treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

AVISHAI COHEN

Ein Israeli zu sein, heißt sehr multikulturell zu sein. Weil Israel ein vergleichweise junger, moderner Staat ist. Es ist kein altes Land. Die Einflüsse in Israel kamen seit Jahrzehnten sehr stark aus Russland. Es gibt viele Israelis mit russischen, polnischen, osteuropäischen und deutschen Wurzeln. Und dann gibt es die spanischen, türkischen und griechischeen Einflüsse. Die Welt der jüdischen Gypsy-Musik. Ob es nun die Sepharden waren, die von Spanien in viele Mittelmeerländer gingen, oder Gypsies aus Bulgarien, und vom Balkan. All diese Einflüsse existieren in Israel. Es gibt viele israelische Songs, die auf russischen Songs basieren. Osteuropäische Melodien, versehen mit hebräischen Texten. Das wurde zu einem Folk-Idiom in Israel. Dann gibt es Komponisten, die den mediterranen Sound und die arabischen Rhythmen der Darabouka mit westlichen Harmonien verbanden. Das brachte einen speziellen Sound hervor. Dieser Sound bin ich.

„Avishai Cohen ist ein genialer Musiker......ein großartiger Komponist mit einer wirklich starken Vision von der Musik, die er machen will. Mit ihm zu arbeiten war außergewöhnlich erfrischend.“ Chick Corea

„Cohen zählt zu den 100 einflussreichsten Bassisten des 20. Jahrhunderts“
Bass Player Magazine

*

Avishai Cohen zählt zu den wenigen Bassisten der heutigen Zeit, die das Privileg genießen, vor einem weltweiten Publikum ihre eigene Musik zu spielen und sich sonst in keiner Weise „verbiegen“ zu müssen. Bereits als Jugendlicher in seinem Heimatland Israel lernt Avishai Cohen die zahlreichen musikalischen und ethnischen Einflüsse kennen, welche von da an stets seinen Ton, seinen Stil und die Art seines Komponierens beeinflussen, seine Spielweise bewegt sich zwischen nahöstlicher Musik, Latin und Klassik.

Schon in seiner Kindheit in dem kleinen Dorf Shoeva in der Nähe von Jerusalem war Avishai von Musik umgeben. “Es war immer ein Piano im Haus und ich spielte auch ständig damit herum. Ich erfand kleine Melodien und benutzte Muscheln aus dem Meer, um damit die Tasten zu markieren. Das war meine Art, mir die Struktur der Melodien zu merken.“ Bald darauf beginnt Avishai, Klavierunterricht zu nehmen und in der High-School Jazzband zu spielen.

Mit 14 Jahren lebt Avishai zeitweise in den USA und lernt hier schon bald die Musik des virtuosen, unbändigen Bassisten Jaco Pastorius kennen, dessen stellenweise halsbrecherisch schwierige Aufnahmen er transkribiert und sich auch mit seiner für einen Bassisten damals revolutionären melodischen und harmonischen Spielweise stark identifiziert. Die Musik von Pastorius beeindruckt ihn so sehr, das er sich entschließt, Bassist zu werden. Zurück in Israel 1986 lernt er die Musik von Charlie Parker, Thelonious Monk, Charles Mingus und John Coltrane kennen.

Avishai Cohen spielt zahlreiche Konzerte sowohl mit eigener Musik als auch als Begleitmusiker. Bald darauf entdeckt er auch den Kontrabass für sich und spielt im Laufe der Zeit alles, von modernem Jazz bis hin zu barocken Bach-Suiten.

Nicht zuletzt aufgrund des unbändigen Wunsches, sich als Musiker auch international zu etablieren, zieht Avishai Cohen 1992 endgültig nach New York. Das Herz des Jazz schlägt jedoch nach wie vor in den Vereinigten Staaten. Deshalb zieht Cohen zu Beginn der 90er Jahre nach New York City. In der Weltmetropole vertieft er seine Studien und jamt sich durch die lokale Szene. Reich wird der Neuankömmling davon nicht. Um über die Runden zu kommen, arbeitet er zu Beginn seines neuen Lebens auf dem Bau oder spielt in U-Bahnhöfen und Parks. Daneben  spielt er unzählige Sessions mit Musikern wie Paquito D’Rivera, Joshua Redman, Roy Hargrove oder Wynton Marsalis, welche ihn nicht nur hervorragend in die New Yorker Szene integrieren, sondern ihn letztendlich auch zum festen Mitglied der Band um den Pianisten Danilo Perez machen. „Von da an liefen die Dinge großartig“, erinnert sich Avishai. „Ich schrieb immer noch meine eigene Musik. Ich habe eigentlich seit meiner Teenagerzeit immer komponiert, und nun begann ich, regelmäßig mit dem Schlagzeuger Jeff Ballard zusammen zu spielen. Wir entwickelten einen wirklich „tighten“ Sound.“

