Mit dem Hinweis "Heute Abend sind alle gleich!", wird dem Zuschauer am Eingang ein sandfarbener Poncho überreicht und schon ist man mitten drin im Stück, besser gesagt in der Wüste. Hier treffen, nach einer Autopanne, der jüdische Kleiderhändler Weisman mit der Urne seiner Frau und seine behinderte Tochter Ruth auf den Indianer Rotgesicht, der sich zum Sterben niederlegen will.
Daraus wird aber nichts, denn zwischen den beiden Außenseitern der Gesellschaft entwickelt sich ein grotesker Kampf, der nicht mit Waffen, sondern mit Worten ausgetragen wird. Ein jüdischer Western eben.
Wem erging es schlechter – dem Juden oder dem Indianer. Dabei gibt Weisman zu, dass er nicht nur Schlimmes erlitten, sondern selber auch getan hat: Opfer und Täter zugleich. Die Wunde versteht das Messer – lautet einer der zentralen Überzeugungen George Taboris. Nach dieser Selbstanklage legt Weisman sich mit der Urne seiner Frau nieder und stirbt. Und der Indianer, der immerzu versucht hat, sich die rote Farbe abzuwaschen und vielleicht gar kein richtiger Indianer ist, sondern nur ein Westernfilmstatist, zieht mit Ruthie von dannen, die immerhin bis zehn zählen kann, wie sie ihrem Vater triumphierend auf dem Totenbett beweist.
In einer gottverlassenen Gegend der Rocky Mountains führt der Zufall drei Menschen zusammen: den Halbindianer Rotgesicht, den Juden Weismann und dessen Tochter Ruth. Drei Verirrte, die nichts Besseres zu tun haben, als sich anzufeinden. Auch ihr Versuch, sich anzunähern, findet in Form eines Kampfes statt. In dem Duell, das die beiden Männer sich liefern, führen sie Worte als Waffen. Sieger ist, wer den andern überzeugen kann, daß er am schlechtesten dran ist. Weismann wird dieses Duell nicht überleben. Seine Tochter bricht auf in den neuen Tag. Zusammen mit Rotgesicht.
Tabori provoziert zum Lachen über Dinge, über die man nicht lachen darf. Durch die Abgründe der menschlichen Seele und der grausamen Wirklichkeit führt er sein Publikum in eine andere, heitere Sphäre. Eine milde Menschenfreundlichkeit und Lebensfreude durchstrahlen noch seine krudesten Stücke.
"Es gibt Tabus,
die
zerstört werden
müssen,
wenn wir nicht
ewig daran würgen
sollen."
(George Tabori)
Rothaut auf Selbsterfahrung
Ein jüdischer Western von George Tabori im Mainfrankentheater
von Joachim Fildhaut
In einer gottverlassenen Gegend der Rocky Mountains führt der Zufall drei Menschen zusammen: den Halbindianer Rotgesicht, den Juden Weismann und dessen Tochter Ruth. Drei Verirrte, die nichts Besseres zu tun haben, als sich anzufeinden. Auch ihr Versuch, sich anzunähern, findet in Form eines Kampfes statt. In dem Duell, das die beiden Männer sich liefern, führen sie Worte als Waffen. Sieger ist, wer den andern überzeugen kann, daß er am schlechtesten dran ist. Weismann wird dieses Duell nicht überleben. Seine Tochter bricht auf in den neuen Tag. Zusammen mit Rotgesicht.
Tabori provoziert zum Lachen über Dinge, über die man nicht lachen darf. Durch die Abgründe der menschlichen Seele und der grausamen Wirklichkeit führt er sein Publikum in eine andere, heitere Sphäre. Eine milde Menschenfreundlichkeit und Lebensfreude durchstrahlen noch seine krudesten Stücke.
"Weißer Mann redet zuviel", sagt Rotgesicht zu Weisman. Später: "Wenn man lange genug an einem Weißen kratzt, kommt immer ein Faschist zum Vorschein." Es kratzt aber auch die absurde Situation in der Wildwest-Wüste, in der sich ein Jude und ein zweifelhafter Indianer begegnen, so lange an Rotgesicht, dass der schließlich sein Halbjudentum bekennt. Da ist der jüdische Unterwäschehändler schon tot: In einem grotesken Wortgefecht hat Rotgesicht bewiesen, dass es ihm schlechter geht als dem Weißen. Der Verlierer ist der Sieger und heiratet über dem Leichnam die mongoloide Tochter Ruth Weisman.
