolle in ihrem Schaffen. Alles zusammen verhalf ihrer Musik, angesiedelt zwischen dem Freejazz der 70er-Jahre und simplen Rocksongs, hierzulande zu einem generationenübergreifenden Publikum.

So unkonventionell die Musik der Bley bis heute ist, so unkonventionell verlief ihr Leben. Carla Bley, geborene Borg, wurde 1938 in Oakland, Kalifornien, in ein Musikerelternhaus hinein geboren. Ihre Eltern hatten sich am Moody Bible Institute in Chicago kennengelernt und so waren ihre ersten Lebensjahre sowohl mit Musik als auch mit Religion ausgefüllt. Mit vier Jahren spielte sie in der Kirche Klavier, sang im Kirchenchor und spielte – sobald sie groß genug war, um an Tasten und Pedale zu reichen – Orgel bei Hochzeiten und Begräbnissen. Mit 12, so ist es überliefert, interessierte sie sich verstärkt für Roller Skating und verbrachte die nächsten drei Jahre mit dem Training für Wettkämpfe. Neben der Schule hatte Carla einen Job als Pianistin: Sie begleitete eine Tanzklasse. Mit 15 Jahren verließ sie die Schule und arbeitete als Bedienung in einem Musikladen. Sie begleitete einen Folksänger und spielte Soloklavier in Bars. Spuren ihrer unakademischen musikalischen Ausbildung scheinen in Bleys Musik immer wieder auf und sind die Keimzelle ihrer ganz individuellen Klangsprache.

Zahlreiche CD-Veröffentlichungen dokumentieren ihren Werdegang lückenlos. Besonders hervorzuheben sind ihre Jazzoper „Escalator over the Hill“, die sie mit dem Jazz Composers Orchestra aufführte, aber auch einige frühe Stücke wie „Ictus“, „Jesus Maria“ und „In The Mornings Out There“, die sie u.a. für Jimmy Giuffre, George Russell, Art Farmer, Gary Burton und ihren damaligen Mann, den Pianisten Paul Bley, schrieb.

Später gründete sie „The Carla Bley Big Band“, die vom angesehenen Jazzkritiker Nat Hentoff gleich hinter denen von Duke Ellington und Charles Mingus gereiht wurde. In den vergangenen Jahrzehnten arbeitete sie bevorzugt mit kleineren Ensembles, etwa dem Doppelquartett 4x4, den Lost Chords u.a. Bei fast allen Produktionen der letzten beiden Jahrzehnte wirkte der E-Bassist Steve Swallow mit, mit dem sie auch privat verbunden ist.



LOST CHORDS:
Carla Bley: piano, Hammond b3
Andy Sheppard: tenor-, soprano saxophone
Steve Swallow: bass
Billy Drummond: drums


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PARODIE UND PATHOS
Zum 70. Geburtstag der Jazzkomponistin Carla Bley (Tagesspiegel)

Die Watt World Headquarters  sind eine private Strafanstalt für musikalische Verbrecher. Sie liegen, mit hohen Mauern und Stacheldraht gesichert, auf einem nackten, vom Meer umtosten Felsen. So, wie www.wattxtrawatt.com das Innere dieses imaginären Alcatraz en miniature entwirft, beherbergt es aber nur noch zwei Delinquenten. Carla Bley und ihr Lebensgefährte, der Bassist Steve Swallow, hausen in benachbarten Zellen, halten die betriebseigene Plattenfirma am Laufen und geben mit Erlaubnis des Aufsehers manchmal außerhalb Konzerte. Carlas Tochter Karen Mantler, deren Zelle gegenüber besichtigt werden kann, ist vor drei Jahren geflohen. Ihr Vater, der Trompeter und Komponist Michael Mantler, ist vor zehn Jahren aus dem Todestrakt entkommen.

Was immer sich zwischen Kapelle, Cafeteria und Leichenschauhaus abgespielt hat: Es müssen Familiendramen gewesen sein – wenn das zu Carla Bleys trocken-ironischem Wesen auch nur entfernt passen würde. Das heißt: Vielleicht waren es Dramen, doch zumindest in der Darstellung gewinnt sie ihnen eine komische Seite ab. Musikalisch macht sie das kaum anders. Keine sinistre Spannung, die sie nicht zerplatzen ließe, keine noch so liebliche Melodie, der sie nicht gerne in die Parade fahren wollte.

