handyspiesser
Im deutschen Feuilleton war jüngst ein kleiner Richtungskampf zu bemerken über eines der heißesten Themen der Zeit. Nämlich, ob Handyfotografieren bei Livekonzerten tolerierbar sei oder nicht. Manche meinen nun, das Feuilleton hätte sich schon mit entscheidenderen Fragen auseinander gesetzt hat, aber interessant scheint es doch. Wenn sich dabei eine Meinung sogar in die Abstrusität versteigt, Handys bei Konzerten zu verbieten sei Verspießerung, merkt man: hier ist die Brisanz zu Hause. Etwas nicht mehr mit eigenen Augen betrachten oder Gespräche nicht persönlich führen zu wollen ist also demnach Avantgarde. Es gehört zum Faszinosum der freien Meinung, dass sie durchaus auch manchmal frei von Sinn sein darf. Frei von eigenen Sinnen ist also das Credo dieser Tage. Jeden Schmarrn zu fotografieren ist allemal besser als Menschen oder Landschaften selbst zu betrachten. Wer weiß, wie leicht kann man sich irren und dann ist die eigene Wahrnehmung eben nur eine Falschnehmung. Und wie objektiv ist dagegen das Smartphone mit seiner miserablen Qualität. Aber kommen wir zurück zur Verspießerung. Das Wesen des Spießers scheint es doch zu sein, die Realität eben nicht durch genormte Brillen zu sehen. Das heißt eigentlich, dass das größte Spießertum eben gerade darin besteht, krampfhaft davon auf Distanz zu gehen. Und es soll schon vor gekommen sein, dass gerade die bemüht Lockersten schlimmer waren als die Gartenzwergbesitzer. Diese pseudointellektuelle Selfie hat mit Selbstreflexion nur wenig zu tun. Aber vermutlich ist die Ablehnung dieses Spießertums auch schon wieder spießig. Schwierig.