BRENNEROVA.
fm4 / zita bereuter
Eine Frau, Tätowierungen und Gewalt – das gelungene Cover zeigt schon worum es sich im neuen Brennerroman von Wolf Haas dreht.
Jetzt ist schon wieder was passiert.
Mit dem Klassiker beginnt Wolf Haas seinen achten Brenner-Roman nicht. Vielmehr widmet er sich den Russinnen: "Früher hat man gesagt, die Russinnen. Die sind groß und muskulös wie Hammerwerfer, die arbeiten beim Straßenbau, und unter den Achseln haben sie so viele Haare, dass sich noch ein Toupet für ihren Mann ausgehen würde und ein zweites für den ersten Parteisekretär."
Politisch natürlich völlig unkorrekt - aber was erwartet man vom Brenner? Der war nie der große Charmeversprüher oder gar Frauenversteher. Dennoch hat er eine Frau gefunden, die ihn nicht gleich hinausgeschmissen hat. Herta, eine Lehrerin, die in Frühpension geschickt wurde, weil sie einem Schüler "eine betoniert hat".
Weil er sich mit der Herta so sicher war, hat er sich mal unverbindlich im Internet für Russinnen interessiert.
Und wo Internet, da muss ein gutes Passwort her:
"Soll ich jetzt Puntigam nehmen, weil Heimat immer gutes Passwort, oder soll ich Kriminalpolizei nehmen? Über solche Sachen, die vollkommen egal waren, hat der oft lange nachdenken können, wo jeder andere sagt, Nikolaus, da nehme ich Krampus als Passwort, das vergesse ich nicht. Aber er war nicht so ein Typ, der so gedacht hat, weil mehr der unberechenbare Typ, jetzt hat er Brennerova als Passwort genommen, weil er hat sich vorgestellt, dass so eine hübsche Russin Brennerova heißen würde, wenn sie ihn heiratet."
Kennengelernt hat er Nadeshda. Eine unfassbar gutaussehende Russin – "wo du gedacht hast, die ist sogar für den Schah von Persien eine Nummer zu groß, da traut sich nicht einmal der Fürst von Monaco ein Fleurop-Sträußchen vorbeischicken."
Nadeshda ist noch gar nichts im Vergleich zu ihrer jüngeren Schwester. Die soll nach Wien verschleppt worden sein – wahrscheinlich von einem Mädchenhändlerring. Wer soll sie finden? Genau, der Brenner.
"Das war wie ein tausendteiliges Puzzle, wo du nur drei Plättchen kriegst, eines mit einem Wassertropfen aus der Wolga, eines mit einem Senfpatzen aus München, und da noch ein Plättchen mit einem Grashalm, bei dem ist nicht sicher, wo er her ist, und jetzt bau mir ein Bild der Welt zusammen. So hat sie ausgesehen, die Informationslage vom Brenner, nachdem die Nadeshda alles erzählt gehabt hat."
So durchstreift der Brenner Tattoostudios, trifft auf Zuhälter, Bordellbetreiber, Polizisten und Ärzte und muss heldenhaft schwierige Situationen aushalten. "Weil nie ist der Mann edler, als wenn er eine Frau vor solchen Typen beschützen möchte wie sich selbst."
Der Brenner ist eben der Brenner. Und das ist gut so. Obwohl er mittlerweile pensioniert und schon über 60 Jahre alt ist. Man ist so jung, wie man sich fühlt – und der Brenner fühlt sich sehr jung.
An den russischen Frauen habe ihn die Projektionsidee interessiert, erzählt Haas. "Die exotische Frau ist natürlich eine ideale Projektionsfläche für Wunschvorstellungen und Fantasien und für einen Detektiv ist das eigentlich auch sehr gefährlich. Weil er sollte ja immer einen klaren Kopf bewahren und den verliert der Brenner hin und wieder."
Die brutalen Elemente des Kriminalromans würden ihn überhaupt nicht interessieren, erzählt er weiter: "Darum versuche ich immer mit möglichst wenig Zeilen das so drastisch wie möglich zu erledigen. Damit die Genreregeln des Kriminalromans erfüllt sind."
