Vom einstigen Fliesenleger zu einem "der besten lebenden Songwriter" (NZZ): Mit viel Soul in der Stimme und dem Schalk im Nacken gründete Kurt Wagner 1986 die Band Lambchop mit dem Anspruch, "Nashville's most fucked-up country band" zu sein. Seiner Heimatstadt wollte Wagner damit gleichermaßen einen Schrein errichten und ihr Mord, Brand und Pestilenz anheim wünschen. Beides ist ihm hervorragend gelungen. Wagner ist in mancherlei Hinsicht der Stachel im Fleisch einer durch den Leichenschmaus der großen Töchtersöhne Nashvilles adipös gewordenen Country-Musik-Industrie. Gleichzeitig aber auch ihr Retter, in dem er den Cowboy-Kitsch entsorgte und gegen Soul-, Jazz- und Alternative-Anleihen eintauschte.
Mehr als das: Laut FAZ gibt es "kaum einen gewiefteren Komponisten in der Popmusik als Kurt Wagner aus Nashville", und das 2002er Lambchop-Album "Is A Woman" wurde von der Süddeutschen Zeitung gar unter die Top Ten der besten Alben aller Zeiten gereiht. Besonders auf diesem und dem Album "Nixon" zeigt sich Wagners Singer/Songwriter-Kunst in seiner irrlichternden Brillanz. Nun nach vierjähriger Pause erscheint endlich ein neues Lambchop-Album. "Mr. M." ist das elfte und es schickt sich an, einen Platz dicht neben (oder gar über) den beiden oben genannten Meisterwerken im Oeuvre der Band einzunehmen.
Tief getroffen vom Freitod seines Freundes Vic Chesnutt verlor Wagner nach dem 2008er Album "OH (Ohio)" fast seine musikalische Schaffensfreude und wandte sich einige Zeit seiner alten Liebe, der Malerei, zu. Es entstand eine Serie von Portraits, von denen eines nun das Cover von "Mr. M." ziert. Warum dieses Album überhaupt zustande kam, ist dem langjährigen Lambchop-Produzenten Mark Nevers zu verdanken, der ein Soundkonzept für ein Album im Kopf hatte, das perfekt mit Wagners Songwriting harmonieren würde. Eine Art "Psycho-Sinatra-Sound", wie es Wagner nennt, mit offenen und dennoch komplexen Streicher- und anderen Sounds, die der Musik eine seltsame Präsenz verleihen.
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Das war eine Verwirrung damals, als auf dem Cover des Lambchop-Albums, das Karl Bruckmaier in der “Süddeutschen Zeitung” als „eines der besten Alben der Popgeschichte“ bejubelt hat, in lauter Kleinbuchstaben der Name der Band und der Albumtitel „is a woman“ zu lesen waren. Waren Lambchop jetzt eine Frau? Jedenfalls war „is a woman“ das „break through“-Album der Band hierzulande (während Lambchop seit „Nixon“ bereits Stars z.B. in Norwegen und in England waren und in London nicht nur die Royal Festival Hall, sondern sogar die Royal Albert Hall ausverkauften…), plötzlich spielte die Band vor 1000 und mehr Zuhörern. Allerdings: wie das bei derartiger Musik manchmal der Fall ist, war das Album ein „slow burner“ – als plötzlich alle Leute „is a woman“ kauften, war die Tour zum Album längst passé, und so hat ein nicht geringer Teil der vielen Lambchop-Fans in Deutschland zwar die folgenden Programme, nicht aber das zauberhafte „is a woman“-Programm goutieren können. Dem verschaffen Lambchop nun Abhilfe. Lambchop spielen auf einer kurzen Tour im Herbst a) das komplette „is a woman“-Album, in der Originalreihenfolge. Und b) und erstmals überhaupt die komplette „is a bonus“-EP (die der limitierten Erstauflage beilag). Und c) natürlich ein paar andere Songs aus der beeindruckenden Bandgeschichte, denn schließlich gibt es laut „FAZ“ ja „derzeit wohl tatsächlich kaum einen gewiefteren Komponisten in der Popmusik als Kurt Wagner aus Nashville.“
„...eine der zehn besten Platten, die jemals gemacht worden sind. (...) man wird die Musik von Lambchop nicht länger mit der anderer Gruppen vergleichen, sondern die Gruppe um Wagner selbst als Referenzpunkt wählen: Die disparaten Einzelteile haben sch in einem alchimistischen Prozess zu jenem Stoff amalgamiert, aus dem – hoffentlich – Platinschallplatten gemacht werden. Oder wenigstens Legenden. (...) Kurt Wagner, der ohne alle Absicht eines der besten Alben der Popgeschichte aufgenommen hat.“ (Karl Bruckmaier, Süddeutsche Zeitung)
