aus dem SPIEGEL.
Er stand einfach da, allein auf der Bühne, er wirkte unbeholfen. Er wurde angestarrt. Vor ihm: ein Mikro und knapp hundert Menschen, darunter wir zwei. Meine Freundin Hannah hatte im Berliner Radio von ihm gehört, in einer dieser Sendungen, in denen junge Musiker vorgestellt werden, von einem "hoffnungsvollen Newcomer" ist dann gern die Rede. Nach viel Hoffnung sah Phillip Poisel allerdings nicht aus, dort oben auf der Bühne im Jenaer Volksbad. Er trug eine dieser Bubi-Wuschelkopf-Frisuren, wie sie auf jedem Campus der Republik spazieren geführt werden und ein T-Shirt, das am Bauch spannte.
Dann griff das Wuschelbäuchlein nach dem Mikro und begann zu singen, von der Liebe, der unglücklichen auch noch. Bei der sich der eine hoffnungslos nach dem anderen sehnt, sich verzehrt, sich wünscht, "ein einziges Mal nur/ In deine Arme zu fallen". Und sehr bald wollte ich ihn nur noch in die Arme schließen, ihn trösten und ihm versichern: "Wird schon wieder". Aber das ging nicht. Denn wir standen zu Hundert dort unten und er stand da oben erst einmal allein. Also schloss ich ihn statt in meine Arme in mein Herz. Da ist er bis heute geblieben.
Bald vier Jahre ist dieser Auftritt her, es war Mitte November 2008, Phillip Poisel hatte gerade sein erstes Album veröffentlicht: "Wo fängt dein Himmel an?" Tja, wo? Meiner jedenfalls nicht dort, wo lauter Geigen hängen. Denn es ist nicht so, dass ich auf seichte Musik stehe. Ich kann mit typischem Charts-Pop wenig anfangen, ich mag keine Castingshows und ich heule nicht, wenn sich Boygroups auflösen (es ist mir auch egal, wenn sich eine neue gründet). Ich mag kein Geschnulze. Aber ich mag Philipp Poisel.
Weil er ehrlich wirkt, wenn er seinem Publikum von seinem letzten Urlaubsflirt erzählt, der diesen Namen gar nicht verdient hat, denn er endete unglücklich, noch bevor er begonnen hatte, weil die tagelang aus der Ferne angehimmelte Traumfrau beim ersten Wortwechsel sagte: Bin leider vergeben. Weil es Poisel gelingt, den Zuhörer mit wenigen Worten an die französische Atlantikküste zu entführen, und man dabei den Wind in den Haaren fühlt, die Sonne im Gesicht und das Salz auf der Haut, und dabei eine Sehnsucht spürt, die klein sein mag und ein bisschen kindisch, die aber trotzdem wahrhaftig ist.
Ein bisschen wie diese Sehnsucht ist auch Poisel. Er macht sich und seine Musik nicht größer, als sie ist: Mal leicht und unbeschwert, mal tieftraurig und vielleicht sogar tief, nie aber gekünstelt oder gewollt. Ich mag Poisel auch, weil man sich nicht fremdschämt, sondern sich mit ihm freut und lächeln muss, wenn das Wuschelbäuchlein im Ringel-Shirt lachend über die Bühne hüpft, sich im Kreis dreht, dabei wild mit den Armen rudert und singt: "Ich hab getanzt, ich hab geweint, ich hab geschrien vor Glück […] Ich hab getanzt als gäb's kein Morgen mehr."
Nach dem Auftritt folgten viele, viele weitere Konzerte Poisels wie das in Jena, ein zweites Album, ein Soundtrack-Song für Matthias Schweighöfer und inzwischen Album Nummer drei, es heißt "Projekt Seerosenteich". Mit ihm fand sich Poisel vor knapp zwei Wochen erstmals auf Platz eins der deutschen Charts wieder, was besonders bemerkenswert ist, weil Live-Alben es fast nie nach ganz oben schaffen. Verdrängt von der Pole Position der Charts hat sich Poisel gewissermaßen selbst: Denn auf Max Herres Platte "Hallo Welt!", dem aktuellen Bestseller, ist der 29-Jährige mit einem Duett dabei. Und mit Herre wird er am Sonntag in Berlin auch beim Auf-den-Dächern-Festival von tape.tv und SPIEGEL ONLINE auftreten.
