Taraf de Haidouks sind keine Band im herkömmlichen Sinn, sondern ein Zusammenschluss von sechzig BerufsmusikerInnen aus einem einzigen Dorf irgendwo in der Walachai. Diese sprichwörtliche Einöde gibt es tatsächlich in einem entlegenen Winkel Rumäniens, sie verfügt über eine ungeteerte Hauptstrasse, ein paar armselige Hütten und eine einzige Kneipe. Jeder zehnte Dorfbewohner ist ein Roma.
Nur dort konnte der alte Brauch überleben, dass sich zu Familienfeiern üblicherweise vier oder fünf Musikanten zusammentun, um den musikalischen Rahmen für das Fest zu gestalten. Vorzugsweise sind das Geburten, Hochzeiten, runde Geburtstage und der Tod, wobei auch bei letzterem das Geld des/der Ausrichtenden darüber entscheidet, wie viele Musiker auftreten, und vor allem, wie lange.
Erst 1989 wurde dieser Brauch von einem belgischen Touristen (+Musikkenner) auf einer Osteuropa-Reise wieder entdeckt. Bis dahin waren die "lautari", so nennen sich die Musiker zuhause, nie außerhalb ihres dörflichen Idylls aufgetreten. Sie hatten noch nicht mal einen Namen, doch der war schnell gefunden: Die Haidouken waren das rumänische Pendant zu Robin Hood und seinen Freiheitskämpfern, Räuber, die die Großgrundbesitzer ausplünderten, um die Beute in der armen Walachai zu verteilen. 'Taraf' bedeutet nichts anderes als Orchester.
Dieses Orchester hat in den letzten 10 Jahren den Sprung von der ländlichen Einöde in die größten Konzertsäle der Welt geschafft. Zur Präsentation seiner aktuellen Frühjahrs-/Sommer-Kollektion lud sie der japanische Stardesigner Yamamoto nach Paris ein, und für Sally Potier ("Orlando"), schreiben sie gerade die Musik für ihren neuen Film ? mit dabei: Johnny Depp und John Torturro.
Erobert haben sie die Herzen der Menschen mit Balladen und Liebesgeschichten und ihren in jeder Hinsicht verwegenen Hochzeitstänzen. Man wähnt sich förmlich in einem Hochgeschwindigkeitsrausch, wenn die Taraf de Haidouks ihre Instrumentals abfeuern.
Trotz des Erfolges aber sind sie so geblieben, wie man sich Dorfmusikanten vorstellt. Die Taraf de Haidouks können heute von ihren Konzerten und Plattenverkäufen leben, aber nicht allzu üppig, denn jeder Einzelne muss einen großen Familienverband davon ernähren. An gutem Nachwuchs herrscht kein Mangel, und die Reisen ins Ausland eröffneten den Musiker sogar noch neue Sichtweisen, z.B. die Tatsache, dass dort auch Frauen Musik machen. Für eine starkpatriarchalisch geprägte Gesellschaft eigentlich unvorstellbar, doch inzwischen sieht man auch unter den Taraf de Haidouks ein Mädchen am Akkordeon, an der Geige oder dem Klavier.
Die rumänische Zigeunerband Taraf de Haidouks
Seit einigen Jahren gelten die rumänischen Taraf de Haidouks als die Sensation in der Weltmusik-Szene. Dieser Tage erscheint das dritte Album der Roma-Band aus dem Dorf Clejani. LEESON besuchte die Gruppe bei einem Konzert in Brüssel, der homebase ihres Labels Crammed Disc.
