FAULE SPRACHE.
„Faule Trauben erschweren Weinlese“ schriebt orf.at. Der Internetauftritt des Rundfunks ist ja das Zentralorgan für politische und sprachliche Korrektheit. Der Laie wusste bislang allerdings nicht, dass es auch unter den Weintrauben solche und solche gibt. Die fleißige Traube hilft dem Weinbauern offensichtlich bei der Lese, während andere nur herumhängen. Nicht auszudenken, was das politisch bedeutet. Bislang war man ja der naiven Ansicht, dass es nur bei Menschen Sozialschmarotzertum geben kann. Nun dräut der furchtbare Verdacht, auch Obst und vielleicht sogar Gemüse wären zu derartigen Schandtaten imstande. Die faule Karotte etwa, die das optimale Gedeihen einer Rindsuppe verhindert. Oder ist gar der faule Erdäpfel jener Parasit unserer Kochtöpfe, der das Püree zu einem fahlen Abklatsch vergangener Tage werden lässt? Gerade diese Bodenfrucht ist es ja, die wir der Neuen Welt verdanken. Vielleicht ein perfider, von langer Hand geplanter Vorbote von TTIP? Ist vielleicht gar der faule Thymian, einst Bollwerk gegen jede Art der Erkältung, jener Saboteur, der unsere Tees unwirksam macht? Das würde die dramatische Zunahme an Halsbeschwerden zu Herbstbeginn erklären. Die Gefahr besteht hier im Unsichtbaren. Denn fauliges Obst ist sofort erkennbar, faules Obst hingegen nicht. Diese heimliche Unterwanderung des Systems führt zu kulinarischen Missernten. Dasselbe kann auch bei der Sprache passieren. Bevor man merkt, dass etwas faul ist, kommt es schon zu fauligen Kompromissen. Das Ergebnis sind gedankliche Missernten durch faule Wörter. Davor bewahren uns zum Glück sprachliche Instanzen wie orf.at.