Jean-Louis Matinier „Confluence“
Der Pariser Akkordeon-Meister Jean-Louis Matinier, wahrscheinlich der abenteuerfreudigste und scheuklappenärmste Virtuose seiner Klasse auf diesem Instrument, präsentiert endlich sein lange erwartetes Leader-Debüt. Matinier hat klassische Musik studiert, sich dann der improvisierten Musik zugewandt und überwindet heute mühelos die Grenzen zwischen Ethno-Traditionen, swingenden Grooves und mutiger neo-klassischer Innovation. Als unersetzbaren Mitstreiter hört man Matinier auf Platten von (u.a.) Louis Sclavis, Gianluigi Trovesi, Michel Godard, Anouar Brahem und "am prominentesten" beim Bassisten Renaud Garcia-Fons. Sein Duett-Album mit Garcia-Fons, "Fuera" (ENJ-93642), erhielt höchste kritische Ehren (z. B. Preis der deutschen Schallplattenkritik, 5 Sterne in Stereo). Scala schrieb: "Eine der besten Duo-Platten seit Jahren, vielleicht sogar der ganzen Jazzgeschichte. Musik und Klang: überragend."
Das Quartett auf "Confluences" ist eine fest etablierte Working Band mit einer langen Konzertkarriere. Matinier empfindet diese Kombination aus Akkordeon, Flöte, Gitarre und Bass als eine ideale Besetzung: Sie verbindet ein Maximum an Timbre und Dynamik mit feiner Balance und einer gewinnenden Leichtigkeit des Klangs. Flötist Bobby Rangell aus Denver (Colorado, USA) glänzt hier mit seinem bemerkenswert vollen Ton, den man auch schon bei Gil Evans, den Paris Salsa All-Stars und im Gaucher-Projekt "Zap Zappa" genießen konnte. Der brasilianische Gitarrenvirtuose Nelson Veras ist zwar der Youngster im Quartett, hat aber bereits mit Pat Metheny, Michel Petrucciani, Biréli Lagrène, Jean-Michel Pilc, Lee Konitz und anderen gearbeitet. Renaud Garcia-Fons schließlich, der französisch-spanische Kontrabassist, ist selbst ein gestandener Bandleader, vielfach bewundert für seinen singenden gestrichenen Bass, seine mediterrane Melodik und seine großen Ensemble-Alben.
Der Name "Confluences" verrät, dass hier viele verschiedene Einflüsse zusammenkommen, um etwas Neues zu bilden: Matiniers ureigene Vision. Seit "Fuera" weiß man, dass Matinier als Komponist von folkloristischen Melodien ebenso inspiriert ist wie von Rock-Rhythmen und dass er die Überraschung plötzlicher Wechsel und Wendungen liebt. "Confluences" ist nicht nur ein künstlerisches Statement gespickt mit virtuosen Highlights, sondern ein Zauberstück voll tänzerischer, fließender Liebenswürdigkeit, ein Feuerwerk der Melodien und Rhythmen. Dieser dramatische Musikstrom ist nur mit Wunderwerken wie "Fuera" und "Oriental Bass" zu vergleichen. Ein Debüt, das das Warten reich belohnt.
Das Thema Akkordeon denkt der gemeine Bürger zunächst einmal an bayerische Bierseligkeit und bei einem etwas höheren Bildungsstandard vielleicht noch an argentinischen Tango. Doch wie in der populären Musik, so fristet das Instrument auch im Jazz nur ein Nischendasein.