Tabori jongliert schneidend originell mit Klischees. Unter Markus Baumhaus` Regie sammelt sich die sogenannte typisch jüdische Geistesbeweglichkeit in der kolossalen Fulminanz des Erzspielers Max de Nil. Sein Widerpart startet sehr - "Lang ist der Weg nach Santa Fe" - langsam, echt indianisch. Um dann eine Metamorphose nach der andern durchzugestalten: Der Durchbruch des Nils Liebscher! Bisher war dieser schöne junge Mann von Stück zu Stück gewissermaßen unauffällig wandlungsfähig, konnte sich dabei als Spielerpersönlichkeit aber nie recht profilieren. Jetzt zeigt Liebscher das große Talent, das sich zuletzt in "Ich, Feuerbach" schon kräftig andeutete.
Die sonst so poetische Simone Ascher muss diesmal in einer eher groben Maske als Behinderte arbeiten. Sie erscheint zunächst ziemlich eindimensional, doch erspielt ihrer Figur dann viele recht gewitzte Facetten. Für die Premiere am 26. Januar rauschte lang anhaltender Beifall.
Tabori, George, *24.5.1914 Budapest.
wächst als Sohn eines Journalisten in Budapest auf; Ausbildung in der Hotelbranche, lebt 1932/33 in Berlin und Dresden. Rückkehr nach Budapest, arbeitet als Journalist und Übersetzer. 1936 Emigration nach London. 1939-41 Auslandskorrespondent in Bulgarien und der Türkei, Entstehung des ersten Romans Beneath the stone. 1941 wird T. britischer Staatsbürger und arbeitet als Kriegsberichterstatter im Nahen Osten; 1943-47 Aufenthalt in London, Arbeit bei BBC, schreibt die Romane Companions of the Left Hand und Original Sin. Companions of the Left Hand spielt unmittelbar vor der Invasion der Allierten in einer italienischen Kleinstadt, in der Stefan Farkas, ein Boulevardautor, seinen Urlaub verbringen will. Ein Erzähler schildert die turbulenten Ereignisse, die mit dem Tod des Komödiendichters enden, für den Franz Molnar das Vorbild war. 1947 Übersiedlung in die USA, lebt in Hollywood und New York als Drehbuch- und Bühnenautor. Begegnung mit Bertolt Brecht. T. arbeitet an der englischen Fassung von Galileo Galilei mit, bearbeitet Stücke von Brecht, Strindberg und Max Frisch, schreibt Drehbücher für Alfred Hitchcock, Joseph Losey, Anatole Litvak u.a. 1952 wird T.s erstes Theaterstück
Auszeichnungen: Prix Italia 1979, Gr. Kunstpreis Berlin 1981 für seine Hörspiele; Mülheimer Dramatikerpreis 1983 und 1990; Frankfurter Hörspielpreis 1985; ITI-Preis zum Welttheatertag; Theaterpreis Berlin der Stiftung Preuß. Seehandlung 1988; Peter-Weiss-Preis Bochum 1991; Büchner-Preis 1992 für seine Theaterstücke, seine klärende Prosa (die in englischer Sprache abgefaßt und von Ursula Grützmacher-Tabori ins Deutsche übersetzt wurden) und seine engagierte Theaterarbeit: "Wir bewundern darin seinen Mut, dem deutschen Publikum mit Witz und Ironie und doch mit der Leidenschaft des Opfers und der Distanz des Weisen die unheilvolle gemeinsame Geschichte der Deutschen und Juden vor Augen zu führen."
