cclibera. telfs. die erste. ‚fliegende hitzen’.
ja, es ist sommer. mit zuweilen sogar treibhaushitzen. die nächste rollt grad wieder an. da pausiert die weltstadt. zumindest im theaterbereich. dafür ist jetzt die renommierte kulturhochburg dran. nein, das soll fürwahr keine verunglimpfung sein. so was fiele mit verlaub weder der übertheaterschreibenden noch ihrem marketing-alter-ego ein. besagte renommierte kulturhochburg stellt sich einem seit ein paar wochen in transparentform am telfer obermarkt-kreisverkehr in der baumarktkurve in den weg. oder mehr noch ins auge. und ja, ich gestehe. beim ersten lesen dacht ich mir. ah. welche burg sie damit wohl meinen. aber selbst auf der homepage ‚telfslockt’ beharren sie auf der diktion. nun gut. das mit selbst- und fremdbild hat selten noch überein gestimmt. also lassen wir es dabei bewenden. die gemeinde hat - wie wir hören - immerhin ein geldschäuferl draufgelegt aufs budget für die 33. tiroler volksschauspiele. somit spielt sich die burg heuer erneut zwischen rathaus und kranewitter stadel ab. vor zwei jahren – wir erinnern uns – ließen sie uns bei brütender hitze im alten hallenbad über kleists käthchen räsonierend schwitzen. jetzt erzählen sie uns im vergleichsweise kühlen rathaussaal von zingerles ‚fliegenden hitzen’. die ihn – so heißt es - zum vergewaltigen und töten animierten, uns selbst aber nicht so recht in wallung zu bringen vermögen. was einem durchaus rätsel aufgeben mag.
denn hannes perkmann ist in der rolle des guido zingerle schlichtweg eine sensation. schon allein um ihn zu sehen, sollte man hingehen. und auch das restliche ensemble hat überzeugungskraft. daniel klausner ist ein hinreißend lasziver satanas, lorenz gutmann ein sichtlich um-triebiger, zwischen lust und entsagung hin- und hergerissener schein-heiliger; daniela bjelobradic und tamara burghart überzeugen ebenso als zingerle-opfer wie veronika eberl als seine mutter und ehefrau. klaus rohrmoser findet in seiner durchwegs kraftvollen inszenierung etliche beachtlich verstörende bilder, wie etwa jenes einer pietá, wo zingerle nuckelnd an der brust des antonius hängt. er zeigt den kriminalfall zingerle auch als paradigmatische manifestation jener abgründe und trümmerfelder, die der krieg – sowohl der historisch belegte wie der gesellschaftlich verdrängte – der von religiöser bigotterie motivierte sowie jener zwischen den geschlechtern – in die seelen-landschaften der menschen geschlagen hat. zingerle, das ledige und von der mutter weg gegebene kind, erscheint im stück somit als tickende zeitbombe. karl-heinz steck ließ hierfür folgerichtig eine weit über den bühnenrand hinausreichendes abriss-szenario erstehen, in das sich christine brandis nachkriegszeit-kostüme stimmig einfügen.
und gleichwohl dieser kriminalfall das land über jahre in helle aufregung, ja geradezu hysterie versetzte, und zingerle selbst zur symbolfigur für die schwarze pädagogik der nachkriegszeit wurde, der spruch „pass auf, sinscht holt di da zingerle“ sich irgendwie ins kollektive gedächtnis einnistete, lorenz gutmann und veronika eberl sich in ihrem text redlich um eine breite und gleichzeitig differenzierte lesart dieser geschichte bemühten (selbst die einbettung in den ehernen widerstreit zwischen himmel und hölle, sublimierung und triebabfuhr macht absolut sinn, und dass sich ausgerechnet teufel und antonius - übrigens der schutzpatron der sozialarbeiter – auf einen seelenkuhhandel einigen, entbehrt ebenfalls nicht einer gewissen ironie) – trotz alledem will der funke nicht so recht überspringen. möglicherweise weil der themenkomplex in der populärkultur ohnehin omnipräsent ist. wobei uns da tatsächlich weniger die criminal minds als vielmehr die wissenden minds ihrer fahnder und profiler interessieren. die criminal minds erscheinen eigentlich nur noch als die beweis führenden sujets für die geistige brillanz ihrer jäger. wir serien- und psychothriller-junkies der jetztzeit möchten nämlich lieber wissen, was unser prominenter tiroler profiler thomas müller oder ein genie wie spencer reid (eh schon wissen, das wandelnde lexikon aus criminal minds) über die menschlichen bestien und ihr deviantes verhalten zu sagen haben. die bestie soll lieber schweigen. das gibt uns vielleicht auch sicherheit. weil sie uns nahezu jedwede verstörung erklären. und die bestie hoffentlich irgendwann hinter gittern landen wird. wie vormals auch der zingerle. dort soll sie um himmels willen bleiben. was das alles vielleicht auch mit uns selbst zu tun haben könnte, das überzappen wir lieber. in diesem dauerhaft überhitzten konkurrenzumfeld haben ‚fliegenden hitzen’ wahrscheinlich wirklich einen schweren stand.