Boubacar Traore a.k.a. Kar Kar ist ein harmonischer Widerspruch, ein Musiker, dessen Kunst und Biografie weniger durch Balance, als vielmehr durch Extreme auffallen. In den sechziger Jahren ein Idol für die ganze afrikanische Westküste, in den siebzigern vergessen, in den achtzigern wiederentdeckt und in den neunziger Jahren auf ausgedehnten Tourneen durch Europa und Amerika, dies die groben Daten seiner Karriere. Er wurde mit vielen Popgrössen verglichen. Elvis Presley musste als Vergleich ebenso herhalten wie Robert Johnson, Johnny Hallyday oder Chuck Berry. Und man betitelt seine Musik als Blues - alles Vergleiche, die andeuten, dass es beinahe ein Ding der Unmöglichkeit ist, die Lieder von Kar Kar zu definieren. Solche Vergleiche dienen vor allem uns Europäern oder Amerikanern, um einen Künstler be-greifbar zu machen, der eine musikalische Welt für sich ist.
Hören wir in den westlichen Industriestaaten den Begriff "Blues", hören wir auch gleich hunderte von Beispielen in unserer Erinnerung durcheinandertönen - aber solche Musik macht Kar Kar nicht. Er ist auch nicht funky wie der Godfather of Soul James Brown, mit dem er auch hin und wieder verglichen wird. Dies sind alles nur Statusangaben, welche zeigen, in welchem Masse er zuhause in Mali von Musikerkollegen und Landsleuten verehrt wird. Seine Musik tönt ganz anders. Nimmt man "Blues" nicht als Musikform, sondern als Gefühlsbeschreibung, kommt man der Sache schon einiges näher.
Kar Kar macht das, was er schon immer wollte: Musik. Für ihn sind es Melodien, Lieder, zu denen sein Instrument die zweite Stimme singt. "Die Gitarre hat mich magisch angezogen", versucht er die Beziehung zu seinem Instrument zu beschreiben. Er hört aus der Gitarre nicht die Bluesakkorde seiner musikalischen Geistesverwandten in den Südstaaten heraus, nein, seine Gitarre perlt wie eine Kora. Zudem hat der Blues aus Mali keine Strukturen, wie wir sie von der amerikanischen Version her kennen. Blues dient als Grossbegriff zu unserer Erklärung, weil Kassonke - in dieser Musiktradition ist er aufgewachsen - kaum als verständliche Beschreibung dienen würde.
Da hört man seine Herkunft aus dem Westen von Mali: Kayes, Heimat und Sehnsucht gleichermassen. Die Liebe zu dieser Heimat und seinen Bewohnern ist gross, auch wenn er deren Verwalter oder seine Landsleute ab und zu mit harten Worten kritisiert. Vierzig harte und entbehrungsreiche Lebensjahre sind in die ruhigen Geschichten seiner Lieder verwoben, doch die Wärme, die Liebe macht den Grundton aus.
Kar Kar ist ein Geschichtenerzähler und seine Weigerung, diese Geschichten zu erklären, zu deuten, macht es uns Bilder-Hungrigen nicht einfach, deren Sinn oder Hintergrund zu begreifen. Er erzählt von afrikanischen Traditionen, die den Weissen in ihrer Symbolik und Exotik oft verschlossen bleiben. Er besingt die Liebe mit all ihren menschlichen und tragischen Schattierungen, die Liebe zu seiner verstorbenen ersten Frau, zu seinen Kindern, ohne dass der Schmerz über das tragische Schicksal dieser Liebe seine Songs schwer oder leidend macht.
Boubacar Traore ist kein Musiker, dessen Lieder man erklären kann, dessen Bilder und Stimmungen man analysieren muss, man muss sich ihnen aussetzen. Dann erlebt man vielleicht ein Afrika jenseits von Klischees und Vorurteilen.