treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

JAMES CARTER

tief verwurzelt in der afroamerikanischen Kultur des 20. Jahrhunderts

Von den jungen Löwen, die die Jazz-Zoologen Anfang der Neunziger entdeckten, war James Carter sicherlich der ungewöhnlichste. Unbekümmert streifte er durch die Reviere des Neo-Traditionalismus und der Avantgarde und ließ sich von Markierungen nicht sonderlich beeindrucken. Und so kam es, dass sowohl Lester Bowie als auch Wynton Marsalis, die befeindeten Rudelführer der letzten großen Jazz-Kontroverse, ihn in ihre Jagdgemeinschaft aufnahmen. Von ideologischen Festlegungen hält Carter nach wie vor nichts.
Mit der Filmmusik zu „Kansas City“ ist klar geworden, daß James Carter nicht nur das Handwerk bis zu schier unglaublicher Virtuosität gemeistert hat, sondern auch den Geist und die Seele der Jazztradition erfaßt und verinnerlicht hat.
Sein Spiel ist tief in der afroamerikanischen Kultur des 20. Jahrhunderts verwurzelt. Mit unerschöpflichem Ideenreichtum, fast schon beängstigender Energie und atemberaubender Technik bewaffnet, gelingt es ihm die gesamte Tradition des Saxophons im Jazz zu verkörpern und sie durch seinen in die Zukunft gerichteten Blick zugleich ins 21. Jahrhundert zu verlängern. Deswegen kürte ihn das britische Magazin Hif-Fi UK nicht zu Unrecht schon zum “modernen Saxophon-Gott”.

James Carter meldet sich wieder zurück. Der Saxophonist, der zu den besten seiner Generation gehört, gibt seinen Einstand bei Universal Music mit "Present Tense", einem kompromißlos swingenden Jazzalbum. Aber so sehr diese Musik auch in der Jazztradition verwurzelt ist, genauso sehr ist sie auch nach vorne gerichtet. "Wie sonst sollte sie mit Musikern wie Jeff 'Tain' Watts am Schlagzeug, D.D. Jackson am Klavier und Dwight Adams an der Trompete auch sein", fragt Carter rein rhetorisch. Zur exzellenten Besetzung zählen neben den bereits Genannten auch noch Bassist James Genus, Schlagzeuger Victor Lewis sowie als Gäste Gitarrist Rodney Jones und Perkussionist Eli Fountain. Produziert wurde das Album von Michael Cuscuna. Auf "Present Tense" beweist James Carter erneut, daß er einer der wenigen Musiker auf der Jazzszene ist, die eine Vielzahl von Holzblasinstrumenten gleichermaßen virtuos beherrschen: zu hören ist er hier an Sopran-, Tenor- und Baritonsaxophon, Baßklarinette und Flöte.

Der 39jährige Carter ist nun schon seit rund 15 Jahren eine der treibenden Kräfte der heutigen Jazzszene. Sein Spiel ist tief in afroamerikanischen Kultur des 20. Jahrhunderts verwurzelt. Mit unerschöpflichem Ideenreichtum, fast schon beängstigender Energie und atemberaubender Technik bewaffnet, gelingt es ihm die gesamte Tradition des Saxophons im Jazz zu verkörpern und sie durch seinen in die Zukunft gerichteten Blick zugleich ins 21. Jahrhundert zu verlängern. Deswegen kürte ihn das britische Magazin Hif-Fi UK nicht zu Unrecht schon zum "modernen Saxophon-Gott".

"Present Tense" enthält zehn Stücke, von denen drei von James Carter selbst geschrieben wurden. Eines dieser Stücke hatte eine ganz besondere Entstehungsgeschichte. "Die Idee zu dem Stück 'Sussa Nita' lieferte mir ein Traum", erzählt Carter. "Und in meinem Traum war es Billie Holiday, die mir die ersten paar Phrasen vorsang. Das war im November 2005 und es war einer dieser sepiagetönten Träume. Ich befand mich in einem angesagten Nachtclub, als Billie Holiday zu mir kam und mir die ersten paar Phrasen vortrug. Ich wachte auf und notierte alles sofort! Dann ließ ich die Noten eine Zeitlang liegen und holte sie erst wieder hervor, als ich mich an dieses Projekt machte. Ich komponierte das Stück fertig und benannte es nach einer der Phrasen, die Billie Holiday mir ins Ohr gesungen hatte 'Sussa Nita'."

"Bossa J.C." schrieb Carter, weil er auf dem Album unbedingt etwas völlig Neues ausprobieren wollte. "Ich kann es gar nicht erwarten, das Stück erstmals live zu spielen", freut sich der Saxophonist. "Es gibt ein absteigendes Riff mit neun Changes, und als Solist kann man bei jedem dieser Changes verweilen und über den jeweiligen Akkord grooven. Die Tonalität ändert sich dadurch komplett und ist ganz anders als noch am Anfang des Stückes. 'Bro. Dolphy' hatte ich eigentlich für eines meiner früheren Alben komponiert, aber dann doch nicht verwendet. Darüber bin ich nun sehr froh, weil wir der Nummer hier eine sehr intime Note gegeben haben, die es vorher nicht hatte."