Mit "Brennerova" kann Wolf Haas seinen Podest in der Krimiwelt noch höher bauen. Auch wenn zwei, drei Stellen etwas unglaubwürdig wirken – zig großartige Ideen und Beschreibungen wiegen das auf. Einmal mehr überzeugt Wolf Haas mit seinen Figuren. Einmal mehr spielt er gekonnt mit Sprache. Einmal mehr zeigt er feinsten Humor. Brenner lesen heißt Österreich kennenlernen.
Haas' Erzählart wurde oft kopiert – nie erreicht. Aber "letzten Endes kannst du es nicht lernen. Letzten Endes Gespür, das sagt dir jeder, der eine Ahnung hat."
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"Brennerova" (kurierankündigung)
Simon Brenner ist in die Jahre gekommen. 1996 hatte er in "Auferstehung der Toten" als Mittvierziger seine literarische Geburt gefeiert, nun ist er über 60 und überlegt lange, was er in seinem Internet-Profil als Berufsbezeichnung angeben soll. Imponiert "Kriminalpolizist" die heiratswilligen Russinnen mehr, oder vielleicht "Bundesbeamter in Ruhe"? Brenner entscheidet sich für "Kriminalpolizist i. R.": "Das war die Wahrheit, aber doch mit der Hoffnung verbunden, dass die Russin die Abkürzung nicht versteht oder vielleicht sogar glaubt, es ist ein besonders hoher Rang. In Regierungsfunktion!"
Wolf Haas ist der Witz nicht ausgegangen. Es geht um das Wiener Rotlichtmilieu und internationalen Mädchenhandel, um Terrorismus, diplomatisches Krisenmanagement und die Auswirkung des Stockholmsyndroms in der Mongolei. Es geht um einen geheimnisvollen Tätowierer mit kulturphilosophischem Anspruch und um eine Gangsterbande namens Wu Tan Clan, die sich in ihrer Geschäftsphilosophie am babylonischen Herrscher Hammurabi orientiert: Aug um Aug, Zahn um Zahn. Was aber nicht zu Zahnausfall, sondern zu gleich vier abgehackten Händen führt, die beim kunstvollen Wieder-Annähen beinahe vertauscht werden.
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"In erster Linie will ich mich beim Schreiben selbst nicht langweilen"
Wolf Haas.
"Das Beste, was die deutschsprachige Literatur derzeit zu bieten hat." Moritz Baßler, Literaturen
"Haas zaubert uns glatt weg aus einer Welt der Plattitüden." Die Zeit
"Jeder Satz ein Sprengsatz." Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
"Ihm gelingen Sätze, die man sich am liebsten übers Bett hängen möchte." (Frankfurter Rundschau)
"Wolf Haas gibt der deutschen Gegenwartsliteratur die Lust am Text zurück." (FAZ)
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Wolf Haas wurde 1960 in Maria Alm am Steinernen Meer geboren. Seine Krimis mit Privatdetektiv Brenner wurden mehrfach ausgezeichnet und erfolgreich fürs Kino verfilmt. 2006 erschien sein Roman Das Wetter vor 15 Jahren, der mit dem Wilhelm-Raabe- Literaturpreis ausgezeichnet wurde. 2009 kam der Bestsellererfolg Der Brenner und der liebe Gott heraus. Das illustrierte Kinderbuch Die Gans im Gegenteil erschien 2010.
Wolf Haas lebt in Wien.
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"Als ich mich das erste Mal verliebte, war ich in England, und da ist die Rinderseuche ausgebrochen. Als ich mich das zweite Mal verliebte, war ich in China, und da ist die Vogelgrippe ausgebrochen. Und drei Jahre später war ich das erste registrierte Opfer der Schweinegrippe. Sollte ich je wieder Symptome von Verliebtheit zeigen, musst du sofort die Gesundheitspolizei verständigen, versprich mir das."
Gegen das Verlieben kämpft Benjamin Lee Baumgartner einen aussichtslosen Kampf. Diese Seuche bringt ihn um den Verstand. Mit Kopfverdrehen fängt es an. Mit Gehirnerweichung geht es weiter. Und das Schlimmste daran: Der Patient infiziert auch noch seinen Autor. Vorsicht, höchste Ansteckungsgefahr!
Wolf Haas' "Verteidigung der Missionarsstellung"
Beim neuen Buch von Haas empfiehlt es sich, bei Seite 145 ins chinesische Restaurant zu übersiedeln und um Übersetzung zu bitten.
