POSTING JOE. Celebrating WEATHER REPORT: Auf freiem Kurs, neugierig und wagemutig.
Auf freiem Kurs, neugierig und wagemutig. Und ihren Kompass haben sie dabei konsequent auf die Grenzgebiete zwischen Klassik, Jazz, Rock und Pop ausgerichtet. Hier schaffen sie einzigartige Sounds mit polyrhythmischer Spannkraft und reizvollen Richtungswechseln.
* „Zawinul Report“ ist eine Huldigung an den wohl einflussreichsten europäischen Jazzmusiker. Zugleich ist das Programm für die Wiener Streicher ein weiterer Schritt, den Geist der Fusion Music in die heutige Zeit zu übersetzen. „In A Silent Way“, die unsterbliche Ballade, die Zawinul für Miles Davis schrieb, gehört bereits seit langen zum festen Live-Repertoire der Gruppe. Hinzu kommen nun vor allem Stücke aus der Ära von „Weather Report“, der stilprägenden Supergroup des Jazz-Rock („Birdland“, „Black Market“).
Dazu erste Kostproben des neuen Albums „Radiodream“. Der bittersüße Gesang einer Billy Holiday oder eine Rock-Ballade von Radiohead dienen hier u.a. als Material für eine imaginäre Reise durch die Nacht, bei der sich die Quartett-Mitglieder auch als Komponisten stärker denn je einbringen.
Tschigan, spiel uns den Wiener Weather Report!
von Michael Wüst
Herrlich explosive Exkursionen: "radio.string.quartet.viena". Foto: Peter Rigaud
Manche Streichquartette sind richtig eruptiv. Harmonien verschieben sich wie Gesteinsplatten und unter Kreischen und sonorem Dröhnen steigt der Druck. Magma-Kammer-Musik – dann Ausbruch. Dann beruhigt sich wieder alles, wie im Flug einer rückwärts laufenden Explosion in den Ursprung zurück – man entspannt an einem seidigen Wasserspiegel-Akkord. Das ist Streichquartett-Dynamik. Wenn so ein Quartett dann auch noch aus Wien kommt und sich dazu noch den Ober(schla)wiener Jo Zawinul zum Thema gemacht hat, bleibt einem erst mal nur ein anerkennendes „Bist du deppert“. „Posting Joe“, die mittlerweile fünfte CD von "radio.string.quartet.viena", bestätigte diese erste intuitive Erkenntnis. Es war nämlich großartig.
Nach herrlich explosiven Exkursionen im Nachthimmel durch Bildwelten von Chagall und Dali, vorbei an fiedelnden Tschigans und Akkordeonisten mit Zawinul-Woll-Kippa fanden wir uns immer wieder fein zurück in gleicher Sitzordnung auf den Stühlen vor der Unterfahrt-Bühne. Nur die Tafel mit den Waldpilzen in Riesling-Cognac-Sahne war gelegentlich ein bisschen verrutscht.
Gibt es ein Schöpfungskonzert? Wenn nicht, dann spielten Bernie Mallinger und Igmar Jenner (Violinen), Cynthia Liao (Bratsche) und Asja Valcic (Cello) ein solches. Sie ließen Klänge von archaischer Urkraft und Geschmeidigkeit zusammenfließen. Größte Nervosität fiel in Abgründe des schwärzesten Wohlgefühls. Überhaupt Klänge, an denen die Elastizität eines Ursprungs haftete. -Musik, mit so vielen großartigen Momenten, dass man nicht mehr fragen wollte, warum oder wie, was oder woher? Immer wieder blieb einem nur ein innerlich anerkennendes „Bist du deppert“, gefolgt vom Anheben eines Glases vor sich.
Es ist schon absolut gewagt, die Fusion-Legende Weather Report mit seinen Titanen Wayne Shorter, Jaco Pastorius und eben Jo Zawinul in ein Streichquartett umformen zu wollen! Zawinul, der Störenfried, Bastler, Rebell, Boxfan, Akkordeonist und Baumeister der irrsten Synthie-Burgen, Albtraum aller Tontechniker der Welt, ist nicht kompatibel. Er geht einfach nicht auf.
In der Musik des Quartetts begegnet er uns dafür in anderer Gestalt. Ein Sanfter, Träumender scheint aus den Tiefen seiner Herkunft aufzutauchen in den ruhigeren Stücken wie „Dream Clock“, „Peace“ oder beim Intro von „Cannonball“. Klassisch harmonische und phönizische (arabische) Mollskalen werden plötzlich an den Saiteninstrumenten deutlicher. Immer wieder vermeint man in solchen Zitaten diesen Ruf zu hören: Spiel Tschigan, flieg von der Puszta über Panonien hinein in die Kaffeehäuser eines Karl Kraus oder Joseph Roth und spiel für uns. Ein Wiener Weather Report.