Trotz seines wachsenden Erfolges ging Poisels Karlsson-vom-Dach-Charme aber nicht verloren. Er ist sicher nicht der großartigste Sänger aller Zeiten. Er ist wohl auch nicht der begnadetste Musiker, sein Gitarrenspiel gilt als simpel. Über die Jahre musste ich mich dafür rechtfertigen, seine Lieder zu hören und auf Konzerte eines "Gefühlsterroristen" zu gehen. "Alles nur Masche, um die Mädels rumzukriegen", ätzten die Neidischen. "Was der Typ da macht, ist doch keine echte Musik, das ist kein bisschen innovativ", urteilten die Kenner. Worauf ich stets erwiderte: Seit wann müssen Gefühle neu sein?
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Eigentlich will der am 18. Juli 1983 im schwäbischen Ludwigsburg geborene Mann mit dem französisch klingenden Nachnamen ("Poasell") Realschullehrer für Musik, Kunst und Englisch werden. Dass dieses Vorhaben in Ermangelung seiner Notenlesen-Kenntisse scheitert, und er die Aufnahmeprüfung für Musik nicht besteht, birgt rückblickend eine gewisse Ironie.
Schließlich gelingt dem in Stuttgart lebenden Singer/Songwriter auch ohne akademischen Abschluss der Sprung ins Musikbusiness. Im Januar 2008 unterschreibt er seinen Plattenvertrag auf Herbert Grönemeyers Label Grönland.
Im August 2008 steht sein Debüt "Wo Fängt Dein Himmel An?" in den Läden, davor spielt er Konzerte im Vorprogramm von Ane Brun, Grönemeyer, Maria Mena, Suzanne Vega oder Hubert Von Goisern.
Von der Qualität des Poeten und Gitarristen und seinen gefühlvollen, deutschsprachigen Texten ist der Labelchef, dem Poisel musikalisch recht nahe steht, überzeugt: "Philipp Poisel singt mit Herz von ganzem Herzen, hat eine sehr spezifische, sehr eigene, durchsetzungsfähige Stimme und besingt das Leben in der Tradition der fahrenden Troubadoure. Seine Lieder wachsen mit jedem Hören und entwickeln einen wärmenden, beruhigenden Sog."
Musikalische Inspiration findet Philipp auf den Straßen. Seine Geschichten liefern der Alltag und die zwischenmenschlichen Beziehungsgeflechte, die er mit feinsinniger Beobachtungsgabe durchleuchtet.
Als Songwriter erprobt sich Philipp auf diversen Reisen durch Europa, mit Singen und Gitarrespielen verdient er sich dabei weitgehend seinen Lebensunterhalt. "Die Leute, denen man begegnet, reagieren sehr offen auf jemanden, der Musik macht", bemerkt er, auch wenn Aufenthalte in Litauen oder Schweden durchaus mit Strapazen verbunden sind.
"Eigentlich handelst du dir ständig Ärger ein, wenn du gerade mal nicht bei jemandem unterkommst und versuchst draußen was zu übernachten zu finden. Wenn du die Nächte in den Städten verbringst, machst du kein Auge zu und wirst jeden Tag nervöser, musst aber trotzdem spielen, damit du irgendwas zum Essen kaufen kannst."
Der Plan, ein komplettes Album einzuspielen, nimmt Gestalt an, als Pilipp Poisel im Sommer 2006 in einem Stuttgarter Café zufällig seinen späteren Produzenten Frank Pilsl kennenlernt. Schnell wird Demo-Material eingespielt, an dem mehrere größere Plattenfirmen Gefallen finden. Eine Zusammenarbeit scheitert aber an den unterschiedlichen musikalischen Vorstellungen des Künstlers und der Label-Verantwortlichen.
Überzeugt davon, mit seiner Musik den richtigen Ton zu treffen und nicht bereit, sich auf Kompromisse einzulassen, gründet Philipp mit Holunder-Records sein eigenes Label, das die Veröffentlichung des Debüts ermöglichen soll.