Der erste Versuch ging schief: Der chinesische Kellner las die fünf Haas’schen Seiten mit den chinesischen Schriftzeichen, dann "erklärte" er: "Die wörtlich Übersetzung ist schwere. Aber das ist sehr urwunderbar!" Übersetzungsversuch Nr. 2 klappte: Aha, ein Taxler in China will Indianer sein. Und das Pferd hat keinen Kopf. Soso. Und und und.
Der Salzburger spielt mit sich, mit uns, mit der Sprache. Seine "Verteidigung der Missionarsstellung" sprengt Lesegewohnheiten. Wann ging man schon mit einem Roman zu süßsaurem Schwein und bettelte um Übersetzung? Dabei wird bloß von einem Mann erzählt, der sich immer verliebt, wenn Seuchen ausbrechen. Vielleicht brechen sie ja auch seinetwegen aus. Einmal flirtet er mit einer englischen Hamburgerverkäuferin, und sie meint in nicht so gutem Deutsch, er rede nur Unfug, während sie Fug spreche ...
KURIER: Wieso haben Sie denn keinen Fug geschrieben?
Wolf Haas: Die Flirt-Keppelei über Fug und Unfug ist im Roman ein ziemlicher Nebenschauplatz – aber man könnte wirklich mit diesen Begriffen ganz gut über Literatur reden. Die meisten Romane sind ja so fad, weil sich in ihnen alles so schön fügt. Eine gewisse Ungefügigkeit ist da schon reizvoller.
KURIER: Haben Sie gar keine Lust, mit einem Buch die Welt zu retten? Zumindest Österreich? Keine Botschaften? Keine Eingriffe in die Politik?
Eine Liebesgeschichte handelt doch immer von Weltrettung. Zwei Leute gegen den Rest der Welt und gegen die pragmatischen Vernunftüberlegungen, die einem diese Welt nahelegt. Wenn man bei der Partnerwahl nicht einfach die "beste Partie" wählt, also das kapitalstärkste Angebot oder den Erben des Nachbarfeldes, dann folgt man man ja der Utopie, dass es noch was anderes gibt als die kapitalistische Vernunft. Zumindest als kurze Utopie, bis der Alltag wieder zuschlägt. Sie kennen ja gewiss Oscar Wildes schönen Satz: Eine Laune und die ewige Liebe sind dasselbe, abgesehen davon, dass die Laune länger dauert. Und weil Sie Österreich ansprechen: Auch Jörg Haider ist an Liebeskummer gestorben, denn ohne das Vorabend-Gezänk mit seinen Burschen hätte er vielleicht weniger getrunken und wäre langsamer gefahren. Also man soll die Liebe nicht unterschätzen.
KURIER: Der Jury-Vorsitzende des Bachmannpreises hat gefordert, Literatur müsse "verstörend" sein. Können Sie sich damit anfreunden? Weil verstört haben Sie mich schon ...
Ja unbedingt, kaum etwas unterhält mich so gut, wie wenn in einer behaglichen Diskussion irgendein etablierter Biedermann von den jungen Leuten "verstörende Radikalität" oder "Rotzfrechsein" und dergleichen einfordert. Nach dem Motto: Unsere Noemi geht in den Waldorfkindergarten ,Frech & Verstörend". Aber was soll daran verstörend sein, dass in meinem Roman Verliebtheit mit gehirnauflösenden Seuchen gleichgesetzt wird? Das weiß doch jeder, dass Verliebtheit zur Gehirnauflösung führt. Das ist ja das Schöne daran.
Sie stellen diesen Zustand eng in Verbindung mit Schweinegrippe, Vogelgrippe. Desillusioniert?
Mein Romanheld verliebt sich immer dann, wenn gerade eine weltweite Seuche im Ausbruch ist. Und irgendwann fällt ihm auf, dass er auch immer dort vor Ort ist, wo die Seuchen ausbrechen. Es beginnt in London 1988, wo er Verliebtheitsgehirnauflösung erleidet, während seine Freundin ihm von der neuen Rinderseuche und der damit verbundenen Gehirnauflösung berichtet. Spätestens als ihm bei der Vogelgrippe dasselbe passiert, kommt er zu der Einsicht, dass ein Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen besteht.
Ist beim Verliebtsein im Buch irgendetwas Selbsterlebtes verarbeitet?