Mindestens genauso stark aber bleibt in Erinnerung der gewaltige Groove des Quartetts. Beide Geiger holen aus den, durch weit aufgezogene Mikrophone regelrecht scharf gemachten Instrumenten, Unglaubliches an Perkussionspower heraus. Die Bögen klopfen, streichen tonlos wie auf einem feinen Waschbrett, reißen, hüpfen, meckern. Flageolets spielt Bernie Mallinger flüssig und leicht durch die ganze Skala als wäre es nichts. „Volcano For Hire“ beginnt mit einem mörderischen Shuffle, von Cynthia Liao noch angetrieben, die Magma-Kammer kocht schnell hoch. Da fällt das Cello mit Asja Valcic ein mit einem unglaublich krätzig geilen Uptempo-Riff, extrem fetzig und doch sonor. Nicht spielbar. Wahnsinn. Es ist mal wieder soweit. Man winkt wieder innerlich ab und der Bedienung zu. „Bist du deppert“. Nein, nicht sie, bitte noch ein Vierterl! Zum Nachträumen!
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Die Musik-Metropole Wien dürfte weltweit die höchste Dichte an klassischen Streichquartetten aufweisen. Das im Jahr 2004 gegründete radio.string.quartet.vienna hat sich auf diesem Markt nicht eingereiht. Denn dieses Ensemble hat von Anfang an ganz andere Musik gemacht.
Die vier Mitglieder Bernie Mallinger (Violine), Igmar Jenner (Violine), Asja Valcic (Violoncello) Cynthia Liao (Viola) eint der Anspruch, das Klangspektrum des Streichquartetts zu erweitern. Alles ist möglich auf den 16 Saiten. Ob jazzrockiger Groove oder popverliebte Gesänge, Neue Musik oder europäische Folk-Tradition: Das „r.s.q.v.“ hat bislang schon etliche Grenzgänge absolviert – und sie bislang auf sechs, stilistisch höchst unterschiedlichen Alben festgehalten. Und international gesehen gebührt den Wienern im Non-Classical-String-Quartet-Genre ein herausragender Platz neben den US-Pionieren vom Kronos Quartet und dem Turtle Island Quartet.
Zwar hat die Klang-Expedition im Laufe der Jahre einige Umbesetzungen mit sich gebracht, doch stehen die Gründungsmitglieder Asja Valcic und Bernie Mallinger zugleich für eine große Kontinuität in diesem kreativen Prozess. Die Zusammenarbeit der beiden Musiker geht zurück auf ihre Teilnahme an dem CD-Projekt „Movimiento“ (2000) des Akkordeonisten Klaus Paier. Dieser hatte seine vom Tango, Jazz und der Klassik geprägte Musik um Streicher-Klänge erweitern wollen. Ein eklektischer Ansatz, der über das erfolgreiche „Movimiento“-Album (nominiert für den österreichischen Musikpreis AMADEUS) hinaus bis heute eine entscheidende Inspirationsquelle geblieben ist. Im Jahr 2004 erscheint das Debüt-Album „radio string quartet“, bei dem Klaus Paier als Komponist wie Hauptsolist eine tragende Rolle einnimmt.
Bernie Mallinger, geboren 1969 in Wolfsberg/Kärnten, studierte Violine an der Kunst-Universität Graz und arbeitet seit 1997 als freischaffender Musiker, der sich früh für genreübergreifende Sounds interessiert hat. Er hat bei zahlreichen Projekten in den Bereichen Jazz, Folk, Rock, Pop und Neue Musik mitgewirkt.
Asja Valcic, Jahrgang 1967, gebürtige Kroatin, studierte Violoncello in Zagreb, Moskau und Detmold. Nach internationalen Engagements in Kammermusik-Ensembles und Orchestern hat sich die Cellistin zunehmend mit Jazz-Improvisation beschäftigt und neue Ausdrucksformen für ihr Instrument gesucht. Mit Klaus Paier (Akkordeon/Bandoneon) unterhält sie zudem ein festes Duo.