Schließlich wird auch Grönland Records auf den talentierten Liedermacher aufmerksam, ein spontan initiiertes Konzert im November 2007 ebnet den Weg für die zukünftige Zusammenarbeit. Mit einem Vertrag in der Tasche, der ihm alle Freiheiten gestattet, veröffentlicht Philipp Poisel 2008 sein Debüt "Wo Fängt Dein Himmel An?". Der Einstieg auf Platz 38 der Albumcharts beschert einen Achtungserfolg, anschließend geht es mit Band auf Tour durch den deutschsprachigen Raum.
Wieder daheim widmet er sich direkt der Vorbereitung der zweiten Platte, die ab August 2010 in den Läden steht und den Durchbruch bedeutet. "Bis Nach Toulouse" chartet auf Platz acht und erhält im November 2011 Gold für 100.000 verkaufte Einheiten. Im selben Jahr steuert er den Song "Eiserner Steg" zu Matthias Schweighöfers Film "What A Man" bei und landet seine bis dato erfolgreichste Single.
Auch die Konzertkarten haben sich bei Philipp Poisel längst zum Verkaufsschlager entwickelt. Die "Bis Nach Toulouse"-Tour 2011 findet zu großen Teilen vor ausverkauften Hallen statt und auch für das "Projekt Seerosenteich 2012" kündigt der Veranstalter schon mehrere Monate im Voraus zehn Zusatzkonzerte an.
Mit seiner leidenschaftlichen, durch und durch ehrlichen Bühnenpräsenz und einer bestens eingespielten Band im Rücken genießt der Schwabe als Liveact einen sehr guten Ruf. Als erfolgreicher Singer/Songwriter kann er den einst anvisierten Lehrerberuf endgültig vergessen.
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Mittlerweile gehört Philipp Poisel zu den erfolgreichsten Singer-Songwritern Deutschlands, wobei man ihn getrost als den „bekanntesten Geheimtip“ der jungen, deutschen Musikszene bezeichnen könnte. Denn der zurückhaltende Stuttgarter tummelt sich nicht in Schlagzeilen oder Chartshows, sondern entfaltet seine Kunst lieber live auf der Bühne vor seinem enthusiastischen, textsicheren Publikum auf ausverkauften Tourneen. Allein dieses Jahr sahen ihn weit über 100.000 Fans auf einem seiner Konzerte – allein in Köln kamen fast 10.000 Besucher zu seinem Open Air in den Tanzbrunnen. Im November steht Philipp Poisels nächste Clubtour an, die ihn ausschließlich in Städte führen wird, in denen er bislang noch nicht live zu sehen war – und auch erstmalig auf eigene Tournee nach Österreich und der Schweiz! Mit seinem aktuellen Top-Ten-Album „Bis nach Toulouse“ wurde Poisel u.a. für einen ECHO in der Kategorie „Künstler Rock/Pop National“ nominiert und für Deutschlands bekanntestem Radiopreis, der 1-Live Krone, wurde er nun bereits schon mal zum vierten Mal in Folge, dieses Jahr – wie auch 2009 – als bester Live-Act nominiert.
Auch die Presse steht mit großer Bewunderung und echter Anerkennung dem Phänomen Philipp Poisel gegenüber: „Poisel hat eine Stimme, die man nicht so schnell vergisst. Absolut authentisch.