von Thomas Bohnet
Clejani. Ein kleines 3000-Seelen-Dorf im rumänischen Südosten, in der Walachei gelegen. Hier, rund vierzig Kilometer südlich der Hauptstadt Bukarest, in der Nähe der bulgarischen Grenze, sagen sich Hase und Fuchs gute Nacht. Eine ungeteerte Hauptstraße, armselige Hütten und eine Kneipe. Aus Clejani kommt aber auch eine der bemerkenswertesten Weltmusik-Gruppen, die Taraf de Haidouks. Seit das heute dreizehnköpfige Ensemble 1991 erstmals in Westeuropa aufgetreten ist, gelten die rumänischen Roma als die Sensation der internationalen Weltmusik-Szene. Ob beim Womad-Festival in Barcelona oder Yokohama, beim Rockfestival im englischen Reading, bei Konzerten in Berlin oder jüngst erst in New York – die Rumänen rissen noch jedes Publikum zu Begeisterungsstürmen hin und provozierten jedesmal überschäumende Kritiken. Dieser Tage erscheint beim belgischen Label "Crammed Disc" das dritte Album der Rumänen mit dem Titel "Dumbala Dumba".
Entdeckt wurden die Musiker schon 1989, kurz bevor der rumänische Diktator Ceausescu gestürzt worden ist. Der belgische Musikfan Stéphane Karo reiste damals durch Osteuropa und stieß in Clejani auf die Zigeuner-Musiker. Bis dahin waren die "lautari", wie sich die tradtionellen Berufsmusiker nennen, nie außerhalb ihrer Region live aufgetreten. Karo war so begeistert von den Musikern und ihrer ganz speziellen Musik, daß er zusammen mit seinem Freund Michel Winter, einem in Brüssel lebenden Franzosen, ein Jahr später erneut nach Clejani kam. Schnell reifte der Plan, etwas mit den Virtuosen aus dem rumänischen Niemandsland zu machen. "Stéphane kam damals aus diesem Dorf zurück und war komplett begeistert", erinnert sich Michel Winter. "Er habe dort einige wundervolle Menschen getroffen, die total verrückt seien und tolle Musik machen: Wir müßten unbedingt etwas mit denen machen". Damals war freilich noch Ceausescu an der Macht und also erstmal nicht so viel möglich. Erst als die Revolution erfolgreich war, fuhren Karo und Winter wieder nach Clejani. "Wir haben dort noch viel mehr herausgefunden", erzählt Michel Winter, "so viele Musiker in diesem kleinen Dorf und noch verrückter, als Stéphane das geschildert hatte." Rund sechzig aktive Berufsmusiker leben in Clejani, wo rund ein Zehntel der Dorfbewohner Roma sind. Üblicherweise bilden vier oder fünf Musiker, in wechselnden Koalitionen, eine Gruppe für eine Hochzeit oder eine andere Feier. Je nachdem, wieviel Geld jemand hat und für sein Fest ausgeben kann oder will, werden die Bands zusammengestellt. Winter und Karo blieben drei Monate in Clejani, lernten die Musiker kennen, entdeckten die verschiedenen Stile und Vorlieben. Die beiden Musikfans stellten eine größere Band zusammen, mit denen die ersten Konzerte in Belgien organisiert wurden.
Da die Musiker in ihrer Heimat keinen Namen hatten, musste erst noch einer gefunden werden. Wobei man schnell auf Taraf de Haidouks kam. "Taraf" bedeutet einfach "Orchester" während Haidouk auf die gleichnamigen Freiheitskämpfer des 18. Jahrhundert anspielt. Räuber, die damals in bester Robin-Hood-Manier die reichen Großgrundbesitzer ausplünderten und die Beute unter den Armen aufteilten. Da viele Stücke der Musiker aus Clejani von diesen Haidouken handeln oder darauf zurückgehen, bot sich der Name an.
Nach ersten begeisterten Auftritten in Belgien nahm man für das renommierte belgische Label Crammed Disc 1991 ein erstes Album auf: "Musques de tsiganes de Roumanie". Crammed, das älteren LEESON-LeserInnen vielleicht noch durch ihre 80er-Jahre-Veröffentlichungen bekannt ist (die grandiosen Tuxedomoon veröffentlichten dort einst), hatte gerade mit Cramworld ein Sub-Label ge-gründet, wo die afrikanische Frauenband Zap Mama gerade eine Platte herausgegeben hatte. Nach dem schönen Debüt der Tarafs folgte 1994 das zweite Album "Honourable Brigands, Magic Horses And Evil Eye", ein echtes Meisterwerk, ein Album, das hierzulande zurecht, von den Kritiker zur besten Weltmusik-Platte des Jahres gewählt worden ist.