Dieser „tighte“ Sound beeindruckt auch den Pianisten Chick Corea, denn kurz darauf findet sich Avishai Cohen in seiner akustischen Band „Origin“ wieder. Mit ihm am Bass entstehen die Alben „Live At The Blue Note“ (1997), „Change“ (1999) und „Originations“ (2000). Avishai Cohen ist seitdem fester Bestandteil von zahlreichen Besetzungen Chick´s und spielt buchstäblich Hunderte von Konzerten in der ganzen Welt.

Neben seiner Arbeit mit Chick gehören Aufnahmen mit Roy Hargrove, Herbie Hancock, Alicia Keys und dem London Philharmonic Orchestra zu Avishai’s Aktivitäten als Sideman.

Genauso vielseitig und bedeutend wie diese Tätigkeiten sind auch Avishai Cohen’s eigene Projekte. Im Jahr 2001 gründet er seine International Vamp Band, eine große Formation mit Musikern aus aller Welt, und nimmt das Album „Unity“ auf. Es folgen die Alben „Lyla“ (2004), „At Home“ (2005) und „Continuo“ (2006), die auf Avishai Cohen’s eigenem Label Razdaz Recordz erscheinen. Im Sommer 2007 legt Cohen beim US-amerikanischen Label Half Note Records die CD/DVD „As Is … Live At The Blue Note“ sowie im Frühjahr 2008 erneut bei Razdaz Rekordz sein numehr aktuellstes Album „Gently Disturbed“ vor. Diese CD wird vom renommierten deutschen Jazzmagazin „Jazzthing“ in seiner Februar/März-Ausgabe 2009 mit einem Platz unter den international zehn besten Veröffentlichungen ausgezeichnet.

Im Mai 2009 erschien beim legendären Blue Note Label Avishai Cohens nunmehr aktuellstes Album „Aurora“.

Cohen präsentierte seine Musik bereits auf zahlreichen Welttourneen zu Klubs wie dem Ronnie Scotts in London und dem Blue Note in New York, Mailand und Tokio sowie bei international renommierten Festivals wie den JVC Festivals in New York und Newport, in Ottawa, Los Angeles, San Francisco, Tel Aviv, Johannesburg, Paris, Nîmes, Nantes, Barcelona, Moskau, Belgrad, Wien, Warschau, Kopenhagen, Malmö, Oslo und Aberdeen, ebenso bei großen deutschen Festivals wie der Düsseldorfer Jazz Rally, den Leverkusener Jazztagen (Live ausgestrahlt am 8. 1. 2008 im WDR-TV und am 9. 2. 2008 bei 3SAT), bei den Jazztagen in Ingolstadt und Ravensburg und 2008 beim Moers Festival, dem Berliner JazzFest und im Konzerthaus Wien.

Anfang 2007 wurde Cohen mit der Latin Jazz Formation „Viva“ des Trompeters Diego Urcola in der Kategorie „Best Latin Album“ für den Grammy Award nominiert.

Der renommierte Jazz-Journalist Karsten Mützelfeldt stellte Avishai Cohen und seine Musik im März 2008 im Deutschlandfunk in einem exklusiven Feature vor.

Das Musikmagazin "Rolling Stone" ehrte für das Jahr 2007 Avishai Cohens CD "As Is ... Live At The Blue Note" mit der Platzierung unter den “Top Ten” in der Kategorie Jazz.

Als eine weitere große Ehrung wurde Cohen mit der künstlerischen Leitung des renommierten Red Sea Jazz Festivals im israelischen Eilat für drei Jahre ab dem Jahre 2009 in Rotterdam beauftragt.