Glaubwürdigkeit ist das Pfund, mit dem Poisel wuchern kann.“ (Kölnische Rundschau) „Philipp Poisel ist ein Nobelnuschler, der die Schönheit der Schludrigkeit zur Kunstform erhebt. Es treffen musikalische Begabung auf Sympathie und Authentizität“ (sueddeutsche.de) „Er ist ein Liedermacher im besten Wortsinne […], letztlich ein wahrer Soulsänger. Wer Philipp Poisel gesehen und gehört hat, empfiehlt ihn weiter, so einfach ist das, wenn die Qualität stimmt.“ (Münchener Merkur) „Dabei überzeugt er nicht nur, weil er seine Songs live mit so einer wunderbaren Mischung aus Lässig- und Zärtlichkeit performt, sondern auch, weil jede seiner Geschichten klingt wie ein kleines Kunstwerk“ (Rheinische Post) „Philipp Poisel hat seine eigene deutsche Sprache gefunden, findet noch unverbrauchte Worte und singt ungewöhnliche Liebeserklärungen, die eben nicht wie schon tausendmal gehört klingen.“ (WDR2) „Nimmt man Glaubwürdigkeit, Originalität und Emotionen als Maßstab für Kunst, ist das System Poisel eine Offenbarung“ (Intro). „Sein Begleitquartett intoniert spartanisch große Kunst auf kleinem Instrumentarium. Vielleicht besitzt Deutschland momentan keinen eigentümlicheren Liedermacher als Philipp Poisel.“ (Die Welt).
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LAUT.DE
KRITIK
Gefühlvoller Singer/Songwriterpop, mit klaren Bildern direkt ins Herz.
Es ist bezeichnend, dass dieser Singer/Songwriter aus Süddeutschland bei Grönland Records untergekommen ist. Dahinter steckt bekanntermaßen Herbert Grönemeyer, dem die Qualität der deutschsprachigen Songs diese jungen Mannes nicht verborgen blieb.
Auch, wenn es Anknüpfungspunkte an die Musik des Labelchefs gibt, Philipp Poisel geht mit seinen Liedern einen eigenen Weg. Die Akustikgitarre strukturiert die ohrgängigen Songs, die zwischen Pop, Rock, Sentimentalität und Fern- und Heimweh pendeln.
Die angenehmen Melodien harmonieren dabei wunderbar mit der zugänglichen Alltagspoesie, mit der Poisel die Sehnsüchte und kleinen Dramen des menschlichen Daseins unprätentiös zu schildern versteht.
Der Titeltrack eröffnet das Album zur sparsam geschlagenen Akustischen, die Strophe läuft auf einen hymnischen Refrain zu, untermalt vom Schlagzeug, Bass und Streichern. Wenn da nicht dieser Hauch von Indie-Charme und der fragile, manchmal nölige Gesang wäre, könnte man diesen Track durchaus in die Nähe von Xavier Naidoo rücken.
"Als Gäb's Kein Morgen Mehr" entfaltet mit Lebenslust, viel Gefühl und Euphorie einen wunderbaren Spannungsbogen. "Ich hab' getanzt, ich hab' geweint, ich hab' geschrieen vor Glück / Hol' der Teufel meine Seele, ich will zu dir zurück", singt er zu flirrender E-Gitarre. Ähnlich dynamischen Indiepop präsentiert er mit "Unanständig" und "Wer Braucht Schon Worte", immer auf der Suche nach der großen Melodie.
Fröhlich imaginiert er in "Ich Und Du" die Beziehung mit dem "Mädchen mit den sonnengelben Haaren", während er zur Gitarre und Pianoschlägen in "Mit Jedem Deiner Fehler" den Liebeskummer ins Zentrum rückt. Poisel verfällt nie dem Trübsinn oder allzu glatten Pathos, immer klingt bei aller Ernsthaftigkeit und sanften Melancholie das Wissen um die Schönheit des Lebens und einer aussichtsreichen Zukunft durch.
Das sentimentale, von der gezupften Akustikgitarre begleitete "Herr Reimer" thematisiert das tragisch-bittere Leben eines über 60-järigen Arbeitskollegen, "Wie Du" überrascht dagegen mit kernigen E-Gitarren-Arrangements. In traditioneller Songwriter-Manier beendet Poisel das Album mit "Schweigen Ist Silber" gefühlvoll zu zartem Gitarrenspiel.
Mit Diskurspop hat Philipp Poisel nichts am Hut. Vielmehr spricht "Wo Fängt Der Himmel An?" den Hörer mit klaren Bildern an, deren Allgemeinplätze direkt ins Herz zielen. Der Hang zur einnehmenden Melodik und die angenehme Instrumentierung erledigen den Rest. Ein schönes Debüt eines authentischen Troubadours, der sich dem Pop verschreibt, ohne seine Seele zu verkaufen.