Stilzer Phoenix. Ein Wein der aus der Asche kommt
Stilfs. Ein Dorf in extremer Schräglage. Häuser, bei denen ein Sprung aus dem Kellerfenster bereits lebensgefährlich sein kann. Und ein Ort, der drauf und dran ist, eine vergangene Katastrophe in einen Vorteil um zu münzen.
Der Blick von der Terrasse des Hotels Sonne in Stilfs. Noch schöner - und es würde weh tun...
Die Katastrophe
Es war bei Tagesanbruch zum 21. November 1862. Eine angeblich psychisch labile Frau verursachte - so die offizielle Darstellung - absichtlich oder unabsichtlich einen Brand. Ihre Hilferufe wurden von den Nachbarn gehört, die bereits bei ihrem Vieh in den Ställen waren. Ein Großalarm durch das Läuten der Kirchenglocken misslang: der Turm brannte bereits lichterloh. Eine andere Darstellung vermutet ein Verbrechen hinter dem Tod der Frau, die dann in ihre Haus verbrannt war. Egal. Insgesamt 56 der 70 Häuser des Ortes, in denen 120 Familien lebten, brannten völlig aus, 600 von insgesamt 700 Einwohnern hatten alles verloren und standen kurz vor dem Wintereinbrauch völlig mittellos vor den Trümmern ihrer Existenz.
Der Weinberg von Stilfs
157 Jahre später. Ein junger Mann, Möbeltischler von Beruf, Hobbyimker und leidenschaftlicher Stilzer (so nennen sich die Bewohner_innen von Stilfs selbst) macht sich an einem ultrasteilen Hang unterhalb des Dorfes zu schaffen. Er pflanzt insgesamt 600 Weinreben der Sorten ‚Solaris‘ und ‚Muscaris‘. Ein Weinberg auf 1.350 m Seehöhe? Geht das gut?
Andreas Pinggera, Möbeltischler, Imker und Winzer
„Leidenschaft für Grund und Boden“ heißt eine Gruppe junger Menschen in Stilfs, der auch Andreas Pinggera angehört. Er hatte die Idee, auf einem sehr schwer zu bewirtschaftenden Steilhang Reben zu pflanzen. Im Endausbau werden es 1.000 Rebstöcke sein. Ohne Leidenschaft geht da gar nix.
Wie einst Phoenix aus der Asche
Aber was hat das mit dem verheerenden Dorfbrand von anno 1862 zu tun? Wer beim Besuch des Weingartens von Andreas PInggera genau schaut, kann einen enormen Unterschied des Bewuchses feststellen. Im oberen Teil sprießt das Gras dass es eine Freude ist. Während im unteren Bereich alles seinen ‚normalen Gang‘ geht.
Der Weinberg-Steilhang von Stilfs
Das Wachstum hat seinen Grund im Dorfbrand: denn die Asche der Holzhäuser wurde gemeinsam mit den verkohlten Resten der Balken genau hier den Hang hinunter geschüttet. „Bis zu 90 cm dick ist die Schicht“, erzählt mir Andreas. Und: er müsse hier zwischen den Rebstöcken Tomaten und Kürbisse anpflanzen, um die Fruchtbarkeit etwas zu mindern. Weshalb? „Weil die Wurzeln der Rebstöcke tief in den Untergrund entwickelt werden sollen“, sagt er. Und wenn nicht Kürbisse und andere Pflanzen die überschüssige Fruchtbarkeit ‚absaugen‘ würden sich die Wurzeln der Reben nur an der Oberfläche verbreiten.
Erste Kostproben hat Andreas im Herbst 2019 bereits geerntet.
Die Farbe und Länge des Grases lässt auf den fruchtbarsten aller Böden schließen.
Wieviel Wein da im Endausbau anfallen? „Etwa 250 bis 300 Liter in einem normalen Jahr“, sagt Andreas. Also nicht genug für alle Stilzer.
Weitere Informationen über den Weinberg könnt ihr meinem Blog tirolischtoll "Der Weinbauer von Stilfs" entnehmen.
Stilfs mit seinem grandiosen Ausblick auf den Ortler.