Alle sechs Alben von Avishai Cohen sind seit ihrem Erscheinen auf den Spitzenplätzen der internationalen „ITunes Download Charts“ zu finden und werden von der internationalen Presse mit hervorragenden Kritiken gewürdigt. Sie reflektieren auf musikalische Weise Orte, Menschen, Emotionen und Einsichten, die Avishai bei Tourneen und Reisen auf der ganzen Welt über die Jahre hinweg kennen gelernt hat, und dementsprechend bunt sind auch dessen stilistische Einflüsse. Wie nie zuvor zeigt Avishai Cohen gleichermaßen seine virtuosen spielerischen Qualitäten wie auch seine kompositorischen Fähigkeiten.






LEIDENSCHAFT UND MATHEMATIK

Ein Porträt des Bassisten und Komponisten Avishai Cohen.
Von Karsten Mützelfeldt

Der israelische Bassist, der acht Jahre lang Chick Corea begleitete, hat 2004 New York verlassen und ist in seine Heimat zurückgekehrt. Avishai Cohen stammt aus einer Familie mit sephardischen Vorfahren und multikulturellem Hintergrund: Allein seine Eltern vereinen Wurzeln aus der Türkei, Griechenland, Tschechien und Polen. Heute in Tel Aviv lebend, fühlt sich der 37-Jährige verstärkt seinem kulturellen Erbe verpflichtet. So hat er jüngst ein Vokalprojekt in hebräischer Sprache aufgenommen. Seine Musik ist ein Amalgam aus Jazz, Einflüssen aus Klassik und Balkan-Folklore, der Volkmusik des Nahen Ostens und Nordafrikas sowie Elementen aus Latin, Blues und Funk. Eine Seite seines Schaffens ist in letzter Zeit in den Rezeptionsschatten seines virtuosen Bassspiels geraten: der Pianist Avishai Cohen.

Wenn der amerikanische Jazzfotograf Patrick Hinely über seine Arbeit spricht, dann auch über jene erhofften Momente, wenn „das Geometrische und das Poetische zusammenfließen“. Die Fusion dieser Eigenschaften findet sich auch in der Musik Avishai Cohens, beide werden gewissermaßen in eine kompositorische Form gegossen. Was für Hinely „das Geometrische und das Poetische“, sind für Cohen “Struktur und Emotion”: "Es gibt auf dem neuen Trioalbum 'Gently Disturbed' eine Komposition, die ich bereits für die CD ‘Lyla’ aufgenommen und damals allein auf Klavier gespielt habe: 'Structure in Emotion'. Das Stück ist durchkomponiert mit vielen sich wiederholenden Elementen und sehr strukturiert – es hat beinahe etwas von einem architektonischen Gebilde: Jede Note, jeder Ton ist genau platziert. Im Grunde hat dies etwas sehr Mathematisches, ist aber gleichzeitig auch sehr emotional. Das Mathematische steht im Dienst der Leidenschaft und die Leidenschaft rechtfertigt die mathematischen Konstrukte."

Der Bandleader, bekannt als einer der führenden Bassisten, ist – wir haben es gehört - auch ein hörenswerter Pianist. Als ein solcher fühlt er sich dem Klavierspieler einer Band auf besondere Weise verbunden und kann sich problemlos in dessen Rolle und musikalisches Selbstverständnis hineinversetzen. Zudem ist Cohen ein ausgesprochen perkussiver Bassist, der sein Handwerk u. a. beim Latinjazz-Bassisten Andy Gonzalez gelernt hat und den Korpus häufig auch mit seinen Händen als Perkussionsinstrument benutzt – über diese rhythmische Ebene fühlt er sich wiederum aufs Engste dem Schlagzeuger verbunden. Stellt man sich seine beiden Triokollegen als das linke und rechte Ende einer gedachten Kette vor, dann ist der auch optisch zwischen ihnen agierende Bassist das perfekte Bindeglied.

Diese enge Verbundenheit der Musiker findet ihren kompositorischen Ausdruck in einer engen Verzahnung. Alle Teile werden miteinander vernetzt, greifen ineinander – so, wie sein Bassspiel mit dem Spiel seiner Partner ineinander greift oder wie der erklärte Eklektiker verschiedene musikalische Traditionen miteinander vernetzt. Logische Konsequenz: Das Trio verlässt den Pfad traditioneller Form, das Schema ‘Thema-Improvisation-Thema’ bleibt ungenutzt, ersetzt durch eine Struktur, die sich an der Dramaturgie des Stückes orientiert.