Szenenwechsel nach Brüssel. Am Stammsitz ihrer Plattenfirma spielen Taraf de Haidouk heute abend für einige hundert junge Menschen im sehr schön restaurierten städtischen Kulturzentrum "Ancienne Belgique". Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50jähigen Bestehen des AFS, einer Organisation, die sich um den internationalen Jugend-austausch kümmert, tritt dort das, wie es in flämisch auf dem Info steht, "unicum uit de Roemeense zigeunermusziekcultuur" auf.
Mit "Sabarelu", dem schönsten Lied des neuen Albums "Dumbala Dumba" steigen die Taraf de Haidouks ins Konzert ein. Der kleine glatzköpfige Sänger Mitica Ca-curica, der mit seinem schelmischen Gesicht ein bißchen wie der französische Komiker Louis de Funès aussieht, steht stocksteif auf der Bühne und singt mit überraschend hoher Stimme herzzereißend ins Mikro. Ein Akkordeon, zwei Geigen und ein Kontrabaß liefern die Musik dieser traurig anmutenden Weise. Der schmale Ilie Iorga und der beleibte Costica, zwei andere ältere Herren, wechseln sich mit Cacurica am Mikro ab. "Sabarelu ist eine alte Liebesgeschichte mit phantastischen Elementen", erklärt Michel Winter beim Interview vor dem Konzert im Ancienne Belgique: Ein Liebender wartet auf seine Liebste an einem Fluß, der – keiner weiß warum – zu jeder Jahreszeit extrem warm ist. Balladen und alte Liebesgeschichten sind die Domäne der älteren Bandmitglieder, wie eben Ilie Iorga, Cacurica oder des Geigers Ion Manole. Ion Manole ist mit 77 Jahren der Senior der Gruppe. Der alte Herr mit Hut und Brille spielt trotz fortgeschrittenen Alters und, wie Michel Winter erzählt, fortschreitender Alterstaubheit eine ausgesprochen wilde Violine. Neben traurigen Balladen und dramatischen Liebesgeschichten sind es vor allem auch die verwegen klingenden Hochzeitstänze, die Instrumentals im Hochgeschwindigkeits-Rausch, die beeindrucken. In atemberaubendem Tempo fegen Violinen und Akkordeon durch das Stück "Tot taraful" und bei "Terno chelipé" über-holen sich Geige und die kleine Flöte gegenseitig. Bei "Ru-stem", einem anderen Song, gesellen sich kleines und großes Cymbal zum Instrumentarium dazu. Das Cymbal ist wichtiger Bestandteil der Musik, eine Art Hackbrett, ein trapezförmiges Holzgestell, auf das Metallsaiten gespannt sind, die mit Klöppeln angeschlagen werden. Während man das kleine Cymbal um den Hals vor dem Bauch hängen hat, steht das große, wie ein Vibraphon auf vier Beinen.
Beim Konzert wechseln sich Lieder und Instrumentals ab. In verschiedenen Gruppen, mal zu viert, mal zu fünft, kommen die Musiker auf die Bühne. Erst zum grossen Finale steht das ganze Dutzend gemeinsam auf der Bühne und bringt ein grandioses Schlußstück. Hier stechen auch die jüngeren Gruppenmitglieder heraus: Der dunkelhäutige Geiger Caliu, etwa, ein Meister des flinken Bogenstrichs oder der Flötenspieler Falcaru, der mit seiner Siebziger-Jahre-Frisur ein wenig aussieht wie der ehemalige Gladbacher Fußballer Hacki Wimmer oder ein anderer Fußballstar von damals.