Damit sollte es ein Ende haben, denn der Akkordeonist Jean-Louis Matinier stellt nun mit "Confluences" sein Debüt unter eigenem Namen vor, nachdem er bereits bei Aufnahmen von Gianluigi Trovesi, Louis Sclavis, Anour Brahem und anderen zu hören war. Und zusammen mit Bobby Rangell (flute), Nelson Veras (acc gui) und Renaud Garcia-Fons (acc bs) lotet Matinier die ganze lyrischen und emotionalen Möglichkeiten dieses Instruments aus. Das Album hat melancholische und nachdenkliche Momente, daraus entspringen dann kraftvolle Lebensfreude und beschwingte Unbekümmertheit, um ebenso unvermittelt wieder in eine gemütliche Abendstimmung zu gleiten. Dabei ist besonders das Zusammenspiel von Flöte und Akkordeon ein wahrer Genuss. Allein das Zusammenwirken der Klangfarben bei den paralellen Stimmführungen ist wundervoll, die Zwiegespräche, die sich die beiden speziell bei "Jardin d'enfances" liefern, begeistern. Dass beide Instrumentalisten Meister ihres Fachs sind, die sowohl in Sachen Betonung wie auch in Technik keine Wünsche offen lassen und darüber hinaus noch längere Melodieführungen originell gestalten können, steigert dieses Wohlgefühl. Darüber hinaus sollte man die beiden ebenso befähigten Saitenvirtuosen nicht vergessen, auch wenn sie sich zumeist zu Gunsten des ausgesprochen variablen rhythmischen Fundaments zurücknehmen. Denn der Gesamtklang dieses Quartetts ist so harmonisch, dass man sich fragt, warum gab es eine solche Platte nicht schon früher? Warum wurde Millionen überflüssiger Fusion-Jazz Platten gepresst, deren Sound man ohne Verluste gegeneinander austauschen konnte, bevor jemand auf die Idee kam, diese Timbres zu kombinieren?
Einfach jazz at it's best.
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Jean-Louis Matinier
Confluences
Gibt es eigentlich schon eine Dissertation zum Thema "Sozioökonomische und geopolitische Einflüsse auf die Rezeptionsgeschichte von Musikinstrumenten der Neuzeit dargestellt am Akkordeon, Bandoneon und Saxofon"? Jedenfalls müsste in einem solchen Werk der französische Akkordeonist Jean-Louis Matinier eine besondere Erwähnung erfahren. Während hierzulande, der Erfindungsregion von Akkordeon und dem Schwesterinstrument Bandoneon, die Musikausübung auf diesen Handblasinstrumenten immer noch weitgehend von Vereinsstatuten und Meisterschaftsreglements bestimmt wird, sind sie unter den Händen von genuinen Virtuosen in Frankreich, Italien und Argentinien zu ebenso ernsthaft deklamationsfähigen Ausdrucksmitteln eigentlicher Musik geworden wie etwa das Saxofon in den Händen eines Coleman Hawkins, John Coltrane oder Chris Potter. Womit ein Traditionsstrang mit Entwicklung angedeutet ist. Jean-Louis Matinier ist der augenblickliche Fixpunkt dieser Entwicklung. Und es ist kein Zufall, dass sich dieser Fixpunkt in unserem Nachbarland festmachen lässt, denn nirgendwo sonst gibt es diese locker heitere Offenheit gegenüber den Traditionen des mittelmeerischen Raums und den aktuellen afro-amerikanischen Strömungen. "Confluences", also "Zusammenfließen verschiedener Strömungen", heißt das Programm. Und schon allein die Besetzung verdeutlicht die angestrebte Strömungstechnik: Da ist der franko-spanische Bassist Renaud Garcia-Fons, selbst schon ein Symbol mediterraner Stilmischung, und dann wirken noch der amerikanische Flötist Bobby Rangell und der brasilianische Akustikgitarrist Nelson Veras mit. Kein Wunder also, dass lichte, sonnendurchflutete Musik entsteht, die in jeder Phase das Bewusstsein ihrer mittelmeerischen Gestade in sich trägt und die doch auf bloßer Haut klassisch gallisches Formbewusstsein trägt, das wie angegossen passt und die allgegenwärtige Laszivität zu raffinierter Eleganz adelt.
Thomas Fitterling, 9.8.2003