Nachbar am Seil
Die Sintflut zu Weihnachten mag zwar Tausende auf dem falschen Fuß erwischt und in den Tod gerissen haben, in der Medienszene weiß man aber längst, wie man mit solchen Giga-Katastrophen umgeht: Mit Auswalzen und Betteln.Also jetzt wird auch der letzte Trottel, der im Winter nicht an den Strand gefahren ist, mitgekriegt haben, dass es furchtbar war und vor allem furchtbar überraschend. Aus einer Mischung von Urlaubsbericht, Reiseerlebnis und angelesener Katastrophenliteratur haben in den letzten drei Wochen mehr Erlebnisliteraten ihre Meldung abgegeben, als üblicherweise in einer Buchhandlung Bücher Platz haben.
Wir Daheimgebliebenen haben uns das alles angehört und wissen mit Hilfe der Medien inzwischen wirklich alles. Die mediale Auswalzung der Flut ist mindestens so groß wie diese selbst. Es ist furchtbar, aber wir schalten inzwischen ab oder überblättern die Seiten, wenn etwas von der Flut kommt.
Mit der Auswalzung einher geht immer die putzige Serie „Nachbar in Not“. Schon damals im Kosovo-Krieg haben manche Österreicher wie die Wilden gespendet und letztlich eine Summe aufgebracht, die der halben Tragfläche eines US-Stealth-Bombers entspricht, welche Tag- und Nacht das Land bombardiert haben.
Bei der Flut ist es genau so. Die Summe, die die lieblichen und liebenswerten Österreicher aufbringen, ist ein Fingernagel von dem, was die Regierung durch die Stundung des Zinsendienstes der betroffenen Länder aufbringen könnte.
Es geht also nicht um Hilfe, sondern in der Hauptsache um Unterhaltung. Ist doch nett, ein Katastrophen-Magazin nach dem anderen zu sehen, und neben der Rundfunkgebühr dann noch etwas zu spenden, damit wieder Frieden herrscht an den Stränden unter den Palmen. Dort, wo die Vorabendserien spielen und die wirklich wichtigen Leute hinfahren.
Während etwa 150 Österreicher vermisst werden, sind im letzten Jahr knapp 1000 bei Verkehrsunfällen gestorben und 1500 haben sich aufgehängt. Von der Aktion „Nachbar am Seil“ hat man bisher nichts gehört, ist ja auch nicht so unterhaltsam.