Letzte Leerung
Was bei Jenseitsgläubigen die letzte Ölung ist, ist bei Dorfgläubigen die letzte Leerung. Beides wird angewendet, wenn der betroffene Körper in einen anderen Zustand über geht.Für die Dorfgläubigen ist das Dorf so etwas wie das Paradies. Man braucht nur die Hand auszustrecken, und schon lassen sich im Supermarkt Bananen pflücken, oder man macht den Mund auf, und ein gebratenes Sonderangebot fliegt in Gestalt eines Burgers gleich vorverdaut in die Speiseröhre.
Obwohl man das Postamt schon monatelang nicht mehr betreten hat, freut man sich als Dorfgläubiger, dass es da ist und man im Bedarfsfall etwas in den gelben Kasten schmeißen kann. „Ja, das Gelbe ist für das Soziale!“ sagen alle zur Post, aber niemand braucht sie eigentlich.
Jetzt macht die Post mit diesen schönen sozialen Sagern Schluss und sperrt wieder einmal ein paar Dutzend Postämter. Netter Nebeneffekt: wie bei der Assingershow kann man raten, wo diese Fuzziorte liegen, denen das heilige Postamt genommen wird.
Die Post nennt das richtigerweise Veränderung, denn dem Brief ist es egal, ob er unter dem Tannenbaum der SPAR oder dem Posthorn der Post aufgegeben wird. Jeder, der jetzt über die Schließung jammert, hat schließlich indirekt dazu beigetragen, dass es geschlossen wird. Indem er pendelt, jeden Scheiss in der nächsten Stadt kauft oder einfach keine Briefe mehr verschickt. Und wem soll man schließlich ein Paket schicken, wenn alle alles haben?
Vielleicht liegt aber alles unter unseren Träumen vom Dorf vergraben. Bei Bauernumzügen dreschen wir auf Schauwagen Stroh und in den Gemeindestuben Worthülsen. Das wirkliche Dorf ist längst zur Stadt geworden, weshalb eben immer öfter die Gesetze der Stadt gelten, auch in den Träumen.
Eines Tages muss jemand die Wahrheit sagen: Das Paradiesdorf gibt es nicht. Letztlich ziehen immer mehr Menschen während des Tages aus den Dörfern zur Arbeit weg, weshalb sich auch die Post zurückzieht. Letzte Leerung ist angesagt.
Dass dieser Rückzug gerade unter einer ruralen, bäuerlichen Dorflehrerinnenregierung geschieht, ist immerhin ein netter Witz, den man sich gerne weitererzählt.