Ja klar. Ich komm ja sogar vor in meinem Roman. Zwar nur in einer Nebenrolle, aber immerhin. Allerdings ist es sehr raffiniert verschlüsselt. Da die Figur Wolf Haas heißt, glauben alle, das darf man nicht mit dem Autor gleichen Namens gleichsetzen.
In der Werbung hat das bestimmt einen Namen: Wenn man sein Produkt anpreist, indem man es negativ darstellt. Sie tun ja einiges, um abzuschrecken: Elend lange Sätze, die jemand NICHT sagt bzw. fünf Seiten chinesische ... Sie gönnen dem Leser wohl kein Schläfchen?
Andere zu langweilen ist natürlich ein Albtraum. In erster Linie will ich mich aber auch selbst beim Schreiben nicht langweilen, also schau ich halt manchmal, ob man nicht die eine oder andere Grenze ein bisschen ausreizen kann.
Nun werden Sie ja längst nicht mehr nur über Ihre "Brenner"-Krimis identifiziert. Lebt der Kerl überhaupt noch?
Für mich ist es schon nett, dass ich immer wieder auf den Brenner angesprochen werde. Irgendwann werde ich wohl selbst glauben, dass es ihn wirklich gibt. Ich hoffe nur, er schreibt nie ein Buch über mich.
# FAZ
The Blick from the Bridge
Er macht uns alle zu Linguisten: In seinem Roman „Verteidigung der Missionarstellung“ betreibt Wolf Haas Feldforschung zu Liebe und Sprache.
Wenn er Frauen trifft, hat Benjamin Lee Baumgartner ein Problem. Denn er will sie zwar kennenlernen, ihren Namen aber nicht erfahren. „Wenn ich den Namen von einem Menschen weiß“, erklärt er das Phänomen der hübschen Burger-Verkäuferin auf dem Londoner Greenwich Market, „dann ist der Zauber schon zerstört.“ Die Sache mit den Namen ist dabei nicht das einzige Dilemma, das den ganz und gar unheroischen Helden im neuen Roman von Wolf Haas umtreibt. Aufgewachsen in den Siebzigern in der bayerischen Provinz als Sohn einer Hippiefrau, ist ihm von seinem Vater, angeblich einem Hopi-Indianer, nichts geblieben als ein Silberring. Und den tauscht er nun gegen ein paar Pfund ein, um der jungen Frau, die er gerade kennengelernt hat und deren Namen er nicht wissen will, einen Drink zu spendieren.
Wolf Haas, der mit seinen subversiven Krimis um den Salzburger Privatdetektiv Simon Brenner berühmt wurde, schrieb 2006 den preisgekrönten Dialogroman „Das Wetter vor fünfzehn Jahren“. Darin unterhalten sich ein Autor, „Wolf Haas“ genannt, und eine Journalistin namens „Literaturbeilage“ über das jüngste Werk dieses Autors, wobei der Leser dabei nicht nur eine wetterfühlige Liebesgeschichte erzählt bekommt, sondern auch die Skizzen, die der Autor verworfen hat. An diesen Heidenspaß knüpft „Die Verteidigung der Missionarsstellung“ an. Auch der neue Roman von Wolf Haas erweist sich als Metafiktion mit anarchischem Witz.
Die Gemachtheit der Sprache
Denn auch Benjamin Lee Baumgartners Geschichte, die 1988 in London einsetzt und über Simbach, Linz und Peking bis nach Santa Fe und New Mexico führt, wird nicht nur einfach erzählt. Statt dessen erfahren wir in den für Haas typischen Ellipsen, was alles auch hätte gesagt werden können, wenn es denn gesagt worden wäre: „Eigentlich bin ich Vegetarier. Ich hab mir diesen Beefburger überhaupt nur gekauft, um mit dir ins Gespräch zu kommen, hätte er fast gesagt.“ Der für Akzente und Dialekte, für S-Fehler, R-Fehler, Heiserkeit und Holländisch so empfängliche Sprachstudent hat allerdings noch ein ganz anderes Problem. Denn immer, wenn er sich verliebt, bricht irgendwo in seiner Nähe eine Tierseuche aus. Oder verhält es sich umgekehrt? Das erste Mal, als er sich in England verliebt, ist es der Rinderwahnsinn. Das zweite Mal, gerade hält er sich als Übersetzer in China auf, bricht die Vogelgrippe aus. Kurz zuvor hatte er die Holländerin aus der Übersetzerkabine nebenan kennengelernt. Drei Jahre später schließlich ist er das erste registrierte Opfer der Schweinegrippe. Baumgartner muss schließlich seinen Freund bitten: „Sollte ich je wieder Symptome von Verliebtheit zeigen, musst du sofort die Gesundheitspolizei verständigen, versprich mir das.“ Der Freund ist Schriftsteller und heißt, wen wundert es, Wolf Haas. Gegen das Verlieben jedoch kämpft der junge Mann vergebens, denn diese Seuche lässt ihn bald irre werden.