Entscheidend für die Weiterentwicklung des Quartetts ist die Auseinandersetzung mit der Musik des Mahavishnu Orchestras, gegründet vom Gitarristen John McLaughlin als eine der stilprägenden Gruppen des Jazzrocks der 70er Jahre. Das nun mit Johannes Dickbauer (Violine) und Cynthia Liao (Violoncello) komplettierte „r.s.q.v.“ überträgt die rhythmische und harmonische Vielfalt von „Mahavishnu“ in einen ganz eigenen Sound. Der charakteristisch auch für die Folgeprojekte wird: Ein Streich-Quartett, das groovt – und in dem die schwingenden Saiten gleichzeitig als Percussion- und Schlaginstrumente eingesetzt werden. Die Live-Präsentation ist einer der umjubelten Höhepunkte beim Berliner Jazzfest 2006. Mit der Einspielung „Celebrating the Mahavishnu Orchestra“ (2007) wird das Ensemble vom namhaften Jazz-Label ACT unter Vertrag genommen. Ein Mitschnitt vom Duisburger Traumzeit Festival (2008), bei dem auch Mentor John McLaughlin auftritt, erscheint auf DVD.
Cynthia Liao, geboren 1973 in Taipei/Taiwan, studierte Viola an der Universität für Musik und darstellende Künste in Wien. Sie war Solo-Bratschistin u.a. vom Orchestra Sinfonica di Milano, Giusseppe Verdi“, heute spielt sie neben dem „r.s.q.v.“ sowohl klassische Kammermusik wie zeitgenössische Musik.
Mit drei unterschiedlichen CD-Projekten setzt das Quartett (das inzwischen „vienna“ zum Namen hinzugefügt hat) seine entdeckungsfreudige Reise fort: Auf eine Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Ulf Wakenius („Love Is Real“, 2008), folgt ein erneutes Projekt mit dem Akkordeonisten Klaus Paier („Radiotree“, 2008) und ein Jazz-Pop-Album mit der Sängerin Rigmor Gustafsson („Calling You“, 2010). Auf ausgedehnten Touren durch Europa und die USA wird das „r.s.q.v.“ für seine dynamische, mitreißende Performance gefeiert – darunter auch Auftritte bei renommierten Jazz-Festivals u.a. in Vancouver und Paris.
Im Rahmen des Jazzfests Wien kommt es im Juni 2011 zu der Uraufführung des Programmes „Zawinul Report“ – eine Huldigung an den 2007 verstorbenen, gebürtigen Wiener Joe Zawinul, der als Komponist und Mastermind der Band Weather Report zu den Giganten des Jazz zählt. Das Quartett hat Klassiker wie „In A Silent Way“ oder „Black Market“ neu arrangiert – und wird diese anlässlich des 80. Geburtstages von Joe Zawinul im Jahr 2012 auch bei ausgesuchten Konzerten präsentieren.
Das aktuelle Album „Radiodream“ (2011) markiert einen neuen Abschnitt in der Band-Geschichte: Die darauf enthaltenen musikalischen Traumdeutungen und Ton-Collagen verwenden Musik von Franz Liszt bis Billie Holiday. Gleichzeitig ist es das bislang eigenständigste Werk des Quartetts mit einem hohen Anteil an Eigenkompositionen. Für den ausgeschiedenen Johannes Dickbauer ist erstmals Igmar Jenner an der Violine zu hören.
Igmar Jenner, geboren 1980 in Berlin, studierte Kammermusik an der Kunst-Universität Graz. Der Österreicher arbeitet als freier Komponist und Arrangeur im Klassik-Genre, hat aber zugleich sein stilistisches Spektrum kontinuierlich erweitert. Mit dem Duo Igmar Jenner & Borut Mori (Geige/Akkordeon) gewann er den „Austrian World Music Award 2010“. Außerdem leitet er das Ensemble String Syndicate.
Im radio.string.quartet.vienna finden alle vier Musiker die Freiheit, ihre musikalischen Ideen wie ihre kulturelle Identität einzubringen. Die Arrangements entstehen in Teamarbeit, alle Ensemble-Mitglieder steuern Eigenkompositionen bei. In diesem Sinne verstehen sich die Süd-Österreicher Mallinger und Jenner, die Kroatin Valcic und die Taiwanesin Liao als Protagonisten einer neuen Wiener Streicherschule: Wien mit seiner reichen Musiktradition, aber auch mit seiner neuen multikulturellen Offenheit.