Zumindest als Arrangeurin ihrer Bigband und für Charlie Hadens Music Liberation Orchestra war Carla Bley lange eine Virtuosin im Anrauen allzu geschmeidigen Materials, bevor sie Ende der siebziger Jahre ihre persönliche Art von easy listening entwickelte. Mal programmatisch hintergrundgeeignet wie die „Dinner Music“ (1977), mal wie „Night-Glo“ (1985) ärgerlich fahrstuhltauglich, und dann doch wieder schlicht skurril, mit dem Hang zu einer etwas aus der Mode gekommenen Illusionszerstörung. In ihren stärksten Momenten praktiziert sie einen durchtriebenen Stoizismus, den sie durchhält, bis es wie bei Buster Keaton plötzlich rumpelt, oder nüchtert Tragisches aus wie Samuel Beckett. Nach dessen letztem, auf Englisch geschriebenen Roman nannte sie ihre Plattenfirma Watt, die wiederum ihrem Jazzknast den Namen gab.

Als Carla mit 20 Jahren aus dem kalifornischen Oakland nach New York kam, hatte sie wenig im Gepäck, außer jeder Menge Jazzbegeisterung und ein paar schon vor der Pubertät abgebrochenen Jahren Klavierunterricht, die sie von ihrem Vater, dem Organisten und Pianisten Emil Borg, erhalten hatte. Ihr Geld verdiente sie unter anderem als Zigarettenmädchen im Jazzclub Birdland. Der kanadische Pianist Paul Bley war sofort hin und weg von der lang aufgeschossenen, hageren Schönheit – und sie von der Freiheit, mit der er den Jazz an der Seite von Ornette Coleman und Jimmy Giuffre über feste Formen und Formeln hinausführte. Als Traumpaar der frühen sechziger Jahre bildeten sie auch eine einzigartige künstlerische Gemeinschaft. Was sie komponierte, das spielte er: kurze Themen, die auch in der größten Liedhaftigkeit oft etwas Abstraktes hatten. Motivsprenkel, die seine Improvisationen erst zu wiedererkennbaren Stücken machten. Einige von ihnen, „Vashkar“, „Ictus“ oder „Ida Lupino“, sind Jazzklassiker geworden und begleiten ihn seit fünfzig Jahren – obwohl Carla ihn 1966 für Michael Mantler, mit dem sie bis 1992 zusammenlebte, verließ. Woraufhin Paul sich mit Annette Peacock, der Frau des Bassisten Gary Peacock, einließ, die für ihn noch viel Abstrakteres komponierte.

Carla Bley sagt gerne, dass sie es hasse, öffentlich Klavier zu spielen und ihre Band zu dirigieren. Glücklich sei sie nur zu Hause vor ihrem Notenpapier. Tatsächlich ist sie, die weitgehende Autodidaktin, eine nicht mal durchschnittliche Pianistin, und das Schlaksig-Ungelenke ihres Dirigierstils wird nur durch ihr ungewöhnliches Charisma aufgewogen, dem von Anfang an ihr opulenter Haarschopf zu Hilfe kam.

Für ihre besten Kompositionen, in denen die parodistische Aggressivität von Spike Jones und Frank Zappa ebenso mitschwingt wie das Pathos von Kurt Weill, spielt das keine Rolle. Niemand führt das mit dem Jazz Composers Orchestra eingespielte und 1971 zunächst auf drei LPs veröffentlichte Oratorium „Escalator Over The Hill“ nach Texten des Dichters Paul Haines besser auf als sie.

Vielleicht hat es auch nur niemand gewagt, sich diesen eklektischen Meilenstein aus Rockmusik, Free Jazz und vaudevillehaftem Schmiss noch einmal vorzunehmen.


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nachschlag zu:

ESCALATOR OVER THE HILL
Abstraktion mit Gefühl


"It's again, and again, and again..." - so lauten die ersten und die letzten Worte in Carla Bleys "Escalator Over The Hill". Somit erscheint uns diese Oper nach Texten des Dichters Paul Haines als ein ewiger Zyklus, ohne Beginn, ohne Abschluß:
Ein endloses Band, verrätselt und vielschichtig wie "Finnegans Wake", jenes Buch aller Bücher, dessen "riverrun" Einstieg, Mitte und Schlußwort zugleich ist.
Die 1938 in Oakland geborene Carla Bley gilt als kreativste, originellste und humorvollste Komponistin und Arrangeurin des Jazz, die eine launige Ironie mit dem unermüdlichen Streben nach neuen orchestralen Klangfarben und Klangkombinationen vermischt. Ihre Anfänge waren noch stark von der Idee des Free-Jazz, von kollektiver Improvisation geprägt - wie man deutlich an ihrer ersten LP-Veröffentlichung "Jazz Realities" (mit Steve Lacy, Aldo Romano und Kent Carter) und in den späteren Aufnahmen mit dem "Jazz Composers Orchestra" hören kann. Aber zugleich, oder vielleicht sogar in stärkerem Maße, empfand sich Carla Bley als Komponistin - sie hatte damals zahlreiche Stücke für ihren kurzzeitigen Ehemann Paul Bley, sowie für George Russell, Jimmy Giuffre und Art Farmer geschrieben.
Doch der Kern all dessen, was sie später mit "Escalator over the Hill" oder mit ihren diversen Big Bands aufnehmen sollte, fand sich bereits im Album "A Genuine Tong Funeral" angelegt - eine Suite für den Vibraphonisten Gary Burton. Die vertrackten, an Kurt Weill - aber auch an Erik Satie - erinnernden Kompositionen erscheinen heute wie eine Vorstudie zu ihrem Großwerk.
"Escalator Over The Hill" wurde in einer gigantischen Anstrengung, einem langanhaltenden Anfall kreativen Wahnsinns und musikalischer Weltrevolte über einen Zeitraum von drei Jahren - zwischen 1968 und 1971 - hinweg aufgenommen. Dieses zweistündige, sich über 6 LP-Seiten erstreckende Konzeptalbum, besitzt einen Stellenwert für den Jazz der siebziger Jahre, der nur vergleichbar ist mit dem Rang, den das Beatles-Album "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" für die Popmusik besitzt. Die Erschütterungen waren programmatisch. Denn zum ersten Mal präsentierte sich ein Album in der vom Begriff der Authentizität verstrahlten Jazzlandschaft als reines Artefakt; als ein waghalsiges und fragiles Konzept, das zu Recht vor dem Licht der Bühne zurückschreckte und sich damit begnügte, ein Studioprodukt ohne Anspruch auf Aufführbarkeit zu bleiben.
Mit diesem Werk hat sich Jazz zum ersten Mal einen künstlichen Raum geschaffen, wies eine Musik erstmals über sämtliche bis dato gepflegten Bedingungen und Ideologien, Restriktionen und Mißverständnisse hinaus. Musikalisch war " Escalator Over The Hill", das seine endgültige Gestalt erst am Schneidetisch erhielt, ein Monstrum an Kreativität: ein Schnitt durch die Welt sämtlicher Spielarten der Musik zu einer Zeit, als der Begriff Polystilistik noch nicht inflationär grassiert, als man noch nicht von Stilpluralismus oder postmoderner Ironie daherfabulierte. In diesem musikalischen Fiebertraum, der nicht mehr den alten Gesetzmäßigkeiten von Komposition und Improvisation zu folgen wagte, der sich um den Genre-Begriff so wenig scherte wie um die Gesetze des Marktes, trafen Rock-Elemente mit Vaudeville-Anflügen zusammen, rieb sich klassische indische Musik an den am Jazz reflektierten und gebrochenen Klangvorstellungen der zeitgenössischen Musik und verschmolz Beatnik-Attitüde mit amerikanischen Alltags-Surrealismen.
Allein die Liste der beteiligten Musiker zeigt, was Carla Bley hier an Stilrichtungen versammelt hat: neben den Jazzmusikern Roswell Rudd, Gato Barbieri, Charlie Haden, Don Cherry, Enrico Rava, Jimmy Knepper, Jimmy Lyons, Paul Motian,  Howard Johnson, Sheila Jordan, Bob Stewart, Jeanne Lee, John McLaughlin finden sich Don Preston (ehemals Keyboarder bei Frank Zappas "Mothers Of Invention"), der Bassist der Rockgruppe Cream Jack Bruce, die Warhol-Schauspielerin Viva, die Country-Sängerin Linda Ronstadt - und viele andere mehr. Carla Bley gelang mit den raffinierten Arrangements, diese unterschiedlichsten Stilmomente zu bündeln, kontrastiv gegeneinander zu setzen und teilweise auch zu synthetisieren. Man hatte in jener Zeit bereits damit begonnen, Mischformen quer durch alle Stile und Genres zu suchen.
Doch Carla Bley war klug genug, hier nichts zu verwässern oder zu relativieren; und so ließ sie Dinge nebeneinander stehen, die ihre Spannung erst aus der Konfrontation mit anderen heraus erhielten, aus Kontrasten, harschen Brüchen und unerwarteten Ausschreitungen gegen den klassischen Jazz-Kanon. Beispielsweise setzte sie programmatisch eine "akustische" gegen eine "elektrische" Band - ein ironischer Reflex auf Ornette Colemans "Free Jazz"-Konzept, bei dem zwei Quartette mit- und gegeneinander spielten. Bei " Escalator Over The Hill" gestaltet Bley daraus ein subtil ironisches Spiel mit Einmischungen, Ein- und Widersprüchen, gezielten Abirrungen. Sie läßt die Erwartung nicht ins Leere laufen - sie übertrumpft sie auf immer absurdere und unerwartete Weise. Das gipftelt schließlich in der Weigerung, sich den Gesetzmäßigkeiten jeglicher Genres zu unterwerfen: erlaubt ist alles, was das Denken und die Emphase befeuert.
Carla Bley löst souverän den  alten Antagonismus von Emotionalität und Form auf, indem sie das Sinnliche intellektuell überhöht und die Abstraktion mit einer großen Portion Gefühl anreichert.