"Die häufige Verwendung von sich wiederholenden Bassfiguren, von Ostinati, aber auch die Tendenz, Stücke von vorn bis hinten zu notieren, durchzukomponieren, unterscheidet diese Band von vielen anderen Jazzbands.* Es ist fast wie in der Kammermusik: Da gibt es eine Idee, sie wird weiterentwickelt, es entsteht ein Gedankengang, ein Erzählstrang. Dann folgt ein Solo: Klavier, Bass oder Schlagzeug. In der Kombination dieser sehr streng durchgeführten Ideen und der darauf folgenden Interpretationen oder Variationen liegt zu großen Teilen die Kraft, die Stärke dieser Musik. Ich mag gern von etwas überzeugt werden. Diese Vamps, sich ständig wiederholende Figuren findet man sonst eher in Pop und lateinamerikanischer Musik, ich mag dieses Prinzip. Wenn es anschließend in mehr interpretierende Teile geht, ist dies wie eine Auflösung der Spannung und gibt dem Hörer etwas, an dem er sich festhalten kann anstatt musikalisch überall und nirgends zu sein – denn so verlierst du den Hörer manchmal, das geht mir selbst nicht anders: Meine Konzentration geht verloren, wenn alles zu offen ist, ich mag eine gut und deutlich erzählte Geschichte, um sie anschließend zu interpretieren. "

Eine groovende Kammermusik. Das mag wie ein Widerspruch klingen, ist aber eben kein wirklicher. Cohen liebt ohnehin die Herausforderung, vermeintlich Gegensätzliches zusammenzuführen: Dichte und Transparenz, Komplexität und Eingängigkeit, Melancholie und Leichtigkeit.

" Bei den Konzerten entsteht meistens eine aufbauende, positive Stimmung, ein bei aller Melancholie auch sehr heiteres leichtes Gefühl. Ich glaube, es damit zu tun, dass unsere Konzerte dynamisch aufgebaut sind: Wir vertrauen dem Publikum und seiner Geduld, indem wir mit einer sehr delikaten, fein gestrickten Kammermusik beginnen. Dann wird die Energie über den Abend langsam aber sich sicher kontinuierlich aufgebaut bis zu einem energetischen Höhepunkt am Ende – ob dies nun ein druckvolles Stück mit einem Schlagzeugsolo ist oder etwas, das ich singe und das die Leute befreit – nicht von der Spannung, sondern von der auf Details und Nuancen gerichteten Konzentration, die sie im Verlaufe eines Konzerts aufgebaut haben."

Die innere Bewegung, die Cohens Musik beim Publikum auslöst, hat weniger mit der Dynamik und dem Feuer des Auftritts zu tun. Was berührt, ist eine Einfachheit, die bisweilen selbst in komplexeren Passagen durchschimmert, und die Ambivalenz der Melancholie. Ein Wayne Shorter würde bei einigen Cohen-Stücken den Vergleich mit Mona Lisa bemühen, Toots Thielemans würde vom Zusammenfluss einer „Träne mit einem Lächeln“ sprechen. Das neue Avishai Cohen Trio erhebt diese Ambivalenz gleich zum Titel seines im Mai erscheinenden Debüts, Gently Disturbed.

Die Musik des Avishai Cohen Trios verleiht eher Kräfte als dass sie Kraft demonstriert. Das Zur-Schau-Stellen virtuoser Potenz wird weitestgehend vermieden. Die bei Musikern so beliebte und reichlich abgenutzte Standardfloskel, die Musik stehe im Vordergrund – hier trifft sie zu.

Der Bassist hat, wie es scheint, seine Idealbesetzung gefunden. Der Schlagzeuger Mark Guiliana, 28 Jahre alt, gehört bereits seit 2003 zur Band. Neu besetzt ist der Platz am Flügel – und dieser Platz ist für einen Klavierspieler ein gleichermaßen höchst dankbarer und undankbarer. Cohen hat als sideman mit stilprägenden Pianisten gearbeitet, mit Danilo Perez, Brad Mehldau und Chick Corea. Für seine eigene Band ist seine Wahl nach Jason Lindner und Sam Barsh auf Shai Maestro gefallen – gerade einmal 20 Jahre jung.