RADIO.STRING.QUARTET.VIENNA
Bernie Mallinger
(seit 1997 freischaffend in der österreichischen Musik-Szene, als umtriebiger Band-Leader, Komponist, Arrangeur, gefragter Sideman und Dozent bekannt): „Schon wöhrend meines Studiums war ich ein Fan des Mahavishnu Orchestras und als Geiger natürlich extrem davon fasziniert, wie John McLaughlin dieses Instrument einfach in eine normale Jazz-Rock-Besetzung stellte. Er eröffnete in vielerlei Hinsicht neue musikalische Horizonte, indem er wie kaum jemand vor und nach ihm unterschiedlichste Stile und Klönge zusammenfügte. Aus meiner Sicht eignet sich diese Musik von ihrer melodischen, harmonischen und rhythmischen Vielfalt hervorragend für Streichquartett. Ich habe aber bei meinen Arrangements der Stücke nie versucht, den Sound der originalen Fusionband zu imitieren, sondern die Kompositionen durchleuchtet und sie in ein neues klangliches Bild gerückt.“
Asja Valcic
(diplomierte in Zagreb schon mit 18 Jahren als klassische Cellistin, war seitdem als gefragte Solistin in vielen internationalen Orchesterprojekten unterwegs): „Ich genieße in dieser Musik viel mehr Freiheiten, als das in der Klassik der Fall ist. Alles was dort als unerwünschtes Geröusch, Kratzen, Pfeifen oder sogar Quietschen gilt, wird hier zum musikalischen Ereignis. Das haben wir vier auf dem neuen Album ganz bewusst eingesetzt und so hört man oft nicht einmal mehr die einzelnen Streichinstrumente, sondern es entstehen, ganz ohne elektronische Effekte, völlig neue Klönge.“
Johannes Dickbauer
(nach klassischem Geigen-Studium in Salzburg und Wien, perfektioniert er sich derzeit am Curtis Institute of Music in Philadelphia) Was den Hang zum Jazz betrifft, ist er gewissermaßen familiör „vorbelastet“: „Sicher hat mein Onkel Klaus (Vienna Art Orchestra, Saxofour) als Vorbild eine große Rolle gespielt, als ich, zuerst eher hobbymäßig zu improvisieren begann. Ich finde es immer spannender, die verschiedenen Sounds und Klangfarben der Geige in den Jazz einzubringen.“ *celebrating the mahavishnu orchestra* ACT 9462-2 Veröffentlichung: 30.
Cynthia Liao
(„Wahlwienerin“ aus Taipei) Die temperamentvolle Bratschistin war Solistin in vielen internationalen Orchestern und Opernhöusern, bevor sie ihre große Liebe zum radio.string.quartet entdeckte. Mit Humor und Charme kommuniziert sie „zwischen den Registern“: „Diese Musik braucht live auf der Bühne eine unglaubliche Energie. Das lösst die Arbeit für uns alle immer wieder zu einem spannenden, grenzgöngerischen Erlebnis werden.“
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POSTING JOE.
CELEBRATING WEATHER REPORT.
radio.string.quartet.vienna
ACT
„Ich habe ihm einmal die Hand geschüttelt, eine nähere Bekanntschaft kann man das wohl nicht nennen“, antwortet Bernie Mallinger typisch wienerisch auf die Frage nach seiner persönlichen Bekanntschaft mit Joe Zawinul. Trotzdem war die Musik seines österreichischen Landsmannes für ihn wie auch die anderen Mitglieder des radio.string.quartet.vienna ( r.s.q.v ) allgegenwärtig. Wie könnte es auch anders sein, gehört Zawinul doch zu den prägendsten Gestalten des Jazz: als stilbildender Pianist der Hardbop-Ära bei „Cannonball“ Adderley; als Wegbereiter des Fusion-Jazz erst bei Miles Davis‘ bahnbrechenden Einspielungen „In A Silent Way“ und „Bitches Brew“, dann mit seiner eigenen, mit Wayne Shorter gegründeten Band „Weather Report“; und schließlich mit seinem „Syndicate“, als Brückenbauer eines der Weltmusik zugewandten Jazz.