Die Musik der Taraf de Haidouks ist ein buntes Gemisch verschiedener Traditionen. Hier trifft der Folk des Balkan auf Orientalisches, bulgarische Themen treffen auf türkische Melodien, rumänische Folklore, ungarische, ju-goslawische und griechische verschmelzen zum neuen Ganzen. Da die "lautari" Berufsmusiker sind, arbeiten sie auch mit dem traditionellen Material, improvisieren viel und überarbeiten anderes neu. So kommt es teils zu abenteuerlich anmutenden Arrangements. "Vom Westen ha-ben sie sicherlich die Art der Präsentation übernommen," sagt Winter, "die Solo-Spielweisen zum Beispiel." Aber auch, daß im Westen statt dreitägiger Hochzeitsfeiern im Konzert halt nur zwei Stunden gespielt wird.
In Brüssel freilich wird die Konzertroutine durchbrochen. Denn nach dem offiziellen Teil im Ancienne Belgique schnappen die Rumänen ihre Instrumente und man zieht, angeführt vom belgischen Impressario Dirk Seghers in die Kneipe der Schouwburg um. Dort in der Brüsseler Szenekneipe spielen die Tarafs bis weit nach Mitternacht noch einmal das ganze Programm durch: Unplugged, sozusagen und ohne Mikros. Sehr zur Freude des jungen Publikums, das weniger steif ist als die Austauschstudenten im Konzertsaal.
Für das neue Album haben sich die Männer aus Clejani, so erzählt Michel Winter, erstmals "Musafirii", musikalische Gäste, eingeladen. So singt bei zwei Stücken erstmals eine Frau, die aus dem Nachbardorf kommende Sängerin Viorica, die leider nicht bei der Tournee mit dabei sein kann. Bei anderen Stükken sind "Lautari" aus dem Dorf Mirsa mit von der Partie. Dort pflegt man eine ganz besondere Art der Gesangsimprovisation, indem die Sänger in einer Art Frage-und- Antwort-Gesang aufeinander eingehen. Schließlich ist noch der Musiker Napoleon mit einigen Freunden mit von der Partie. Napoleon ist Angehöriger der Ursari, einer armen, stark marginalisierten Zigeunergruppe. Die Ursari waren früher die Bärenbändiger, die mit Tanzbären durch die Gegend gezogen sind. Die Ursari pflegen eine sehr minimalistische Musik. Gesang und einfache Rhythmik sind deren Markenzeichen, wobei man behelfmäßig mit alltäglichen Gegenständen musiziert, mit Löffeln klappert, auf Töpfe und Plastikkanister klopft oder in die Hände klatscht. Zwei Beispiele dieser rudimentären Art Musik zu machen, sind auf der neuen Platte zu hören.
Rumänien ist ein sehr armes Land. Seitdem die Taraf de Haidouks in die Welt gezogen sind, können die Musiker und ihre Familien von den Einnahmen aus Konzerten und Plattenverkäufen leben, wobei einzelne Bandmitglieder einen großen Familienverband ernähren müssen. In Clejani selber macht man sich derzeit, so Michael Winter, auch daran, den Nachwuchs musikalisch auszubilden. So lernen die Kinder, Instrumente zu spielen. Auch die Mädchen, was bislang in der stark patriarchalisch geprägten Gesellschaft nicht selbsverständlich war. Da spiele jetzt eine das Cymbal, die andere lerne Akkordeon und auch die Tochter des Akkordeonisten Ionitsa übe sich an der Geige und auf dem Piano. "Daß sich hier einiges verändert hat, liegt auch daran, daß die Musiker auf Tournee sind", erklärt Michel Winter. "Auf Tour sehen sie eben, daß es auf der ganzen Welt auch Musikerinnen gibt." – "Daß das also geht", fügt er lächelnd hinzu.
Winter und Karo haben vor drei Jahren bereits eine Tournee für eine Kindergruppe der Tarafs organisiert, im Jahre 2000 soll ein großes Projekt mit Nachwuchsmusikern in Paris folgen. Zuerst aber ist im nächsten Jahr eine umfangreiche Tour durch die USA angesagt. Nach Deutschland kommen Taraf de Haidouk übrigens dieses Jahr im November.
Diskographie:
„Musiques de Tsiganes de Roumanie" (1991)
„Honourable brigands, magic horses and evil eye" (1994)
„Dumbala Dumba" (1998)