Die restlichen sieben Titel stammen aus dem umfangreichen Fundus des Jazz. Carter wählte sie oft mit Hilfe von Michael Cuscuna aus. "Ich habe allergrößten Respekt vor der Jazztradition, aber ich möchte sie 'remixen' und mit der Zukunft der Musik Einklang bringen", meint Carter mit Nachdruck. Ein Beispiel für diese progressive Herangehensweise liefert seine Version von "Song Of Delilah". "Jazzfans werden wissen, daß Clifford Brown diese Nummer gespielt hat", vermutet Carter. "Mit Sonny Rollins am Tenorsax. Aber ich habe sie umgekrempelt und ihr einen gewissen HipHop-Touch verpaßt."

Wenn ein Stück allerdings eine etwas konventionellere Spielweise erfordert, verstehen es Carter und seine Begleiter auch ihre Progressivität zu zügeln und dem Material in einem angemessenem Rahmen eine neue Bedeutung zu geben. So geschehen etwa beim Opener "Rapid Shave". "Das war eines der ersten Stücke, die mir Cuscuna vorschlug. Der legendäre Tenorsaxophonist Stanley Turrentine hatte es als erster aufgenommen, weshalb ich zu Michael sagte: 'Wenn ich es spiele, dann nur auf dem Bariton.'"

Für die Interpretation von  "Shadowy Sands", eine Komposition des Pianisten Jimmy Jones, griff Carter zur Baßklarinette.  "Das fand ich ausgesprochen interessant, weil 'Shadowy Sands' eines der wenigen Stücke war, bei denen Harry Carney, Duke Ellingtons berühmter Baritonsaxophonist, für sein Solo jedesmal zur Baßklarinette wechselte - tatsächlich gibt es überhaupt nur wenige Aufnahmen von Carney, bei denen er Baßklarinette spielte."

Die Flöte bringt James Carter in einer entspannten Interpretation von Dodo Marmarosas "Dodo's Bounce" zum Einsatz. Am Baritonsaxophon ist er dann noch einmal in Gigi Gryces "Hymn Of The Orient" zu hören. "Ich wollte dieses Instrument auf dem Album ein wenig mehr in den Vordergrund rücken", erklärt Carter. Seine Fähigkeiten als Sopransaxophonist demonstriert Carter wiederum in "Pour ma vie demeure", einer bewegenden Django-Reinhardt-Komposition. "Das Stück lernte ich durch eine Radioaufnahme aus dem Jahr 1956 kennen. Gespielt wurde es da von einem der Rhythmusgitarristen Django Reinhardts. Und es faszinierte mich gleich", erzählt Carter.

Ausklingen läßt James Carter "Present Tense" mit der auf dem Baritonsax gespielten Ballade "Tenderly", einem der wenigen wirklichen Jazzstandards des Albums. "Ich fragte meine Frau, welche Ballade wir spielen sollten, und sie schlug dieses Stück vor", erinnert sich Carter. "Es ist ein bestens bekanntes Thema, das viele Leute anspricht. Als ich es meiner Mutter vorspielte, fühlte sie sich direkt in ihre Jugend zurückversetzt. Sie schloß ihre Augen, und als ich versuchte mit ihr zu reden, winkte sie nur versonnen ab - damit stand für mich fest, daß ich es einspielen müßte."  

Der 1969 in Detroit geborene James Carter war Schüler von Marcus Belgrave und begann seine professionelle Laufbahn als 17jähriger in der Band von Wynton Marsalis. Die nächste Sprosse auf der Karriereleiter führte ihn dann, als er 1988 nach New York zog, ausgerechnet zu Marsalis' Antipoden Lester Bowie. Schon mit seinem 1993 aufgenommenen Debütalbum "JC On The Set", das beim japanischen Label DIW erschien, sorgte der Saxophonist in der Szene für Furore. Noch mehr allerdings ein Jahr später mit dem ebenfalls bei DIW aufgelegten Nachfolger "Jurrasic Classics". In den folgenden Jahren spielte er für Labels wie Atlantic, Columbia, Warner Bros. und Half Note noch acht Alben unter seinem Namen ein und 2005 gemeinsam mit Pianist Cyrus Chestnut, Bassist Reginald Veal und Drummer Ali Jackson "Gold Sounds", eine ebenso ungewöhnliche wie gelungene Hommage an die amerikanische Indie-Rock-Band Pavement. Hören konnte man den umtriebigen und scheuklappenlosen Saxophonisten aber auch auf Alben von Lester Bowie, Julius Hemphill, Wynton Marsalis, Madeleine Peyroux, Herbie Hancock, Kathleen Battle, Benny Golson, Ronald Shannon Jackson, Marcus Miller, Christian McBride und Regina Carter.