Ver-rückte Wahrnehmung
Das Kellertheater eröffnete seine Saison mit einem meisterhaften Stück über Verdacht und Zweifel.
Eines muss man Kellertheater-Chef Manfred Schild lassen: er hat einen überaus guten Riecher für atmosphärisch dichte kammerspielartige Stücke. Und er schaut sich dabei mit Vorliebe auch am internationalen Theaterparkett um. Mit „Zweifel“ von John Patrick Shanley hat er nun erneut ein Stück nach Innsbruck geholt, das sowohl durch seinen Autor als auch durch seine Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte aufhorchen lässt. Denn Shanley ist nicht nur Bühnen- und Drehbuchautor des oscargekrönten Kultfilms „Mondsüchtig“, mit seinem bereits 2004 erschienenen Stück „Zweifel“ wurde er sowohl mit dem Pulitzer-Preis wie mit dem Tony für das beste Theaterstück ausgezeichnet. Und auch die Kinoverfilmung aus dem Jahr 2008, bei der er selbst Regie führte, brachte ihm und seinen Darsteller/innen damals zahlreiche Nominierungen ein.
Damit lag die Latte für Regisseur Fabian Kametz und sein Ensemble schon einigermaßen hoch. Denn wer „Glaubensfrage“ (so der Filmtitel hierzulande) gesehen hat, weiß: Meryl Streep war als Schwester Aloysius nicht nur kaum wieder zu erkennen, sondern einfach zum Fürchten gut. Ganz zu schweigen vom einzigartigen Philip Seymour Hofmann, der im Film Vater Valentin verkörperte. Doch Fabian Kametz läuft gerade bei solchen Vorgaben erfahrungsgemäß zur Bestform auf. Ihm und seinem Ensemble gelingt nicht nur eine verstörend gute, sondern - ich möchte fast meinen – europäische Interpretation dieses Erfolgsstückes.
Beklemmend, wie er etwa das Ver-rückende und Verrücktmachende des Zweifels (respektive des Verdachts und der Vorverurteilung) sowohl visuell wie akustisch erlebbar macht. Das sexuell oder möglicherweise auch angsthysterisch aufgeladene Zittern, Beben und Verrücken des Mobiliars über eine Videozuspielung lässt einen dabei regelrecht erschaudern. Überaus gelungen auch die radikal überzogenen Kostüme von Amina Daschil, mit denen sie den Darsteller/innen sprichwörtlich unter den Rock blickt. Der sportbegeisterte und auch sonst unkonventionelle Vater Valentin (Johann Nikolussi) trägt etwa unter seiner transparenten Kutte ein Sportoutfit, gleichzeitig verstört sein Anblick durch einen blutroten Lippenstift und lackierte Fingernägel.
In den erstklassig geschriebenen Dialogen lässt Fabian Kametz seine von Glaubens- und anderen Zwängen indoktrinierten Akteur/innen – allen voran Elke Hartmann als Schulleiterin Schwester Aloysius und Elena Knapp als engagierte Lehrerin Schwester Johanna – zudem fast maschinenhaft rituell interagieren. Angesichts dieser Bastion an vermeintlichen Gewissheiten vermögen freilich weder die Mutter des Jungen Frau Nikolic (Nevena Lukic) noch Vater Valentin irgendetwas zurechtrücken. Denn Schwester Aloysius ist in der Wahl ihrer Mittel nicht gerade zimperlich. Allerdings erscheint ihr dies bei der Verfolgung des Bösen durchaus legitim. Vater Valentin, der bei ihr im Verdacht steht, einen Jungen alkoholisiert und dann sexuell missbraucht zu haben, bleibt also schließlich nur noch die Flucht nach vorne, in eine andere Gemeinde. Und wenn Schwester Aloysius zuletzt über die eigenen Zweifel lamentiert, dann läuft es einem geradezu eiskalt über den Rücken.
FOTO (Kellertheater): Der Verdacht ist bei ihr längst Gewissheit:
Schwester Aloysius (E. Hartmann) bezichtigt Vater Valentin (J. Nikolussi) des Missbrauchs an einem ihrer Schüler.