Maestro war mit Cohens Musik vertraut, lange bevor sie sich trafen. Das erste Mal hatte er ihn an der Seite Coreas in Schweden erlebt – da war Shai gerade einmal zehn. Cohens Respekt für seinen im doppelten Sinne “jüngsten” Pianisten findet einen sprachlichen Ausdruck in zwei Titeln: “Young Maestro”, und “Chutzpan”, ein hebräisches Wort für jemanden „Besessenen“, für einen von Natur aus Neugierigen und selbstbewussten Zeitgenossen: "Der Platz des Pianisten war in meiner Musik schon immer ein sehr wichtiger. Nicht von ungefähr schreibe ich 96½ Prozent meiner Musik am Klavier, und das seit vielen Jahren. Ich habe meine Karriere als Pianist begonnen und fühle mich dem Instrument eng verbunden. Und Pianisten haben es wahrlich schwer mit mir: Ich bin sehr akribisch und pingelig, wenn es um das Klavier geht, ich mache es ihnen nicht leicht, da hört häufig der Spaß für sie auf: Ich weiß genau, was ich hören will, und da bin ich die ganze Zeit hinterher, und Shai muss sich von mir immer wieder so einiges anhören und gefallen lassen!"

Avishai Cohen fühlt sich musikalisch durchaus vielerorts zuhause. At Home nennt er eines seiner Alben und fügt gerne hinzu, dass er überall Verbindungslinien aufspüre und dank ihrer Anknüpfungspunkte finde. Das Credo eines global denkenden und spielenden Musikers mit multikulturellem Hintergrund. Doch seit 2004 hat der Begriff at home auch eine andere Bedeutung. Cohen ist nach Israel zurückgekehrt.

"Zunächst einmal wollte ich New York verlassen. Ich liebe diese Stadt, aber meine Karriere war weit genug gediehen, dass ich es mir leisten konnte, New York zu verlassen. Aber ich habe auch meine Heimat vermisst, das Gefühl zuhause zu sein, nahe bei der Familie, die mir viel bedeutet, bei meinen Eltern, Brüdern und Freunden und im Land, aus dem ich komme! Ich vermisste die Sonne, das Essen, den Erdboden, bestimmte Dinge, mit denen du dich identifizierst, selbst wenn sie nicht die besten in der Welt sind!
Ich habe für mich den Kreisschluss vollzogen, bin zurückgekehrt und das hat natürlich Einfluss auf mein Schreiben und mich dazu gebracht, mich noch mehr meinen Wurzeln zu widmen – obwohl ich sagen muss, dass gerade das Wegsein von zuhause dazu führt, dass du tiefer in dich hineinschaust. Auch wenn ich nicht nach Israel zurückgekehrt wäre, wäre dies vielleicht passiert. Aber jetzt dringen und drängen meinen Wurzeln mehr denn je an die Oberfläche.* Dazu passt, dass ich neben dem aktuellen Trioalbum auch ein Vokalprojekt abgeschlossen habe, in dem ich und meine Mutter singen: neue Arrangements, Vertonungen von Texten, die zum Teil vier-, fünfhundert bis tausend Jahre alt sind.
Dieser Enthusiasmus, dieses sich so Verbunden-Fühlen mit einfacher Volksmusik ist für mich wie ein Geschenk. Ich glaube, mein Wesen fußt darauf, für mich liegt jegliche tiefere Bedeutung von Musik darin begründet – ob es sich nun um Bach, Mozart und Rachmaninoff, um Eddie Palmieri, Cameron oder Paco de Lucia handelt. Tiefer gehende, bedeutsame Momente in der Musik haben immer diese Verbindung zu den Menschen, sind Momente dieser Menschen, sind das, was von ihnen ausgeht oder zurückkommt.
Es gibt nicht meine Musik, sie gehört keinem, wenn, dann gehört sie allen. Und durch die Musik, die ich spiele, habe ich das Gefühl, Teil des Bodens zu sein, ich fühle mich dem emotionalen Duft der Musik des einfachen Volkes sehr verbunden. Und wenn Leute in Schweden, wo wir in letzter Zeit besonders erfolgreich sind, wenn sie mir erzählen, die Musik würde sie an schwedische Volksmusik erinnern, wo doch Schweden und Israel kaum etwas gemein haben, dann ist das meine Erklärung: Wenn du in Kontakt mit dieser Basis stehst, dann ist es überall dasselbe: es ist die Musik der Menschen!"