„Der eigentümliche Reiz dieser fast überirdisch aus Tönen geformten Klangskulpturen liegt in der Zäsur, in der unglaublich präzisen Ökonomie aus Betriebsamkeit und Stille. Zum stürmisch umjubelten Finale verblüfft Wagner einmal mehr. Er läßt die rauchvernebelten Wellblech-Bars an den staubigen Highways hinter sich, ändert die Gangart der bis dahin lässig dahinschwelenden Erlebnisreise, dreht den Verstärker auf und rockt und röhrt wie ein brünftiger Hirsch.“ (FAZ)
„Wenn der Vorhang sich senkt, haben wir Hörer etwas Seltenem beigewohnt: Wie gelegentlich in Elvis Presleys späten Jahren oder wie in den neuen, vom Entertainment-Aberwitz getriebenen Shows von Solomon Burke haben wir das Billigste und das Beste vernommen, was die US-amerikanische Popmusik zu bieten hat. Denn erst der Kitsch macht dieses prächtige musikalische Porträt der amerikanischen Provinz so wahrhaftig.“ (Neue Zürcher Zeitung)
„Lambchop macht Menschen glücklich, egal was für Musik sie nun theoretisch spielen. So einfach ist es.“ (Berliner Zeitung)
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"If you haven't heard of them, you probably aren't from Nashville or France." - Wenn du nicht von ihnen gehört hast, bist du wahrscheinlich nicht aus Nashville oder Frankreich. So heißt es mit einer Prise Ironie auf einer Fanseite. Ein Satz, der für Deutschland und Österreich nicht mehr zutrifft, spätestens seit Karl Bruckmeyer in der Süddeutschen Zeitung "Is A Woman" (2002) zu einem der zehn besten Alben aller Zeiten auserkoren hat.
Lambchop ist eine mehr oder weniger stabile Gruppierung von bis zu fünfzehn Musikern, die sich um den Sänger/Songwriter Kurt Wagner schart. Ansässig in Nashville, der Wiege des Country, beginnt Wagners musikalische Karriere Mitte der 80er Jahre im Plattenladen seiner Ehefrau, wo er mit Freunden immer wieder Konzerte für verschiedene Acts eröffnet. Unter ihnen auch Vic Chesnutt.
1993 benennt sich die Band aus Copyright-Gründen von Poster Child in Lambchop (Lammkotelett, umgangssprachlich auch: Koteletten) um und nimmt an der 94er Lollapalooza-Tour teil. Wegen der Anzahl der Mitglieder und deren beruflicher Tätigkeit - Wagner selbst gibt erst 1999 seinen Job als Holzbodenleger auf - sind Auftritte der Combo zunächst eher selten. In den ersten Jahren beschränkt sich ihre Aktivität im Wesentlichen aufs Studio.
Der Gestaltungsprozess ihrer Stücke hält sich dabei an keine fixen Regeln. Meistens stellt Wagner ein grobes Gerüst vor, an dem herumgebastelt wird. Wer gerade zur Verfügung steht, leistet einen Beitrag, Aufnahmen stellen eher eine Bestandsaufnahme als ein fertiges Produkt dar. Ihre Musik deckt dadurch ein breites Spektrum ab. Sind Lambchop mit ihren ersten Veröffentlichungen noch im Alternative-Country-Bereich angesiedelt, bringen sie ab "What Another Man Spills" (1998) immer wieder neue Elemente ein, von Disco über Soul bis zu orchestralen Arrangements mit Falsettostimme oder klavierbetontem Minimalismus.
Das Album "Nixon" (2000) verschafft ihnen mit 60.000 verkauften Exemplaren europäische Popularität, der Nachfolger "Is A Woman" erntet zwei Jahre später einstimmiges Lob. Die Aufmerksamkeit ist hoch genug, um die Band für einige Auftritte aus den USA zu locken.
In der Folgezeit sind Lambchop zunächst mit einer Filmmusik für den 1927 entstandenen Film "Sunrise" des deutschen Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau beschäftigt. Wagner ist zum ersten Mal seit 30 Jahren (für einige Monate) Nichtraucher und in einer überaus kreativen Phase und wählt dafür passende 15 Stücke aus seinem Fundus aus. "Aw C'mon / No You C'mon" (2004) beruht teilweise auf den Ideen der Filmmusik.
Hörenswert bleibt nach wie vor auch "Damaged" (2006), das musikalisch an das großartige "Is A Woman" anschließt. Mit "OH (Ohio)" probieren Lambchop zwei Jahre später neue Vertriebswege aus: Das Album erscheint weiterhin im Fachhandel als Langspielplatte auf Vinyl, als digitaler Download in allen einschlägigen Download-Shops sowie als Doppel-CD Deluxe. Vor allem aber wird es als Jewelbox-CD mit dem deutschen Rolling Stone ausgeliefert.