Das musikalische Talent bekommt Ledisi Anibade Young in ihrer Geburtsstadt New Orleans in die Wiege gelegt. Ihre Mutter singt in einer R'n'B-Band. Mit acht Jahren steht Ledisi selbst das erste Mal auf einer Bühne, begleitet vom New Orleans Symphony Orchestra.
Ein Umzug ins kalifornische Oakland tut den Vorlieben keinen Abbruch. Ledisi tritt in die Fußstapfen der Frau Mama und sucht sich musikalische Mitstreiter. Doch Begabung allein genügt nicht: Dazu gesellt sich harte Arbeit.
An der University of California in Berkeley studiert Ledisi Operngesang und Klavier. Nebenbei singt sie in lokalen Bands, bei einer Kabarett-Truppe und gründet Mitte der 90er Jahre ihre eigene Formation Anibade.
Anibade spielen von Jazz und Hip Hop beeinflussten Soul. Kritiker ziehen Parallelen zu Chaka Khan und Rufus. Ein Demo unter dem Titel "Take Time" bringt Radioerfolg. Ein Plattenvertrag lässt sich intensiven Bemühungen zum Trotz nicht an Land ziehen.
Zusammen mit ihrer Bandkollegin, der Produzentin, Keyboarderin und Songwriterin Sundra Manning, gründet Ledisi LeSun Records. Hier erscheinen ihre ersten beiden Alben "Soulsinger. The Revival" und "Feeling Orange, Sometimes Blue". Letzteres kassiert 2002 den California Music Award in der Kategorie "Outstanding Jazz Album".
Trotz des Erfolgs in der Bay Area und darüber hinaus beschleichen Ledisi Zweifel. Ob das Musikgeschäft für sie das Richtige ist? Mehrere Jahre lang beschränkt sie sich auf Beiträge zu Werbespots und Soundtracks und auf die Schauspielerei.
Erst 2007 brechen sich ihre Gedanken und Gefühle in "Alright" Bahn: Die Single kündigt ihr drittes Album "Lost & Found" an. Das erscheint bei Verve und bedeutet für Ledisi den Durchbruch - garniert mit zwei Grammynominierungen.
Auf den Spuren ihrer großen Vorbilder Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan und Abbey Lincoln bewegt sich Ledisi fortan mit der Zielstrebigkeit, die bereits ihr Name verrät. Von Schreibblockaden und Zweifel, die sie immer wieder bremsen, lässt sie sich nicht aufhalten.
"Es ist wie eine Erlösung, wenn man seine Gefühle nach außen tragen kann", erklärt Ledisi im Interview mit der Jazzzeitung. "Für mich ist das eine Notwendigkeit, ein Ventil. Ich brauche das. Sonst ersticke ich."
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REVIEW
Stimmengewirr, eine gesprochene Ansage, dicke Bässe, staubige Drums: "Runnin'" gibt gleich beim Einstieg den Blick auf eine überaus mächtige Kulisse frei. Um so verblüffender, dass Ledisi sich in diesem Wust nicht verliert. Im Gegenteil: Ihr kraftstrotzender Gesang krallt sich die ungeteilte Aufmerksamkeit von Beginn an.
"Abbey erreicht ihr Publikum, indem sie mit dem ersten Ton voll da ist, mit der ersten Note, die sie singt", schwärmte Ledisi einst im Interview mit der Jazz-Zeitung von einem ihrer großen Idole, der Jazz-Sängerin Abbey Lincoln. "Nach dem Motto: Ich krieg' dich, auch wenn du mich jetzt noch nicht kennst."
Es scheint, als habe das Vorbild Schule gemacht: Nirgends lässt sich Ledisi von ihrer Umgebung unterkriegen, sei der Sound auch noch so satt. Homöopathische Dosen Jazz, dafür aber ordentlich Blues und Rock würzen ihre Soul-Stimme. Man meint, eine Tina Turner zu ihren allerbesten Zeiten vor Ohren geführt zu bekommen.
Artistik ohne Vokalknödelei. Stimmgewalt ohne Geschrei. Pop-Appeal und Radiotauglichkeit, ohne austauschbar zu klingen: Der Großteil der kontemporären R'n'B-Divenschaft versucht einem seit Jahren weiß zu machen, es gebe all dies nicht. Ledisi tritt den Gegenbeweis an. Ihr "Turn Me Loose": ein einziger "Es geht doch!"-Schlachtruf.
Musikalisch schlägt das Album in die selbe Kerbe: Soul bedeutet nicht automatisch das Aufspringen auf den fröhlich rollenden Sixties-Zug oder das Surfen auf der Retro-Welle. Funky quakende Wah-Wah-Gitarren und voller Bläser-Einsatz grooven hier völlig up to date.
Der Killer "Knockin'" setzt auf rockende Blues-Gitarren, Orgel und Cowbells. Statt Claps aus der Retorte wird hier noch in die Hände geklatscht. Der abwegige Gedanke an etwaigen AutoTune-Einsatz versteckt sich angesichts Ledisis Gesangsleistung ohnehin im tiefsten Keller.
Die Diktatur des Dancefloors interessiert keine Sau. Nummern wie "Love Never Changes", bei dem immer wieder schräge, unerwartete Noten wirksam vor eventuell aufkeimender Langeweile bewahren, locken stattdessen unwiderstehlich auf den guten alten Tanzboden.
"Turn Me Loose" wirkt auf voller Länge schlicht echt. Das gilt unabhängig davon, ob in "The Answer To Why" - ein bisschen unspannend zwar, aber hübsch anzuhören - von einer Akustikgitarre flankierter Singer/Songwriter-Charme ausgepackt oder - wie in "I Need Love" - an den Reglern eines Synthesizers gedreht wird.
Eine Vielzahl verschiedener Produzenten, darunter Raphael Saadiq und Blackalicious' Chief Xcel, haben die Finger im Spiel. Dennoch und trotz der abwechslungsreichen Ausgestaltung groovt "Turn Me Loose" wie aus einem Guss.
"I need love", das wussten von John Lee Hooker über LL Cool J bis hin zu Robin Thicke bereits Kollegen aller Jahrgänge. Ledisi berichtet ebenfalls über das Leben, die Liebe und den ganzen Rest, ohne sich abgeschmackter Klischees zu bedienen. Noch etwas, das diese Frau der breiten Masse ihrer Kolleginnen voraus hat.