Dramen, Hör- und Fernsehspiele: (z.T. Bühnenms.; Übersetzungen, wenn nicht anders angegeben, von U. Grützmacher-Tabori): Flight into Egypt, 52; The Emperor's Clothes, 53; Brouhaha, 58; Die Kannibalen (The Cannibals, Ü.: P. Sandberg), 68; The Niggerlovers, 68; Pinkville (Ü.: P. Hirche, Songtexte V. Ludwig), 70; Clowns, 72; Die Demonstration (The Demonstration), 72; Insomnia (Fsp.), 72; Sigmunds Freude, 75; Talk Show, 76; Die 25. Stunde (The 25th Hour), 77; Mutters Courage (My Mother's Courage), 78; Weismann und Rotgesicht (Hsp.), Frohes Fest (Fsp.), 79; Der Voyeur (The Voyeur), 82; Jubiläum (The Jubilee), 83 (in: Theater heute 2/83); Peepshow, 84; Mein Kampf (in: Theater heute 7/87), 87; Weisman und Rotgesicht (in: Theater heute 5/90), 90; Der Babylon-Blues oder Wie man glücklich wird ohne sich zu verausgaben, 91; Goldberg Variationen (in: Theater heute 6/91), 91; Requiem für einen Spion (in: Theater heute 7/93), 93. - Bearbeitungen: Brecht on Brecht, 62; Verwandlungen (nach F.Kafka), 77; Die Hungerkünstler (nach F. Kafka), 77; Ich wollte, meine Tochter läge tot zu meinen Füßen und hätte die Juwelen in den Ohren. Improvisationen über Shakespeares Shylock, 79; Medea nach Euripides (Ü. ins Niederländische: T. Blokdijk), 82; M nach Euripides (Ü.: E. Buschor) und Teilen aus dem Stück Nachricht vom Grottenolm von P. Radtke, 85; Stammheim-Epilog zu R.Hauffs Film Stammheim, 86; Verliebte und Verrückte nach William Shakespeare, 89; Lears Schatten nach William Shakespeare, 89; Nathans Tod nach Gotthold E. Lessing, 91; Unruhige Träume (nach F. Kafka), 92; El Gran Inqisitor (nach F. Dostojewskij, Ü. ins Spanische: V. León Oller), 92; Der Großinquisitor, 93. -
Filmdrehbücher: I Confess, 53; Young Lovers (ausgezeichnet mit dem British Academy Award), 54; The Journey, 58; The Holiday, 61; No Exit, 62; Secret Ceremony, 68; The Stronger, o.J.; Parades, o.J. -
Romane, Erzählungen: Beneath the Stone, 1945; Companions of the Left Hand, 46; Original Sin, 47 (dt. Ein guter Mord, 92); The Caravan Passes, 51 (dt. Tod in Port Aarif, 94); The Good One, 52; Die Reise, 87.
George Tabori - "Gefährten zur linken Hand"
Leseprobe
Ugo verschwand durch die Schwingtür in die Küche. Die Terrasse war jetzt leer bis auf Farkas und den Mann im weißen Anzug: Er saß, den Ellbogen auf der Lehne seines Korbstuhls ruhend, und rauchte nachdenklich. Aber Farkas wußte, er wartete nur auf eine Gelegenheit, um in ein paar Minuten aufzustehen, verlegen an seinen Tisch zu kommen, sich zu verbeugen und zu sagen, 'Entschuldigen Sie, sind Sie nicht der berühmte Stückeschreiber Stefan Farkas?' - oder etwas in der Art. Der Mann interessierte ihn nicht, auch sein unglücklicher Bruder nicht. Aber er langweilte sich und wollte noch nicht hinaufgehen. Er hätte ganz gern mit jemandem gesprochen, der zuhören konnte. Don Teofilo und der Doktor waren ihm heute auf die Nerven gegangen. Der fette Gnom hatte einen schmutzigen Witz nach dem anderen erzählt, die aus seinem Mund besonders widerwärtig klangen, als hätte er sie alle persönlich erlebt. Der Doktor war nocch schläfriger gewesen als sonst. Seine Lider waren immer wieder zugefallen, und er hatte kaum zugehört, als Farkas, um Don Teofilos pornographische Ausbrüche abzuwürgen, eine feinsinnige Anekdote aus dem siebzehnten Jahrhundert erzählt hatte. (S. 100)
"Interpunktion", sagte der Mann; das Wort klang wie der Titel einer Heldenballade. "Sie werden sich auskennen mit dem Thema. Was halten Sie von Semikolons?"
"Ich mißtraue ihnen", sagte Farkas. "Sie bedeuten, daß der Autor zu feige oder zu ignorant war, einen Satz zu Ende zu bringen."
"Da bin ich anderer Meinung", sagte di Bocca. "Der Punkt mit seiner Endgültigkeit ist häufig irreführend. Denken Sie nur an all das, was in einem einzigen Satz nicht gesagt werden kann - was hinter der Unendlichkeit eines Punktes lauert. Das Semikolon ist bescheidener, es schenkt einem eine Pause. Der Doppelpunkt dagegen ist zu offensichtlich, finden Sie nicht? Zu offensichtlich, zu unsubtil. Wie ein Kind, das mit dem Finger zeigt. Die drei Auslassungspunkte hasse ich", fügte er heftig hinzu. "Sie sind vulgär, wie die Stimme eines Mannes, die obszön flüsternd verklingt. Und außerdem wichtigtuerisch, weil sie geltend machen, daß es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die der Autor kennt, aber, überlegen wie er ist, nicht mitteilen will. Ich meine, können Sie sich vorstellen, daß Dante, Homer oder Goethe ihre Sätze nicht zu Ende schreiben? Bestimmt nicht. Es ist maniriert und bourgeois. Aber der wahre Schurke ist das Ausrufezeichen. Der Titel meines Essays ist nämlich 'Das Ausrufezeichen: ein Symbol des Faschismus.' Folgen Sie mir?"