Dass Wolf Haas promovierter Linguist ist, merkt man dem Arrangement seines Romans durchaus an. Schon der Name des Protagonisten ist Programm, bezieht er sich doch auf den amerikanischen Sprachwissenschaftler Benjamin Lee Whorf, der unter anderem mit der Sapir-Whorf-Hypothese berühmt wurde. Derzufolge formt die Sprache unser Denken. Während Whorf vor allem die Sprache der Hopi erforschte, betreibt sein deutscher Wiedergänger mit den vermeintlich indianischen Wurzeln Feldforschung zur Sprache an sich, zu ihrer Gemachtheit. Etwa wenn er fragt: „Ist immer auch ein Zeitbegriff?“ Da unser Held als Übersetzer arbeitet, wirken solche ballastreichen Versuchsanordnungen nicht einmal schwerfällig, sondern geschmeidig und leicht.
Realität erschaffen
Indem die Geschichte, eine Art Bastelroman, immer wieder auf sich selbst als Konstrukt verweist, macht Haas uns augenzwinkernd klar, dass wir es bei seinem Roman zuletzt nur mit Papier und Buchstaben zu tun haben. Der Wiener geht allerdings noch einen Schritt weiter, wenn er, Benjamin Lee Whorf variierend, die These aufstellt, dass nicht nur die Sprache, sondern auch die Schrift unser Denken formt. Das setzt er augenfällig ins Bild. Denn der Schriftsatz des Romans bleibt keinesfalls im üblichen Rahmen: Da lassen sich bestimmte Sätze, etwa das Antinomie-Problem des polnischen Mathematikers Tarski, im wahrsten Sinne des Wortes querlesen - weil die Buchstaben die Seite hinunterzurutschen scheinen. Da werden ganze Passagen auf Chinesisch gedruckt, Noten abgebildet und in eckigen Klammern Merksätze des Autors notiert: „Hier noch London-Atmosphäre einbauen. Leute. Autos. Häuser. 1988. The Blick from the Bridge.“ Dann wieder erscheinen einzelne Worte riesig groß oder aber - und hier sind wir an der „dichtesten Stelle im ganzen Roman“ angelangt - so klein, dass man eine Lupe braucht.
Das Thema von Haas’ Doktorarbeit lautete übrigens „Die sprachtheoretischen Grundlagen der Konkreten Poesie“. Mit ihm, und das ist kein Witz, macht sogar Sprachtheorie Spaß. Denn sein Interesse an der Konstruktion von Wirklichkeit ist unmittelbar an die Frage geknüpft, wie Menschen ihre Realität erschaffen und wie sie über ihre Welt nachdenken. Und das ist eine der ältesten Fragen von Literatur.
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WOLF HAAS wurde 1960 in Maria Alm am Steinernen Meer geboren. Seine Krimis mit Privatdetektiv Brenner wurden mehrfach ausgezeichnet und erfolgreich fürs Kino verfilmt. 2006 erschien sein Roman "Das Wetter vor 15 Jahren", der mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. 2009 kam der Bestsellererfolg "Der Brenner und der liebe Gott" heraus. Das illustrierte Kinderbuch "Die Gans im Gegenteil" erschien 2010. Wolf Haas liebt in Wien.
"Das Beste, was die deutschsprachige Literatur derzeit zu bieten hat." (Literaturen)
"Haas zaubert uns glatt weg aus einer Welt der Plattitüden." (Die Zeit)
"Ihm gelingen Sätze, die man sich am liebsten übers Bett hängen möchte." (Frankfurter Rundschau)
"Wolf Haas gibt der deutschen Gegenwartsliteratur die Lust am Text zurück." (FAZ)
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