Dass das r.s.q.v, das seit seiner Gründung 2003 die Definition des Genres Streichquartett genial erweitert hat, sich auf seinem fünften Album „Posting Joe“ nun (man möchte fast sagen: endlich) mit dem größten Wiener Jazz-Genius beschäftigt, hat eine ebenso lange Vorgeschichte wie die Band selbst. „Einen konkreten Plan gab es zwar nie“, berichtet Liao, „aber Zawinuls Musik war bei uns einfach immer da. Schon nachdem uns das Mahavishnu-Projekt international bekannt gemacht hatte, waren wir nahe daran, ein Zawinul-Programm vorzubereiten. Doch dann kam „Radiotree“ mit dem Akkordeonisten Klaus Paier zuvor. Immerhin sind auf diesem Album bereits zwei Zawinul-Stücke in r.s.q.v - Bearbeitung vertreten.“
Doch dem Ausbau dieses Ansatzes kam die Anfrage der unwiderstehlichen Rigmor Gustafsson zuvor, woraus „Calling You“ entstand. Und danach war der Drang, einmal etwas wirklich Eigenes zu machen, zunächst stärker: „Radiodream“, das bislang letzte, 2011 erschienene Album, auf dem erstmals Igmar Jenner Johannes Dickbauer an der Geige ersetzte, markierte mit seinen selbst komponierten musikalischen Traumdeutungen den bis dato letzten Mosaikstein im außergewöhnlichen Schaffen des radio.string.quartet.vienna.
Genau der richtige Zeitpunkt, um lange Verschobenes anzupacken. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der offizielle Zawinul- Biograph Brian Glasser und die ehemalige Zawinul-Managerin Theresia Zinke mit einer Konzerteinladung zu den Wiener „Zawinul Music Days“ das Vorhaben angeschoben hatten. Zugleich schlugen die vier zwei Fliegen mit einem Streich: Nicht nur Zawinul lag uns seit Ewigkeiten am Herzen, wir wollten auch schon lange ein Live-Album machen, weil unsere Konzerte im Vergleich zu den Studioaufnahmen doch ein Eigenleben entwickelt haben“, erzählt Valcic.
„Deshalb spielte man zuletzt bei allen „Radiodream“-Auftritten im zweiten Teil ein immer wieder variiertes Zawinul-Set. „Einige dieser Sets haben wir aufgenommen. Wir konnten also Stücke auswählen, mit denen wir wirklich zufrieden sind.“ Mitschnitte aus ganz Europa vereinen sich somit zu der Zawinul-Hommage. Aus dem legendären Musikverein Wien, dem finnischen Pori, aus Zagreb, Warschau, Zürich und Ravensburg sendet das r.s.q.v. auf „Posting Joe“ musikalische Liebeserklärungen an einen der größten Jazzmusiker aller Zeiten.
Wie respektvoll, sorgfältig und visionär Mallinger, Jenner, Liao und Valcic dabei vorgingen, zeigt bereits das kurze Intro „Troposphere“, die einzige im Studio entstandene Passage des Albums. Es ist zum einen eine Reflektion über das erste Weather Report Stück überhaupt, das kuriose „Milky Way“: „Wo entsteht das Wetter? In der Troposphäre“ beschreibt Mallinger den Gedankengang zu der entrückten Soundcollage. Zum anderen nimmt das Stück auch die späten weltmusikalischen Klänge Zawinuls auf. Der Zawinul-Klassiker „Birdland“ raubt einem mit seinem dramatischen Bogen vom klassischen Einstieg über den flirrenden Basisrhythmus bis zu den wilden Geigenattacken in höchster Lage den Atem. Die Interpretationen etwa von „Peace“ oder „Cannonball“ belegen erneut den bahnbrechenden Umgang des r.s.q.v mit den Gegensätzen von rhythmischer Spannung und klarer Melodik. Und dass ein klassisches Streichquartett in punkto Dynamik und Tempo einer Jazzband nicht nachstehen muss, zeigt wieder einmal das furiose Finale „Volcano For Hire“. Wie auch „Wireless Wings“, neben dem Opener „Trophosphere“ die einzige Eigenkomposition: Die bis dato namenlose Komposition von Asja Valcic erwies sich bei den Konzerten als so ideal zum Zawinul- Konzept passend, dass die Widmung „For Joe“ mit in den Titel kam.
Der Arbeitsprozess war diesmal anders als bei anderen r.s.q.v - Projekten zuvor: Es ging diesmal nicht um offensichtliche Virtuosität und strukturelle Opulenz, sondern um die Details und die minimalistisch im Hintergrund laufenden Grooves. Zawinuls formal sehr eigenwilligen Kompositionen mussten die vier mit ausgeklügelter, fast Bachscher Stimmführung begegnen, und mit dem Ausreizen aller Klangmöglichkeiten der Saiten. So ist es auch hier wieder die Umkehrung der Hörgewohnheiten, die das r.s.q.v so spannend und einzigartig macht: Galt für Zawinul das gerne kolportierte Bonmot: „Spiele elektrisch, aber klinge akustisch“, so ist es hier oft genau umgekehrt und wurde damit zum Leitmotiv der Band für „Posting Joe“: „We sing the body acoustic“!