Während zu New York-Zeiten dem israelischen Oud-Spieler Amos Hoffman eine gelegentliche Gastrolle zukam, wird Avishai Cohens Bezug zu den Wurzeln durch die ständige Präsenz des Landsmannes Shai Maestro noch intensiviert. Beide leben in Tel Aviv und arbeiten – wenn nicht gerade auf Tour – täglich zusammen. Die Energie ihrer Musik mag die Vorstellung nähren, diese Leidenschaft speise sich auch aus Leiden, aus der kollektiven Leidensfähigkeit eines Landes, in dem die dauernde Auseinandersetzung mit dem Tod die Lebenslust nur noch steigert, zu einer dringlichen Gier nach Leben führt:

" Das ist schwer zu sagen, es mag so sein. Aber eines kann ich mit Sicherheit sagen: Ich bin in einem Elternhaus voller Liebe aufgewachsen, mit Eltern, die sehr leidenschaftlich sind, mit einer künstlerisch veranlagten Mutter, die vor positiver Einstellung und Liebe geradezu glüht. Musik und Natur üben bis heute einen starken Einfluss auf mich aus, sind Quellen, die mich immer wieder aufbauen. Ich kann mich daran erinnern, dass ich schon als Kind immer von Natur und Musik begeistert war und von der Liebe und Zuneigung von Menschen. Ich weiß nicht, woher all diese Dringlichkeiten kommen, es gibt Dinge, die wir nicht wissen, Dinge, die ich auch nicht notwendigerweise wissen möchte – ich weiß nur, dass ich ein sehr leidenschaftlicher Mensch bin und sehr begeisterungsfähig bin. Da gibt es viel Emotion in mir. Emotionen, für die, so habe ich herausgefunden, die Musik das Vehikel und das Ventil ist, der Weg, um meinen inneren Sturm und Drang auszudrücken. Ich bin nur das Gefäß."



*****

BIO

Auf seinem letzten Trio-Album Gently Disturbed, dem letzten Werk, das auf dem von ihm selbst gegründeten Label Razdaz Recordz erschien, bevor er bei Blue Note unterschrieb, beendete Avishai Cohen sein musikalisches Festmahl mit dem Stück Structure in Emotion, einer Melodie, die ihm besonders zusagt, denn sie taucht schon auf Lyla auf, der ersten unter seiner Regie veröffentlichten Platte von 2003. Avishai Cohens Musik gleicht einem Strudel der Gefühle. Die Struktur der Songs, ihre intime Architektur überrascht immer wieder, nimmt unerwartete Wendungen, wie eine melodienreiche, pazifische, heilsame Zeitbombe. Mit seinen Kompositionen zügelt er die Gefühle, hält sie zurück, damit sie sich voll entfalten können, und verhindert somit, dass die Energie verpufft, bevor sie den Zuhörer erreicht. Der aus Jerusalem stammende Cohen, der sich inzwischen in Tel Aviv niedergelassen hat und den Ruf als einer der populärsten Jazzmusiker der letzten zehn Jahre genießt, nähert sich mit Seven Seas seinem künstlerischen Zenit.
Letztes Jahr veröffentlichte Cohen sein erstes Album auf Blue Note, Aurora. Ein Werk randvoll mit verwegenem Charme, dem der Kontrabass-Spieler, Komponist, Pianist und Arrangeur eine weitere Facette seines Schaffens hinzufügte – als Sänger. Bereits auf vorherigen Aufnahmen hatte er gesungen, doch eher mit einer gewissen Beiläufigkeit. Nun stellte er seine Stimme laut und klar in den Vordergrund. Publikum und Kritiker waren sprachlos. Es war, als schaute man einem Zauberer zu. Seine Stücke waren immer schon grenzenlos (sowohl was Musikstile als auch was geographische Grenzen betraf), gleichwohl stark von traditioneller jüdischer Musik inspiriert. Aurora aber zeigte Avishai Cohens Talent in einem neuen Licht: der Komponist mit rastlosen Texten, der phänomenale Musiker, überraschende Liveperformer, den Chick Corea einmal als Genie bezeichnet hatte – jener Musiker, den Down Beat zum Jazzvisionär erkoren hat; all diese Facetten traten in den Schatten, um einen Sänger mit sanfter Stimme und kosmopolitischem Esprit zu offenbaren, der sowohl hebräische als auch arabisch-andalusische Untertöne vereinen konnte. Aurora schien eine neue Entwicklung in der Diskographie des Musikers zu markieren und war zugleich die Sichtbarwerdung einer künstlerischen Entwicklung, die über mehrere Jahre ihren Lauf genommen hatte.
Mit Aurora hatte Cohen seine Bühnenfamilie gefunden, ein einzigartiges Quintett, mit dem er gemeinsam um die Welt reiste. Wo sie auch spielten, ernteten sie warmen Applaus. Seven Seas erscheint nun wie die selbstverständliche Konsequenz dieser Erfahrungen, die natürliche Ernte von vielen Hundert Konzerten. Cohen, der jahrelang die künstlerischen Möglichkeiten von Trios ausgelotet hatte, besann sich auf der Bühne einer Formel, in der die Melodien, die sich zwischen Karen Malkas Gesang und Amos Hoffmans Oud entspannen, eine ebenso gewichtige Rolle einnahmen wie das erdige Zusammenspiel von Itamar Doari an den Percussions und Shai Maestro am Piano. Diese Erfahrung inspirierte ihn, eine Teamarbeit ins Leben zu rufen, in deren Verlauf sein junger Percussion-Virtuose Co-Produzent des Projekts wurde.
In dieser Verfassung kamen im Herbst 2010 die Musiker für ein paar Wochen in dem Studio Nilento des Schweden Lars Nilsson zusammen, einem Paradies der friedlichen und kreativen Atmosphäre ebenso wie der technischen Ausstattung. Als wolle er sich mit einem Versprechen für die Zukunft wieder mit seinen Wurzeln befassen, arbeitete Avishai Cohen wieder einmal mit einem Toningenieur, mit dem ihn nicht nur professionelle Aspekte verbanden, ist Nilsson doch ein weiteres Mitglied von Cohens musikalischer Familie. Immerhin war er der Baumeister von Continuo und Gently Disturbed, den Meilensteinen in Cohens Discographie, und er war stark daran beteiligt, den unberührten Kompositionen des Kontrabassisten ein öffentliches Forum zu bieten. Mit Lars Nilsson hatte Cohen nicht nur jemanden gefunden, der seine Musik aufnimmt, sondern jemanden, dessen Ohr und technische Fähigkeiten seinem künstlerischen Perfektionismus entsprechen.
Truffaut sagte einst über Orson Welles Citizen Kane, es sei „der Film, der alle anderen zusammenfasst und vorwegnimmt.” Man ist geneigt, über Seven Seas und das Werk von Avishai Cohen das Gleiche zu sagen: Hier laufen alle Wege und Stimmen zusammen, die der Künstler seit Anfang der 1990er eingeschlagen und ausprobiert hat, als er erstmals in der New Yorker Jazzszene auftauchte und kurz darauf von Chick Corea protegiert wurde. Vor allem aber verkündet und präsentiert er ein noch ambitionierteres, subtileres und raffinierteres Kompositionswerk, ohne dabei die für ihn typische Energie, Ekstase und Emotionalität über Bord zu werfen. Man braucht sich nur die verschlungenen Sounds von Two Roses anzuhören und schon ist man im Bilde. Mit seinen Kinderreimen, Schlafliedern und Suiten, prallvoll mit heroischer Inspiration und symphonischen Klängen, entführt uns Seven Seas auf eine phantastische Klangreise, in der Understatement und Großartigkeit ein nicht enden wollendes Ping-Pong-Spiel treiben und nicht selten fühlt man sich auf die große Kinoleinwand transportiert. Ist man erst einmal an den ersten, glücklich nostalgischen Referenzen vorbei, segelt man weiter entlang Rhythmus-Inseln und ganzen Klangkontinenten, bis man bei Cohens intensiver Stimme in einem klassischen Piano-Ladino Anker wirft.
Mit Seven Seas hat Cohen einen neuen künstlerischen Gipfel erklommen. Man könnte das Album als reifes Werk bezeichnen, wenn das nicht so viele schwere Assoziationen hervorriefe. Eher ist es ein Fusion-Album, das uns vielleicht einer wirklichen Odyssee näherbringt, ruft doch schon der Titel die Legenden und Mythen der Seefahrt in Erinnerung. Mit seinen vielen Wendungen und Drehungen ist Seven Seas fraglos das aufregendste Album des Künstlers.